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Startseite > NS-Völkermord > Holocaust > Theresienstadt – einige wichtige Tatsachen
Geschrieben von: Wolf Murmelstein
Erstellt:

Theresienstadt – einige wichtige Tatsachen

Der Verfasser ist der Sohn des letzten Judenältesten von Theresienstadt. Sein Betrag basiert auf seinen Erfahrungen mit Besuchern aus den USA und zahlreichen Publikationen, in denen die Geschichte von Theresienstadt unvollständig oder tendenziös dargestellt wird. Dabei greift er auf die umfangreichen Berichte und Aufzeichnungen seines Vaters – Benjamin Murmelstein zurück. Dieser Artikel soll zu einem differenzierteren Bild über das Ghetto/KL Theresienstadt beitragen und einer verharmlosenden Mythenbildung entgegenwirken.

 

Theresienstadt Ghetto und Theresienstadt kleine Festung

a) Das Ghetto befand sich in der von Mauern umgebenen Garnisonsstadt; einige Gebäude, durch Sperren abgetrennt, dienten als Sitz der Kommandantur/Dienststelle, Wohnquartiere der SS und Angehörigen der Gendarmerie. 1943 wurden zwei weitere Kasernen für das Zentralarchiv der SS abgetrennt. Das Übertreten der Sperren war verboten. Ins Ghetto kamen Juden – und Menschen, die nach den Rassengesetzen als Jude galten – aus Böhmen und Mähren, Deutschland, Österreich, Holland und Dänemark, später auch aus der Slowakei und Ungarn. Nach Theresienstadt kamen Juden, die wegen einer Verbindung im Reich oder im Ausland nicht spurlos im Osten verschwinden konnten. Bei alten Menschen, Kriegsinvaliden usw. traute sich nicht einmal Goebbels‘ Propaganda, von Arbeitseinsatz zu sprechen. Das Ghetto unterstand direkt der von Adolf Eichmann geleiteten Abteilung „Judenangelegenheiten und Räumung“ im RSHA.

b) Die Kleine Festung befindet sich in einer kurzen Entfernung von der Stadt und diente jahrzehntelang als Hochsicherheitsgefängnis; 1939 wurde dort das Polizeilager Theresienstadt errichtet, das der Sicherheitspolizei in Prag unterstand. Inhaftiert wurden dort Personen, darunter auch Juden, die sich gegen die Nazis betätigt hatten bzw. auch nur im Verdacht standen, dieses getan zu haben.

c) Aus dem Ghetto wurden viele Leute in die Kleine Festung überstellt; nur einige überleben. Ein Fall von Überstellung aus der Kleinen Festung ins Ghetto ist bekannt.

 

Bewachung

Der Kommandantur/Dienststelle waren ca. 20 SS-Männer zugeteilt. Zur Überwachung – Sperren, Zugängen usw. – war eine Abteilung von ca. 100 tschechischen Gendarmen in Theresienstadt. Einheiten der SS und der Ordnungspolizei konnten immer zur Verstärkung herangezogen werden. In Theresienstadt Ghetto waren keine SS-Frauen; im Büro des Kommandanten arbeitete eine Frau, die, am Tag als der Verfasser dieser Schrift sie sah, ein hellgrünes Kleid trug. Die Gendarmerie beschäftigte einige Frauen für Durchsuchungen.

