
Das Massaker von Babyn Jar: Sowjetische Kriegsgefangene müssen 1941 das Massengrab zuschütten.
Der Begriff Babyn Jar ist in der Geschichte untrennbar mit den schrecklichen Verbrechen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg verbunden: Dem Massaker an über 33.000 Juden durch die Einsatzgruppen der Deutschen vom 29. bis 30. September 1941. An diesen beiden Tagen wurden Menschen unter falschem Vorwand zu ihrem Hinrichtungsplatz geführt, mussten sich entkleiden und wurden systematisch über eine Zeitspanne von 36 Stunden gruppenweise exekutiert und anschließend in der Schlucht verscharrt.
Die Weiberschlucht
Babyn Jar bedeutet so viel wie die Weiberschlucht. Das Tal erstreckt sich über eine Länge von 2,5 Kilometern und ist bis zu 30 Meter tief. Sie befindet sich im Gebiet von Kiew in der Ukraine. Während des 2. Weltkriegs gehörte die Schlucht aber noch nicht zur Stadt selber.
Ausgangssituation
Am 22. Juni 1941 startete die Wehrmacht das Unternehmen Barbarossa und begann mit dem Angriff auf die Sowjetunion. Die Ukraine war zu diesem Zeitpunkt Teil der UdSSR und gehörte somit auch zu den Zielen der Deutschen. Am 19. September fiel Kiew und wurde von der 6. Armee besetzt. Ihnen folgte die Einsatzgruppe C der Sicherheitspolizei und des SD unter dem Kommando von SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Otto Rasch. Zu ihnen gehörte das Sonderkommando 4a unter dem Befehl von SS-Standartenführer Paul Blobel.
Einsatzgruppen und Sonderkommando
Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD waren mobile Kommandos, welche aus besonders fanatischen Nationalsozialisten bestanden. Ihre Aufgabe war der systematische Völkermord an Juden und anderen Völkern, die im Sinne der Nazis minderwertig waren. Die Einsatzgruppen operierten stark in den eroberten Gebieten in Osteuropa und erfuhren logistische Unterstützung durch die Wehrmacht. Die Einsatzgruppe C operierte im Wirkungsbereich der Heeresgruppe Süd in der Ukraine.
Der Vorwand
Es verstrichen nur wenige Tage nach der Besetzung als es im Stadtzentrum von Kiew zu Explosionen und Bränden kam, bei denen sowohl Einwohner als auch Soldaten der Wehrmacht ums Leben kamen. Am 27. September wurde, unter anderem von Otto Rasch und Paul Blobel beschlossen, die Kiewer Juden umzubringen. Die Aktion wurde unter dem Begriff „Evakuierung“ getarnt, es sollte offiziell eine Umsiedlung der Juden vorgenommen werden. Die Wehrmacht billigte das geplante Massaker, wollte sich jedoch nicht daran beteiligen. So soll Generalmajor Kurt Eberhard, der Stadtkommandant von Kiew, gegenüber dem Sonderkommando gesagt haben: „Schießen müsst ihr“. Vor den Soldaten der SS und der Wehrmacht sollte das Massaker als Vergeltung für die Anschläge gerechtfertigt werden. Neben den Angehörigen des SD und des Sonderkommandos 4a waren Kommandos des Polizeiregiments Süd der Ordnungspolizei, Soldaten der Geheimen Feldpolizei, die Wehrmacht und auch ukrainische Hilfspolizisten an dem Massaker beteiligt.
Das Massaker
Am 28. September wurde die Bekanntmachung an die jüdische Bevölkerung ausgegeben. Am 29. September versammelten sich tausende Juden in der Nähe des Bahnhofes und wurden zur Schlucht geführt. Die Hinrichtung erfolgte in einem schwer vorzustellenden Akt. Zunächst mussten die Juden sich ihrer Kleider und Habseligkeiten entledigen. Dann wurden sie in Gruppen nackt an den Rand der Schlucht geführt und durch Maschinengewehre und Maschinenpistolen erschossen. Die Leichen fielen in die Schlucht. Es gab keine Gnade von den Deutschen, die brutal Männer, Frauen und Kinder hinrichteten. Die Leichen stapelten sich in der Schlucht. Die Exekutoren durchsuchten die Leichen, ob noch Überlebende zu finden waren. War dem so, wurden sie mit einem Pistolenschuss gerichtet. Insgesamt fielen bei dem Massaker von Babyn Jar am 29. und 30. September 33.771 Juden dem Sonderkommando 4a zum Opfer. Pioniere der Wehrmacht sprengten zur Beseitigung die Ränder der Schlucht und begruben Verletzte bei lebendigem Leib. Das Perfide nach dem Massaker war auch der Umgang mit den Kleidern der Ermordeten, welche an Volksdeutsche, bedürftige Einwohner der Stadt und an die Volkswohlfahrt übergeben wurden.
