Seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 herrscht in Libyen ein Bürgerkrieg. Das Land kommt nicht zur Ruhe. Mittlerweile herrscht seit 2014 ein zweiter Bürgerkrieg im Land. Die beiden führenden Konfliktparteien sind die vom Ministerpräsidenten Abdulhamid Dbeiba (zuvor al-Sarraj) geleitete Regierung in Tripolis und die gegnerische Allianz des General Chalifa Haftar. Im Hintergrund beider Parteien agieren zahlreiche andere Länder – darunter Russland. Je mehr Staaten sich in den Konflikt einmischen, desto aussichtsloser wird die Lage. Was sind die Interessen dieser Staaten und welche Rolle spielt Russland in diesem Konflikt?
Die Ziele von Chalilfa Haftar
Chalifa Haftar unterstützt eine Gegenregierung im Osten Libyens. Dafür kämpften seine Truppen zunächst gegen islamistische Milizen in Ost-Libyen und eroberten 2014 die Stadt Bengasi. Mittlerweile haben sie strategisch wichtige Städte und Militärbasen im Osten und Süden des Landes eingenommen. Damit kontrolliert Haftar die wichtigsten Ölquellen des libyschen Staatsgebietes. Im April 2019 startet Haftar schließlich einen Angriff auf die Hauptstadt Tripolis. Die Offensive überraschte die internationale Gemeinschaft, da sich der General und der ehemalige Ministerpräsident al-Sarraj zuvor nach langwierigen Gesprächen auf nationale Wahlen geeinigt hatten. Doch scheinbar befürchtete Haftar, dass er dabei an Macht einbüßt. Mitte April 2019 wäre zudem eine innerlibysche Konferenz geplant gewesen, bei der ein Konzept für eine politische Lösung erarbeitet werden sollte. Aus Sorge an Einfluss zu verlieren, habe er mit seiner Offensive die Welt vermutlich vor vollendete Tatsachen stellen wollen. Sein Traum von einem raschen Sieg wurde schnell zu Nichte gemacht. Haftar hat nicht mit der immensen Gegenwehr bewaffneter Milizen aus Tripolis gerechnet, die Angst vor einer neuen Militärdiktatur haben.
Haftars Unterstützer
Die Liste der Unterstützer des Generals ist lang – hierzu gehören auch internationale Staaten, die sowohl offen als auch verdeckt operieren. Zu den wichtigsten militärischen Unterstützern zählen die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten, die im Kampf gegen die Muslimbrüder mit Haftar verbündet sind. Aber auch Russland unterstützt den General politisch und militärisch, wenn auch in verdeckter Art und Weise mit Kräften privater Militärunternehmen. Nach Expertenmeinung kämpfen etwa 1400 russische Söldner in Libyen. Diese Militärhilfe dementiert Russland zwar – doch auch für die UN ist es laut einem Bericht vom Dezember 2019 ein offenes Geheimnis, dass Russland in Libyen verdeckt eingreift. Frankreich wird ebenfalls immer wieder vorgeworfen, Haftar zu unterstützen. Dies weist die französische Regierung aber genauso zurück.
Unterstützer der Einheitsregierung
Prominentester Unterstützer der Einheitsregierung in Tripolis ist die Türkei. Zufolge einiger Experten ist diese Hilfe geopolitisch und ideologisch motiviert. Ankara möchte ein Gegenwicht zu den Regionalmächten Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten bilden. Außerdem ist die türkische Einmischung von ökonomischen Interessen geprägt. Im östlichen Mittelmeer, wo sich der Konflikt um die Aufteilung der dort ansässigen Gasressourcen zuspitzt, ist die Türkei politisch isoliert. Während Griechenland, die Republik Zypern, Israel und Ägypten ihre jeweiligen exklusiven Wirtschaftszonen gegenseitig anerkannt haben, bleibt die Türkei außen vor und sorgt mit illegalen Probebohrungen im Mittelmeer für Unruhe. Die USA hält sich in dem Libyen-Konflikt bislang sehr zurück, unterstützt die Einheitsregierung mittlerweile aber politisch und rief Haftar 2019 dazu auf, seine Offensive zu beenden.
Die Interessen von Russland
In erster Linie sieht Russland in Libyen ein bislang machtpolitisches Vakuum, das es zu füllen versucht. Für Moskau ist die russische Präsenz eine effiziente Möglichkeit, die EU und die NATO zu schwächen. Mit seiner Unterstützung in Libyen möchte Russland zeigen, dass es dort Erfolg habe, wo der Westen scheitert. Um dieses ideologische Ziel zu erreichen, bedient sich Putin unterschiedlicher strategischer Mittel. Im Mai 2020 kommentierte beispielsweise der Chef des US-Militärkommandos für Afrika, Stephen Townsend, dass russische Kampfflugzeuge von Russland nach Libyen geflogen seien. Dabei hätten sie einen Zwischenstopp in Syrien gemacht. Um diese russische Hilfsmaßnahme zu verschleiern, seien die Flugzeuge überstrichen worden. Dieser Vorwurf wird von Moskau vehement bestritten. Ob Dementi oder nicht: Es ist eindeutig, dass Russland seine Interessen in Libyen durchzusetzen versucht. Hierfür sprechen auch die jahrelang gepflegten Beziehungen beider Länder.
