Klaus Modick: Sunset, Frankfurt am Main 2011
Klaus Modicks Roman Sunset ist mehr wie ein kraftvoll erzählter Gang durch das Leben des Mannes, der sich selbst als den „hässlichsten und kleinsten Juden Münchens“ bezeichnete, Sunset ist große Literatur.
Es ist der 16. August 1956, Südkalifornien. Ein Telegramm mit dem Wortlaut „Bertolt Brecht gestorben …“ durchbricht den Morgen des bedeutendsten deutschen Exilschriftstellers Lion Feuchtwanger. Die Nachricht über den Tod des Freundes ist ein Schock. Während draußen der Tag beginnt und die Stadt erwacht, dringen die Bilder der Vergangenheit ein in die Gegenwart und nehmen Besitz von ihr. Während er sein gealtertes Gesicht im Spiegel betrachtet, seine Füße beim Gang durch das Haus die Kühle des Bodens spüren, versucht Worte zu Papier zu bringen, die Brise des Ozeans spürt, ist er erschöpft, beinahe kraftlos und versunken in die Erinnerungen.
Es ist die Zeit, wo die Luft explosiv ist. In den Straßen tobt der Kampf um die Räterepublik, der Kampf der politischen Splittergruppen, der Spartakusaufstand. In dieser Zeit prallen die beiden deutschen Dichter Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht aufeinander. Er sieht diese zwei ungleichen Männer, die sich erstmals in München begegnen. Während der eine an seinem Erfolgsroman Jud Süß schreibt, ist der andere noch in der Anonymität, sucht mit Feuchtwangers Hilfe einen Durchbruch mit seinem Skript Spartakus.
Es ist der Beginn einer lebenslangen inneren Verbundenheit. In der Rückblende sieht Feuchtwanger diesen explosiven und immer wieder provozierenden jungen talentierten Brecht vor sich. Ein Brecht, der für die Dichtung leidenschaftlich glüht und erbittert in Streitgesprächen für seine Linie kämpft.
Ab 1933 ist kein Platz mehr für die beiden großen Dichter in Deutschland. Die Geflohenen treffen sich im südkalifornischen Exil wieder. Während es für Feuchtwanger erfolgsmäßig weitergeht, sucht Brecht vergeblich den Neuanfang. Hier ist der Entwurzelte ein Unbekannter. Die amerikanischen Bürger und Hollywood zeigen keine Bereitschaft sich für Brechts Dichtung und sein episches Theater zu öffnen. Ein Ankommen in der Emigration gelingt nicht. Wird zusätzlich vereitelt durch die ständige Geldnot, die der Freund Feuchtwanger lindert und durch das Verhör vor dem Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten während der McCarthy-Ära. Der Bruch mit den USA ist für Brecht unabdingbar. Er kehrt zurück nach Europa, nach Ostberlin.
Auch für Feuchtwanger bieten die USA keine Chance des endgültigen Ankommens. Bis zu seinem Tod bleibt der Staatenlose unter politischer Beobachtung und Dauerbefragung. Die einen beschimpfen ihn als „Stalinist“, die anderen als „Kapitalistenknecht“, wieder andere denunzieren ihn. Er selbst befindet sich in einem ängstigenden Schwebezustand. Ein Schwebezustand, der ihn 1945 davon abhält, über den Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg zu berichten. Zu groß ist die Angst, dass ihm, dem Staatenlosen, die Wiedereinreise in die USA verweigert wird.
Heute, an diesem 16. August 1956, ist er noch immer staatenlos, versucht er noch immer verzweifelt heimisch zu werden. Heimisch in einem Haus, das stets ein Stück Heimat für die Exilanten bot, das nun in der Stille versinkt.
Einer Stille, in der Lion Feuchtwanger seinen letzten Roman schreibt, in der er sich noch einmal literarisch mit dem jüdischen Volk und seiner Geschichte auseinandersetzt. Einer Stille, in der er sich seiner eigenen Vergangenheit und der des Freundes Bertolt Brecht hingibt.
Klaus Modick erzählt einen Tag aus dem Leben von Lion Feuchtwanger, der in der Rückblende Feuchtwangers sich auf Jahre hin ausdehnt. Es sind die Erinnerungen an die erfolgreichen Jahre in Deutschland, die bereits mit der Bücherverbrennung verstaubt sind, die Erinnerungen an Begegnungen und dauerhafte Freundschaften, an Aufbrüche und Ankommen im Hexenkessel unter McCarthy und an endgültige Abschiede.
Dieser Rückblick ist eine harte Belastungsprobe des eigenes Lebens, der einen sachten Abschied aus der literarischen Geschwindigkeit bedingt, in der Feuchtwanger erkennt: Das Jetzt fordert die Anwesenheit.
Feuchtwanger, dieser große Schriftsteller und Exilant, kehrt nie nach Europa zurück. Die USA bleiben dennoch für ihn eine Durchgangsstation, da sein Tod der Verleihung der Staatsbürgerschaft zuvorkommt.
Autorin: Soraya Levin
Klaus Modick: Roman, 192 Seiten, 18.95 Euro, 27.50 sFr, Eichborn AG, Frankfurt am Main 2011, ISBN:9783821861173