 

Die Kommandanten und für das Ghetto wichtige SS-Offiziere

a) SS HSTF SIEGFRIED SEIDL
Von Anfang November 1941 bis Juli 1943, dann Versetzung nach Bergen-Belsen. Dort wurde für Juden, die entweder ausländische Pässe hatten oder für einen Austausch vorgesehen waren, aber die man nicht nach Theresienstadt bringen wollte, eine besondere Abteilung geschaffen.

b) SS OSTF ANTON BURGER
Von Juli 1943 bis Februar 1944, als er nach Athen versetzt wurde, um die Deportation der Juden aus Süd-Griechenland und den Inseln zu forcieren.

c) SS OSTF KARL RAHM
Von Februar 1944 bis zum Ende, als er am 5. Mai 1945 – mit einem regelrechten Marschbefehl, in Uniform, bewaffnet und von einem anderen SS Mann begleitet – Theresienstadt verließ.

d) SS OSTF KARL BERGL
Von November 1941 bis Mai 1945 LAGERINSPEKTOR.

e) SS OSTBF ADOLF EICHMANN
Im RSHA Leiter der Abteilung „Judenangelegenheiten und Räumung“ und hatte 1941 die Idee, in Böhmen und Mähren, an der damaligen Reichsgrenze, ein „Musterghetto“ einzurichten.

f) SS HSTF ERNST MOES
In der o.g. Abteilung Referent für „Prominente“ und daher oft in Theresienstadt, wo er in der Kommandantur ein eigenes Büro hatte.

g) SS STBF HANS GUENTHER, genannt der „Prager Günther“ –  sein Bruder Rolf, genannt der „Berliner Günther“, war ein Adjutant von Eichmann in Berlin – als Leiter vom Zentralamt für die Lösung der Judenfrage in Böhmen und Mähren für Theresienstadt zuständig.

h) SS OGRF KARL HERMANN FRANK, Staatsminister für Böhmen und Mähren sowie Höherer SS- und Polizeiführer.

 

Die Judenältesten

a) JAKOB EDELSTEIN, zionistischer Funktionär, von November 1941 bis 29. Januar 1943, als er zum „Ersten Stellvertreter der Judenältesten“ eingesetzt wurde. Am 9. November 1943 verhaftet und mit den „Dezember-Transporten“ nach Auschwitz verschickt, wo er mit seiner Familie einige Monate später ermordet wurde.

b) PAUL EPPSTEIN, früher Dozent der Soziologie, von 29. Januar 1943 bis 27. September 1944, als er verhaftet und noch am selben Tag ermordet wurde.

c) BENJAMIN MURMELSTEIN, Rabbiner und Gelehrter, erst „Zweiter Stellvertreter des Judenältesten“ vom 30. Januar 1943 bis 27. September 1944 und dann Judenältester bis zum 5. Mai 1945, als das Ghetto vom Internationalen Roten Kreuz übernommen wurde. Das Volksgericht von Leitmeritz/Litomeric stellte am 3. Dezember 1946 das Untersuchungsverfahren ein, da der „Tatbestand der Kollaboration nicht vorliegt“, die Anschuldigungen gegen Murmelstein wurden als Produkte von Hysterie und Verfolgungswahn bezeichnet. Er wurde von dem selben Volksgericht in einigen Verfahren als glaubwürdiger Zeuge – da vollkommen rehabilitiert – betrachtet. Tatsache ist, dass alle drei Judenältesten es unterlassen hatten, sich selber rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, um in ihren Gemeinden die Auswanderung zu organisieren.

 

Wer wusste und wann wusste man von den Gaskammern und Auschwitz?

Aus den Untersuchungen des zuständigen Volksgerichts Leitmeritz/Litomeric geht hervor, dass die Ghettoleitung die ersten, alarmierenden Nachrichten über die Gaskammern und Vorgänge in Auschwitz von den am 30. Dezember 1944 angekommenen slowakischen Juden erfahren hatte. Die volle Wahrheit wurde erst nach dem 20. April 1945, bei der Ankunft der ersten Gruppen aus den KZs bekannt. Nach Berichten – über deren Glaubwürdigkeit man geteilter Meinung sein kann – soll Leo Baeck bei einer Versammlung seiner Anhänger in den USA 1948 gesagt haben, über Auschwitz und die Gaskammern seit August 1943 informiert gewesen zu sein. Tatsache ist, dass Leo Baeck die ihm zugeschriebenen Aussagen nie als Zeuge vor einem Gericht zu Protokoll gegeben hat. Die Fragen, „von wem und wie er in Theresienstadt informiert wurde“, bleiben daher ohne Antwort.

