
Russische Suchoi Su-25 auf dem Militärflugplatz Hmeimim in Latakia
Im Herbst des Jahres 2015 begann die russische Militärintervention in Syrien. Das Eingreifen Russlands, welches offiziell als gezielte Bekämpfung der Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) begründet wurde, rettete letztendlich den Erhalt des Assad-Regimes und veränderte die strategische Gesamtlage im Nahen- sowie Mittleren Osten nachhaltig. Russland demonstrierte in diesem Zusammenhang seine militärische Handlungsfähigkeit und das eigene Selbstverständnis einer globalen Führungsmacht.
Entstehung und Voraussetzungen zum Einschreiten
Im anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien waren bis zum Beginn der russischen Intervention etliche Parteien involviert. Ausschlaggebender Faktor für den Beginn der kriegerischen Handlungen waren zunächst die Bestrebungen zahlreicher aufständischer Gruppierungen, den syrischen Diktator Baschar al-Assad zu entmachten. Das unbarmherzige Vorgehen Assads gegen das eigene Volk, die verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung und die Einflussnahme verschiedenster politischer Interessenorganisationen führten nicht nur zu einer enormen Eskalation des Krieges, sondern sorgten auch dafür, dass sich die Gesamtlage in Syrien immer schwerer einschätzen ließ. Als Folge waren bereits bis zum Herbst des Jahres 2015 etwa 470.000 Todesopfer zu beklagen. Außerdem wurden rund 6,6 Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen, die im weiteren Verlauf auch für den europäischen Kontinent eines der dramatischsten Fluchtszenarien der vergangenen Jahrzehnte darstellten.
Die Entscheidung Russlands, trotz der völlig instabilen und desolaten Lage aktiv in das Bürgerkriegsgeschehen einzugreifen, basierte auf mehreren Voraussetzungen. Das seit den 1950er-Jahren von Russland unterstützte Regime der Familie Assad stand kurz vor dem endgültigen Zerfall. Das Jahr 2011 wies Syrien als einen der größten Hauptabnehmer für Waffenlieferungen aus russischer Produktion auf. Hierzu zählten nicht nur Handfeuerwaffen und Munition, sondern vor allem auch schwere gepanzerte Fahrzeuge, Artilleriegeschütze sowie russische Mi-25 oder Mi-17 Kampfhubschrauber. Viele dieser effektiven Einsatzmittel wurden vor Ort in Syrien von russischen Technikern oder militärischen Beratern einsatzbereit gehalten und erwiesen sich als schlagkräftige Option zur Bekämpfung aufständischer Milizen oder zur Niederschlagung revolutionärer Demonstrationen. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International verurteilten diese massiven russischen Waffenlieferungen an den syrischen Diktator Assad zwar auf das Schärfste, bewirken konnte diese Rüge jedoch nichts.
Im Gegenzug hatte der Westen Kräfte der Freien Syrischen Armee und andere Rebellengruppen ebenfalls mit Waffenlieferungen unterstützt. Bereits in dieser Phase des Syrienkonfliktes war es für die russische Seite von großer Bedeutung, dass die Westmächte im Besonderen die USA eine direkte Intervention unterlassen würden. Zur Untermauerung dieses Anliegens lieferte Russland fortan auch wirksame Luft- und Raketenabwehrsysteme an das Assad-Regime. Dem unmittelbaren Eingreifen Russlands in das Kriegsgeschehen ging zum einen die eher zögerliche Haltung der USA und zum anderen die formelle Anfrage des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad voraus. Der Antrag des russischen Präsidenten Wladimir Putins zum Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Staatsgebietes erfolgte am 30. September des Jahres 2015 und wurde erwartungsgemäß einstimmig vom Föderationsrat Russlands positiv beschieden. In der Begründung der Zustimmung wurde nicht nur das Hilfeersuchen des syrischen Präsidenten erwähnt, sondern vor allem die notwendige Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die damit verbundene Zerschlagung der militanten Gruppierung des Islamischen Staates hervorgehoben.