Die Beziehungen zwischen Russland und Libyen
Schon 1969 unterstützte Moskau den Machthaber Gaddafi mit immensen Militärhilfen. Diese strategische Beziehung zu Gaddafi wurde bis zum ersten Bürgerkrieg in Libyen kontinuierlich weiter gepflegt. Als dann die NATO den russischen Einfluss in Libyen 2011 mit ihrer Einmischung massiv begrenzte, war das für Putin schmerzhaft. In Haftar sieht Putin nun die Möglichkeit an die alten Beziehungen anzuknüpfen. Für Haftar ist Russland ein mächtiger militärischer Partner. Die von Russland beauftragten privaten Kräfte sind gut ausgebildet. Sie verfügen über Scharfschützen und Techniker, die auf den Einsatz von Drohnen spezialisiert sind. Mit dieser Hilfe gelang es in der Vergangenheit ausländische Drohnen abzuschießen. Über ein derartiges Fachwissen würde der General ohne Mithilfe nicht verfügen. Als Gegenleistung für die militärischen Hilfen bot Haftar Putin den Zugang zum libyschen Energiemarkt und die Nutzung der Mittelmeerhäfen in Tobruk und Darnah an.
Ausblick
Die hybride Kriegsstrategie hat für Russland mehrere Vorteile. Sie haben keine Repressalien anderer Länder zu befürchten, sofern ihnen keine aktive Beteiligung an dem Krieg nachgewiesen werden kann. Außerdem kann sich Russland als offiziell „Unbeteiligter im Krieg“ als Vermittler präsentieren, ohne sein militärisches Engagement aufgeben zu müssen. Zusätzlich kann sich Moskau neben Teilen des Energiegeschäfts auch die Kontrolle über den libyschen Flüchtlingskorridor sichern. Dadurch erlangt Russland einen sehr starken migrationspolitischen Machteinfluss gegenüber Europa, das bereits durch den Syrienkrieg und seit Kurzem durch den Ukrainekrieg extrem belastet ist.
Libyen hat derzeit zwei konkurrierende Regierungen (Stand März 2022). Die Regierung von Fathi Bashagha, der sich mit Chalifa Haftar zusammengetan hat und deren Parlament in Tobruk tagt sowie die Regierung von Abdulhamid Dbeiba, deren Parlament in Tripolis tagt. Demokratisch legitimiert ist keine von beiden. Nach einer Waffenruhe seit Oktober 2020 scheint der Konflikt nun erneut zu entfachen. Premier Fathi Bashagha kündigte an, er wolle „mit der Stärke des Gesetzes“ in Tripolis einziehen. Ein neuentfachter Waffengang kann von beiden Seiten nicht gewonnen werden. Libyen ist angesichts verschiedener Konfliktlinien zutiefst gespalten. Während Abdulhamid Dbeiba weiter auf die Unterstützung der Türkei zählen kann, erhält Fathi Bashagha die Hilfe von Ägypten, Frankreich und Russland. Putin hat zwar einen Teil der im Land stationierten Söldner der privaten Gruppe Wagner mittlerweile abgezogen – womöglich, um sie im Krieg in der Ukraine einzusetzen, dies ändert die Kräfteverhältnisse in Libyen aber nicht nachhaltig.
Autor: Michael Schmidt
Quellen
DW: Russlands getarnter Stellvertreterkrieg in Libyen; in: https://www.dw.com/de/russlands-getarnter-stellvertreterkrieg-in-libyen/a-53592047, Stand 28.05.2020.
Malek, Martin: Russland und die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates. Motive und Konsequenzen von Moskaus Libyenpolitik, in: ZFAS (2011), S. 735-750.
Stiftung-Wissenschaft-Politik: Die Türkei verlagert den Schwerpunkt ihrer Außenpolitik; in: SWP-Aktuell Nr. 6 Februar 2020.
Stiftung-Wissenschaft-Politik: Internationale Pläne, libysche Realitäten; in: SWP-Aktuell Nr. 65 November 2019.
Süddeutsche Zeitung: Der libyische Knoten; in: https://www.sueddeutsche.de/politik/libyen-krieg-nordafrika-konflikt-1.5541579, Stand 04.03.2022.
Tagesschau: Wer will was in Libyen?; in: https://www.tagesschau.de/ausland/faq-libyen-101.html, Stand 18.01.2020.
ZBE: Die Wagner-Gruppe: Private Söldner im Dienst von Russland