 

Der Plan einer Gaskammer in Theresienstadt

Anfang Februar 1945 alarmierte der Chefingenieur den Judenältesten Murmelstein über zwei sonderbare Bauvorhaben, für die keine schriftlichen Pläne vorlagen; bei den Arbeiten mussten mündliche Weisungen der SS befolgt werden. Die Bauplätze wurden von SS-Offizieren besucht, aber Murmelstein wurde nicht gerufen, diese Besuche zu begleiten. Um beim Kommandanten Rahm über dieses Thema vorzusprechen, musste Murmelstein eine geeignete Gelegenheit finden, für den Fall seiner Verhaftung einem Vertrauensmann Weisungen zurücklassen und dann im richtigen Ton Möglichkeit und Folgen von einer Massenpanik schildern. Rahm sprach von Weisungen, bombensichere Lagerhäuser und Geflügelteiche bauen zu wollen– bei dieser Version blieb er auch im April 1947 vor dem Volksgericht – und brach das Gespräch ab.

Rahm fuhr sofort nach Prag und kehrte nach drei Tagen mit dem Befehl der sofortigen Einstellung der Bauarbeiten zurück. Die Macht, diesen Befehl zu erlassen – und sich so gegen Eichmann zu stellen – hatte im Protektorat nur Karl Hermann Frank, Staatsminister für Böhmen und Mähren und Höherer SS- und Polizeiführer, der im Februar 1945 schon seine eigene Politik verfolgte und Theresienstadt sollte dabei, als wertvolles Tauschobjekt, eine wichtige Rolle spielen.

 

Einige Ereignisse und deren Auswirkungen auf Theresienstadt

Zu einem besseren Verständnis der Geschichte von Theresienstadt ist es zweckmäßig, einige äußere Ereignisse darzustellen und deren, bekannte oder vermutliche, Auswirkungen auf das Lager Theresienstadt zu prüfen:

a) DIE AUFSTÄNDE IM GHETTO WARSCHAU UND IM TODESLAGER TREBLINKA.
Fast gleichzeitig mit den Kämpfen im Warschauer Ghetto (Frühjahr) wurden die 600 jungen Männer von der Ghettowache durch eine Gruppe von 150 Männern, die älter als 45 Jahre alt waren, ersetzt. Im August 1943 wurde der „Leiter des Sicherheitswesens“ (Ghettowache usw.) Karl Löwenstein – nicht nur ehemaliger Offizier sondern auch Freikorpskämpfer – für einige Monate inhaftiert. Mit den Transporten von September und Dezember 1943 wurden 10000 Juden aus Böhmen und Mähren nach Auschwitz-Birkenau deportiert, darunter einige für ihre tschechisch-nationale Gesinnung bekannte Personen, sowie die 600 Angehörigen der Ghettowache.

b) Der 20. JULI 1944
Nach dem misslungenen Versuch einiger Offiziere, sich Hitler durch ein Attentat zu entledigen und der Aufdeckung der Verschwörung durch die Gestapo, waren ehemalige Offiziere mit hohen Auszeichnungen nicht mehr – wie für die September-Transporte 1944 angewiesen– geschützt. Wegen der Teilnahme von Canaris an dieser Verschwörung wurden die Abwehr-Agenten, die wegen jüdischer Abstammung in Theresienstadt waren, mit dem letzten Transport verschickt.

c) BESETZUNG VON UNGARN IN MÄRZ 1944
Nach der Besetzung von Ungarn im März 1944 und dem Anfang der Deportation der Juden hatten auch ungarische Staatsbürger keinen Schutz vor Deportation mehr.