Strategische Ausrichtung und Vorgehensweise
Die Schaffung einer neuen Faktenlage und das direkte Einschreitens Russlands in den Syrienkrieg ging seitens der russischen Führung mit der unverhohlenen Drohung einher, dass der Westen zukünftig mit Konsequenzen zu rechnen habe, mische dieser sich in die Belange Russlands ein. Außerdem war die offizielle Begründung des Militäreinsatzes mit der Zielsetzung, den IS in Syrien zu bekämpfen, eine äußerst annehmbare Position für die Verschleierung der zunächst wesentlichen Motive Russlands. Hierbei ging es vorrangig um den Erhalt des syrischen Kernlandes unter der Staatsführung von Assad. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt die Ausbreitung des Islamischen Staates eine begründete Gefährdung der russischen Interessen darstellte, zeigten die militärischen Operationen Russlands zu Beginn des Kampfeinsatzes eine klare strategische Ausrichtung auf. Die russische Luftwaffe konzentrierte sich zu Beginn der Intervention auf Ziele im Nordwesten Syriens, wo verschiedene Milizen der Rebellengruppierungen bereits seit dem Frühjahr auf dem Vormarsch waren. In diesen Regionen gab es keinerlei Hochburgen des IS.
Nach ausgeprägten Luftschlägen auf die Gegenden um die Stadt Homs und Al-Hamah, welche zur Unterstützung der syrischen und auch iranischen Bodentruppen dienten, entspannte sich die Bedrohungslage für Präsident Assad. Zur Koordination der verschiedenen Luftoperation und der am Boden eingesetzten Streitkräfte aus Teilen der regulären syrischen Armee, der Kampfverbände aus dem Irak, dem Iran sowie den Einheiten der libanesischen Hisbollah Miliz diente ein Lagezentrum in Bagdad. Vereinzelte und gezielte Luft- sowie Raketenschläge gegen den IS in Syrien fanden zu dieser frühen Phase des russischen Kriegseintritts nur dort statt, wo der Islamische Staat eine ernsthafte Bedrohung für das Assad-Regime darstellte wie beispielsweise in der Region um das nordsyrische Aleppo oder in der Stadt Deir ez-Zor im Osten des Landes. Die schweren Militärangriffe Russlands hatten zudem auch die taktische Ausrichtung, den Feind und die Westmächte zu beeindrucken. Zerstörungen von IS-Stützpunkten oder Verbänden wurden von russischer Seite medial groß propagiert und als herausragende Erfolge gefeiert, während die unterstützenden Kampfhandlungen gegen die Kräfte der syrischen Opposition möglichst nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten.
Erst rund einen Monat nach Beginn des russischen Kriegseintritts in Syrien änderte sich die Ausrichtung gegenüber dem Islamischen Staat deutlich, nachdem dieser für einen Bombenanschlag auf ein russisches Linienflugzeug verantwortlich war, das über der Sinaihalbinsel abstürzte und bei dem 224 Passagiere ums Leben kamen. Als eine erste Reaktion des russischen Präsidenten Putin erfolgte die Bombardierung der IS-Hochburg Raqqa. Ein enormes Eskalationspotenzial stellte Ende November 2015 der Abschuss eines taktischen russischen Bombers vom Typ Su-24 durch die türkische Luftwaffe dar. Die Türkei sprach in diesem Zusammenhang von der Verletzung ihres Luftraumes, was die russische Seite leugnete und in der Konsequenz neue Luftabwehrsysteme in Syrien stationieren ließ. Die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Länder kühlten merklich ab, und auch wenn sich zwischenzeitlich die Situation wieder entspannt hat, ist bis heute klar ersichtlich, dass Russland sowie die Türkei unterschiedliche Interessen in Syrien verfolgen. Während Russland zu späteren Zeitpunkten eine Teilnahme von syrisch-kurdischen Gruppierungen an Friedensgesprächen befürwortete, sieht die Türkei die Kurden im Norden Syriens und des Irak als ständige Bedrohung an.
Kriegsverlauf, Verhandlungen und Perspektiven
Nach Angaben des immer noch im Amt befindlichen russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu flog die russische Luftwaffe in den ersten Monaten des Syrienkriegs rund 9.000 Kampfeinsätze, was einer Anzahl von 60 Einsätzen am Tag entsprach. Eine gewaltige Anzahl. Die USA flogen zum Vergleich im selben Zeitraum rund 10 Einsätze am Tag gegen Stellungen des IS. Nach ersten diplomatischen Verhandlungen hinsichtlich eines Waffenstillstands im syrischen Kriegsgebiet, stellte die Russen im Februar 2016 ihre Luftangriffe vorübergehend ein. Trotz erheblicher Unterschiede bei der Auffassung von den Vereinigten Staaten und Russlands zur künftigen Machtrolle Assads in einem neuen Syrien sollte eine Einigung zu einem gemeinsamen Friedensplan gelingen. Die Schwierigkeit eine Gesprächsbereitschaft zu formieren, bestand allerdings an den vielen beteiligten Gruppierungen und bewaffneten Milizen. Die eigens zur Vermittlung gegründete Organisation der „International Syria Support Group“ (ISSG) konnte an diesem Hindernis kaum etwas ändern, da eine simple Einordnung welche Gruppierung in Syrien nun als terroristisch oder nicht terroristisch einzuschätzen sei, kaum umsetzbar schien.