Bericht einer Überlebenden
Dina Pronitschewa gehörte zu den wenigen Überlebenden des Massakers. Sie berichtete, dass 36 Stunden lang Juden kamen und starben und schilderte das unmenschliche und barbarische Verhalten der Deutschen während dieser Zeit. Ein Baby wurde lebendig in die Schlucht geworfen und die Mutter sprang hinterher. Eine andere Mutter bat die SS-Soldaten, sie zusammen mit ihrer Tochter zu erschießen. Die Juden mussten sich nach Pronitschewas Aussagen teilweise bäuchlings auf die Leichen legen und selber auf ihren Tod durch Erschießung warten. Dina selber überlebte das Massaker mit Glück, als sie in die Schlucht auf die Toten sprang und unentdeckt blieb. Als die Erde über sie geschüttet wurde, konnte sie unbemerkt einen winzigen Luftspalt offen halten und später entkommen. Sie sagte im Kriegsverbrecherprozess 1946 aus.
Noch mehr Massaker
Das Stadtgebiet um Kiew wurde bis zur Rückeroberung durch die Sowjetunion im November 1943 mit mehr Blut durch Massaker getränkt. Schätzungsweise wurden bis zu 200.000 Menschen durch die Besatzer umgebracht. Die Einsatzgruppen des SD und der Sicherheitspolizei waren maßgeblich an dem Holocaust beteiligt. Insgesamt sollen bis zu 1,3 Millionen Menschen den Einsatzgruppen und Polizeibataillonen während des 2. Weltkrieges zum Opfer durch Massenerschießungen gefallen sein. Dennoch galten in der NS-Führungsriege die Erschießungen als nicht effizient genug, da die Erschießung sehr lange dauerte und eine psychische Belastung für die Täter darstellte. Auch stellte die Geheimhaltung ein großes Problem dar, denn Massaker wie in Babyn Jar waren nicht geheim zu halten. So bewegte sich die massenweise Ermordung in Richtung der industriellen Vernichtungslager wie Auschwitz.
Sonderaktion 1005
Als zunehmend deutlicher wurde, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, versuchte die SS die Spuren ihrer Gräueltaten zu verwischen. Ausgerechnet unter dem Oberbefehl von Paul Blobel wurde diese Vertuschung durchgeführt, die auch die Bezeichnung Enderdungsaktion trug. Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge mussten die Leichen in Babyn Jar und anderen Hinrichtungsstätten ausgraben, türmten sie meterhoch auf Scheiterhaufen und verbrannten diese.
Nach dem Krieg
Das Massaker konnte aber nicht vertuscht werden, allerdings hatten die Sowjets zunächst kein Interesse daran, die Verbrechen öffentlich zu machen, da Josef Stalin auch keineswegs judenfreundlich war. Nach Ende des Krieges wurde dann doch 1948 den Einsatzgruppen der Prozess gemacht. Paul Blobel wurde des Mordes an 60.000 Menschen schuldig gesprochen und 1951 in Landsberg hingerichtet. Otto Rasch erkrankte 1948 an Parkinson und schied so aus dem Verfahren aus. Im November 1948 starb er dann. Kurt Eberhard beging bereits 1947 Suizid in amerikanischer Gefangenschaft.
Babyn Jar in den Medien
Die Ermordung der 33.000 jüdischen Menschen wurde in der Literatur, Film & Fernsehen thematisiert. Zu empfehlen sind dabei die Bücher des jüdischen Schriftstellers Herman Wouk „Der Feuersturm“, „Der Krieg“ und „Weltsturm“ und die dazugehörigen TV-Adaptionen „Feuersturm und Asche“ als auch die TV-Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“.
Autorin: Martina Meier
Weitere Informationen unter:
https://www.welt.de/geschichte/article158435562/Tausendfacher-Mord-als-Alltag-und-Belustigung.html