d) FRONTWECHSEL SEITENS RUMÄNIEN UND BULGARIEN
Bekanntlich wechselten Rumänien (Ende August 1944) und Bulgarien (Anfang September 1944) die Front und schlossen einen Waffenstillstand mit den Alliierten; rumänische oder bulgarische Staatsbürgerschaft war nun ein Grund mehr für die Einreihung in die Transporte im September/Oktober 1944.

e) DER SLOWAKISCHE AUFSTAND AUGUST/SEPTEMBER 1944
Am „Slowakischen Aufstand“, der einige Monate dauerte, nahmen auch Juden teil, was der SS, aber nicht der Jüdischen Leitung, bekannt war. Ende August wurden in Theresienstadt einige anlässlich der Stadtverschönerung gewährte Erleichterungen zurückgezogen, Verzeichnisse der ehemaligen Offiziere mussten vorgelegt werden, das Desinfektionsgas wurde beschlagnahmt, einige Personen wurden in die Kleine Festung überstellt usw. Ende September 1944 mussten 5000 arbeitsfähige – in den Augen der SS aber auch kampffähige – Männer Theresienstadt verlassen, und die große Transportwelle begann.

f) DIE ENTSENDUNG JUNGER ABGESANDTER WIDERSTANDSKÄMPFER AUS PALESTINA IM FRÜHJAHR 1944
Bekanntlich wurden im April einige junge Idealisten aus Palästina (Gruppe Hanna Szennes und Joel Palgi) mit Fallschirmen, über Kairo und Jugoslawien nach Ungarn und in die Slowakei – in den sicheren Tod geschickt. Von dieser sinnlosen Mission hatte der SD von Anfang an Kenntnis, und so wurden alle Abgesandten erst beobachtet und dann verhaftet; nur einer hat überlebt.

Im Juli 1944 forschte die SS nach im Ghetto versteckten Fallschirmjägern, was der jüdischen Leitung unverständlich schien. Die Frage, inwieweit diese „Mission“ dazu beigetragen hat, dass alle bekannten zionistischen Persönlichkeiten mit den Oktober-Transporten 1944 deportiert wurden, bleibt für immer ohne Antwort. Diese Kritik bezieht sich auf die damalige Leitung der Jewish Agency in Jerusalem. Das Andenken der jungen Abgesandten – deren Leben leichtsinnig geopfert wurde – soll für immer geehrt werden.

g) KÖNIG CHRISTIAN X. VON DÄNEMARK UND DIE AKTION SEINER REGIERUNG
In Oktober 1943 kam eine Gruppe aus Dänemark nach Theresienstadt. König und Regierung wurden trotz der Verschärfung des Besatzungsregimes im Herbst 1943 bei den Deutschen vorstellig, um die Möglichkeit von Besuchen zu erreichen. Der gewünschte Besuch konnte nicht abgelehnt sondern nur verschoben werden, und so wurde die erste Stadtverschönerung veranlasst. Ein Ghetto, das einen Besuch erwartete, konnte in der Zwischenzeit nicht liquidiert werden und eines, das von ausländischen Besuchern schon gesehen worden war, konnte auch nicht spurlos verschwinden. Im Wettlauf um das Überleben eine wichtige Hilfe.

h) JEAN MARIE MUSY
Im September 1944 hatte die Union der orthodoxen Rabbiner in den USA und in Kanada endlich die Möglichkeit, sich an den Schweizer Bundesrat Jean Marie Musy – für seine guten Verbindungen im Dritten Reich bekannt – zu wenden. Deren Ersuchen um Hilfe hatte Erfolg. Jean Marie Musy erreichte, wie bekannt, die Ausreise von 1200 Personen aus Theresienstadt in die Schweiz (3. Februar 1945), und sein Sohn Benoit besuchte Theresienstadt am 16. April 1945.

i) INTERNATIONALES KOMITEE DES ROTEN KREUZES
Für das Internationale Rote Kreuz war die Entscheidung, in Bezug auf Konzentrationslager und Juden tätig zu werden nicht einfach, da diese Organisation – nach den Statuten – nur für Kriegsgefangene zuständig war. Bis zum Ende musste die Neutralität streng bewahrt werden, um mit Wehrmacht und SS über den Zutritt zu den Lagern zu verhandeln. Entscheidend für die Rettung von Theresienstadt war der Besuch der Internationales Komitee des Roten Kreuzes Delegation am 6. April 1945.