Immerhin gelang es, einige Ergebnisse der ISSG-Treffen als UN-Resolution zu verabschieden, um den Friedensbemühungen im Kriegskonflikt eine größere politische Tragweite zukommen zu lassen. Dass diese Resolution den Status sowie die weitere Rolle Präsident Assads unberührt ließ, war das Ergebnis der russischen Vorgehensweise und Diplomatie. Der ausgearbeitete Waffenstillstand hingegen wurde in der Folge immer wieder gebrochen, während sich die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung stetig katastrophal verschlechterte. Die im März 2016 vom russischen Präsidenten Wladimir Putin völlig überraschend angekündigte Beendigung des Militäreinsatzes und der damit verbundene angeordnete Truppenabzug wurde in der Folge faktisch nicht durchgeführt. Ein täuschendes Manövrieren Russlands, welches nicht nur alle späteren Verhandlungen erschwerte, sondern auch von der weiteren strategischen Ausrichtung der russischen Intervention ablenken sollte. Trotz intensiver Angriffe auf syrische Städte und die syrische Opposition war es die offizielle Interpretation Russlands nicht an derartigen Kampfmaßnahmen beteiligt gewesen zu sein. Zu Teilen stellte sich die Kommunikation Russlands sogar so dar, dass die Kampfhandlungen komplett geleugnet wurden und dass die Existenz der russischen Militärkräfte in Syrien überhaupt nur deshalb erforderlich sei, um den Islamischen Staat zu bekämpfen.
Durch die Ausweitung weiterer militärischer Kampfphasen seitens Russlands und dem damit verbundenen Einsatz schwerster bunkerbrechender Bomben trat das Leid im Syrienkrieg in eine weitere Stufe der Eskalation ein. Am dramatischsten wurden diese Geschehnisse am Beispiel der Stadt Aleppo sichtbar, wo es zu Kriegsverbrechen, einer zivilen Tragödie und sogar zum Beschuss von UN-Hilfskonvois kam. Die Schuldzuweisungen der am Krieg beteiligten Parteien ändern bis heute nichts daran und die darauffolgende Abkehr der USA von allen weiteren Bemühungen um einen einvernehmlichen Frieden deuteten auf eine politische Schwäche und spielten dem russischen Präsidenten sogar noch in die Karten. Das primäre Kriegsziel, den syrischen Präsidenten Assad im Amt zu halten, wurde durch die russische Intervention zwar erreicht, doch einen dauerhaften Nutzen oder eine Exit-Strategie lässt sich bis heute im Handeln Putins nicht erkennen. Die Argumente, welche Motive den Kreml zur Durchführung und zum Fortsetzen der militärischen Operationen in Syrien bewegten, sind auch unter Experten vielfältig. Die Demonstration Russlands als handlungsfähiger „Gamechanger“ hat in diesem Zusammenhang seine Wirkung nicht verfehlt, doch hat sie Russland auch zu einem unberechenbaren Akteur auf der geopolitischen Bühne werden lassen, der wenig Spielraum für gemeinsame Perspektiven bietet.
Autor: Michael Schmidt
Literaturverzeichnis und Quellen
Bundeszentrale für politische Bildung (Analyse der russischen Syrienintervention von Margarete Klein)
International Institute for Strategic Studies, „Counterinsurgency and the Global War on Terror“ (Robert M. Cassidy)
J. Krause und T. Bino „Bilanz der russischen Militärintervention in Syrien (Sirius – Zeitschrift für Strategische Analysen)
„Invisible War“ (Human Rights Watch)
Foreign Policy Research Institute (Russia’s War in Syria)
United States Institute of Peace, Center for Strategic & International Studies (CSIS)