Die Delegierten hatten den Hilferuf des Judenältesten Murmelstein – „das Schicksal von Theresienstadt bereitet mir Sorgen“ – richtig verstanden und erreichten durch geschicktes Verhandeln noch am selben Tag von Staatssekretär und Höherem SS- und Polizeiführer K. H. Frank – der, wie oben erwähnt, schon seine eigene Politik verfolgte – die Zusage, dass niemand mehr deportiert werden sollte und das Ghetto unter den Schutz des Internationalen Rotes Kreuzes (Büro Prag) gestellt wurde. Am 22. April 1945 konnte der Judenälteste Murmelstein die Ghettobevölkerung darüber informieren, dass der Rote Kreuz-Delegierte Paul Dunant mit dem Schutz der Interessen des Ghettos beauftragt worden war und dass Theresienstadt die Aufgabe hatte, aus anderen Lagern kommende Juden, internierte Kranke und Verwundete aufzunehmen. Nach zwei weiteren Besuchen verlegte Dunant am 3. Mai 1945 sein Büro von Prag nach Theresienstadt und übernahm die Leitung am 5. Mai, als Rahm – in Uniform und bewaffnet, von Hauptscharführer Baumgartner begleitet – mit einem Marschbefehl aus Theresienstadt wegfuhr. Nach drei Tagen erreichte die Rote Armee Theresienstadt.

 

DIE ZWEI STADTVERSCHÖNERUNGEN – Frühjahr 1944 und Winter 1944/45

Wie bereits erwähnt, zwang der dänische Wunsch, die nach Theresienstadt deportierten Juden zu besuchen, die SS dazu, das Ghetto für Besucher vorzeigbar zu gestalten. Die Leitung erhielt vom Kommandanten Burger den Befehl, einen Verantwortlichen für die Stadtverschönerung zu ernennen. Ernannt wurde Murmelstein, der als Dezernent in der Leitung für die Abteilungen „Gesundheitswesen“ und „Technik“ zuständig war. Burger war nicht der richtige Kommandant für diese Fassadenaktion, er wurde nach Athen versetzt und von Rahm, als ehemaliger Maschinenschlosser und Maler für diese Komödie besser geeignet, abgelöst. Schon diese erste Stadtverschönerung bot die Möglichkeit, neben den von der SS befohlenen Arbeiten, auch solche, welche die Lebensbedingungen im Ghetto – besonders der Alten und der Kinder – verbessern konnten, durchzuführen, was nicht alle begreifen wollten. Bei ihrem Besuch am 22. Juni 1944 schienen die dänischen Delegierten positiv beeindruckt und Rahm teilte einige Tage später mit, dass in Erwartung weiterer Besuche im September die Arbeiten für die Stadtverschönerung weiter gehen sollten. Im August aber wurden Pläne für neue Arbeiten nicht mehr bewilligt; die Lage hatte sich geändert.

Die zweite Stadtverschönerungsaktion entsprang aus der Weisung von Murmelstein, das Ghetto nach den September/Oktober-Transporten 1944 wieder in Ordnung zu bringen; Frauen mussten hart arbeiten – nur sehr wenige Männer im arbeitsfähigen Alter waren geblieben – und leisteten Großes. Gleichzeitig legte Murmelstein in einem Bericht die Möglichkeit einer neuen Stadtverschönerung dar, um das Ghetto für weitere Besuche herzurichten. Am 5. Dezember 1944 besichtige ein SS-Standartenführer aus Berlin das Ghetto, und einige Tage später konnte die zweite Stadtverschönerung offiziell – mit der Zuteilung des notwendigen, damals sehr knappen Materials – beginnen. Es folgten weitere Besichtigungen, die keinen Vorwand boten, die Abbrechung der Arbeiten zu veranlassen. Am 5. März 1945 besichtigte Eichmann höchstpersönlich das Ghetto; am Ende befand auch er, dass das Ghetto „so wie es ist“ Besuchern gezeigt werden konnte. Am 28. März 1945 teilte der Deutsche Generalkonsul in Genf dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz mit, dass Theresienstadt gezeigt werden konnte. Der Besuch der Delegation fand am 6. April 1945 statt und war entscheidend für die Rettung des Ghettos.

 

Der Film

Im August 1944, gleichzeitig mit dem Versanden der ersten Stadtverschönerung, kam die Weisung, mit den Dreharbeiten zu beginnen. Die Aufnahmen fanden an 11 Tagen zwischen Ende August und Anfang September statt und zeigten ein idyllisches Ghettoleben; ein Bild, das man Besuchern einer „verschönerten“ Stadt so nicht hätte vermitteln können. Die Montagearbeiten – von Hans Günther beaufsichtigt – dauerten bis März 1944 und der Film, betitelt THERESIENSTADT, wurde bei einem Besuch am 16. April vorgeführt, als der Regisseur und sehr viele von den abgebildeten Menschen nicht mehr am Leben waren. Was man Besuchern nicht mehr zeigen konnte, sollte Kinozuschauern gezeigt werden.

 

Leo Baeck in Dokumenten über Murmelstein

Aus dem Protokoll der Sitzung des Ältestenrates mit den Abteilungsleitern und Paul Dunant, Delegierter des Roten Kreuzes, geht hervor, dass Leo Baeck seine Gefühle der aufrichtigen Dankbarkeit für die Tätigkeit Murmelsteins ausdrückte sowie die Hoffnung, dass dessen organisatorische Fähigkeiten der neuen Leitung zur Verfügung blieben. Am 6. Mai 1945 adressierte Leo Baeck einen Brief an Murmelstein, um im Namen des Ältestenrats den Dank für die unter schwierigen Umständen geleistete Tätigkeit auszudrücken. Protokoll und Brief sind von Leo Baeck unterschrieben.

 

Schlußbemerkung

Es sei zu beachten, dass das Dritte Reich bis zum 8. Mai 1945, 24 Uhr, ein international anerkannter Staat war und viele deutsche Militärverbände erst einige Tage später kapitulierten. In Nord-Böhmen stand Feldmarschall Ferdinand Schörner noch mit 1.000.000 Mann und legte erst am 11. Mai 1945 die Waffen nieder, die Rote Armee hatte Prag erst am 10. Mai besetzen können. Theresienstadt war also für einige Tage – vom 5. bis zum 9. Mai – befreit, da die SS nicht mehr dort war, jedoch von deutscher Besatzung umgeben.

 

Wer nie vor einem SS Mann stundenlang stehen musste und nie die Verantwortung für die Gemeinde hatte, hat kein Recht zu urteilen, sondern die Pflicht, die Geschichte respektvoll zu lernen, damit sich solche Ereignisse nicht mehr wiederholen.

Autor: Dr. Wolf Murmelstein

 

Literatur

Adler, Hans.G.: Theresienstadt, das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Tübingen 1960.

Adler, Hans.G.: Die verheimlichte Wahrheit, Tübingen 1959.

Lederer, Zdenek.: Theresienstadt, London 1953.

Murmelstein, Benjamin: Terezin – il ghetto modello di Eichmann, Bologna 1961.

Nacht über Europa. Die Faschistische Okkupationspolitik in Oesterreich und der Tschechoslowakei. Köln 1988. Lizenzausgabe genehmigt vom VEB – Berlin/Ost.

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