Gad Granach: Heimat los! Aus dem Leben eines jüdischen Emigranten. Augsburg 1997.
„Wo ist eigentlich deine Heimat?“ Gestern noch war sie in Deutschland, heute ist sie in Israel. Letzte Ausfahrt Palästina, heißt es für die Hoffnungslosen, die verfolgten Juden. Einer von ihnen ist Gad Granach. Eigentlich heißt er ja Gerhard. Geboren in Rheinsberg, aufgewachsen in Berlin, betritt er 1936 als Pionier Erez Israel. Der Vater, Alexander Granach, ein Jude aus Ostgalizien, ist im Berlin der 20er bereits ein Schauspielstar, der „König der Ostjuden“. Seine Atelierwohnung wird neben dem Berliner Café Größenwahn zum zweiten Treffpunkt der Bohème. Hier philosophieren, diskutieren, trinken, feiern sie, die Brechts, Piscators, Manns. Die Mutter, eine Jüdin aus Posen, modern, sozialistisch und bürgerlich, versteckt ihr Judentum. Spätestens mit dem Sieg der Nazis 1933 ist klar: sich unauffällig zu verhalten, wie es die Posener Juden praktizieren, die sogar ihre Gebetsbücher in Zeitungspapier verbergen, bringt gar nichts. Denn egal, wie das Verhalten auch immer ist, ein Jude bleibt immer ein „Scheißjud“. Obwohl Gad Granach nicht religiös ist, fühlt er sich durch den alltäglich erfahrenden Judenhass zugehörig. Um ihn herum lesen die Leute bald den Völkischen Beobachter, bedient er in seiner Lehre als Fotograf vermögende Antisemiten wie die Brenninkmeyers, verliert die Mutter ihren Job beim Arbeitsamt. Vorbei sind die Zeiten, in denen das Theaterpublikum Shakespeares Kaufmann von Venedig voller Ergriffenheit für den Shylock, gespielt von Gads Vater, verlässt. Nun, mit Werner Krauß in der Rolle des Shylocks vibriert der Antisemitismus unter den Zuschauern. Vorbei auch Gads Zeiten in der kommunistischen Jugend. Statt Einheitsfront nun die SA. Die einstigen Kameraden nun die braunen Gegner. Der Antisemitismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, die subtile Bedrohung wird zur offenen. Der Vater, Alexander, flüchtet vor der Gestapo zunächst in die Schweiz, dann nach Polen und Russland, wo ihn Stalins Großer Terror trifft. Nur mit Hilfe von Lion Feuchtwanger überlebt er und kann in die USA fliehen. Gads Rettung heißt Palästina. In Hamburg erlernt er verschiedene Berufe vom Maurer bis zum Backofenbauer, um ein Arbeitszertifikat zu erhalten. Palästina braucht keine Akademiker, denn Palästina heißt Wüste und Aufbauarbeit. 1936 ist es soweit. Als Pionier betritt er die neue Heimat, den Boden von Haifa und lebt und arbeitet im Kibbuz Schwaijm. Jeder Tag ist eine neue Herausforderung, die falschen Vorstellungen und Visionen weichen der Realität. Die aus Ost- und Westjuden bestehende Gemeinschaft im Kibbuz tut sich schwer. Zu groß ist der Kulturunterschied. „Wir konnten nicht verstehen, was die Polen aßen und sie nicht, wie wir aßen.“ Eine sozialistische Gemeinschaft, die sich zu viert ein Zelt teilt, deren Nahrung nur aus Auberginen besteht, „…bis das Zeug aus den Ohren rauswuchs.“ Die neue Heimstätte heißt schuften in der Hitze. Das Land, in dem Milch und Honig fließen, bietet nichts außer Wüste. Eine Wüste, die die Pioniere Baum für Baum zivilisieren. Gad sagt, „Als ich 1936 nach Schwaijm kam, war da nackter Arsch, …“ Gads Kibbuzjahre sind 1944 vorbei. Es folgen Stationen am Toten Meer, wo er gemeinsam mit Arabern in der Salzlauge steht, wo noch nichts von der nahenden Feindschaft spürbar ist. Wie ein Magnet zieht Jerusalem während der Mandatszeit Juden, reiche Araber, Tanzbegeisterte, wilde Partygänger, Konzertsüchtige und auch Gad an. Jerusalem, eine Stadt mit vielen Gesichtern wie dem von Else Lasker-Schüler, die selbst im Hochsommer im Wintermantel spazieren geht, mit vielen Gesichtern aus aller Welt in den zahlreichen Cafés wie dem Atara in der Flaniermeile, der Ben Jehuda Straße. Doch das Lokalkolorit geht mit der Staatsgründung Israels und dem Aufstreben der Ultra-Orthodoxen allmählich verloren. Das Kosmopolitische kann diesen Fundamentalismus, der sich nach Gad keineswegs vom arabischen Fundamentalismus unterscheidet, nicht unbeschadet überstehen. Auch die Konfrontation mit den arabischen Nachbarn nimmt zu. Bereits vor der Staatsgründung Israels zeigt sich die Haltung der Araber gegenüber den jüdischen Pionieren. 1941 fallen die ersten Bomben auf Tel Aviv, mit der Gründung des Staates Israel greifen die arabischen Nachbarstaaten den neuen Staat an. Jerusalem wird geteilt und erst im Jahr 1967 im Sechstagekrieg wieder vereint. „Zusammenleben zwischen Juden und Arabern könnte schon funktionieren, wenn wir bei denen und die bei uns kaufen würden.“ Gad lebt heute mit seiner Katze in Jerusalem und er möchte Gott eigentlich mal fragen, warum er sich für die Erschaffung der Welt nicht mehr Zeit gelassen hat.
Fazit
Gad Granach zeichnet es wie kein anderer. Das Gesicht der jüdischen Emigration. Bissig und witzig schildert er die bewegenden Momente seines Lebens. Da ist das Berlin der Bohème der 20er und 30er Jahre, der avantgardistische Vater, die weltoffene Mutter, da sind sie die antisemitischen Milieus, die falschen antisemitischen Freunde, da ist sie, die Verleugnung der Wahrheit durch die deutschen Juden. „Sind mit Eisernem Kreuz nach Auschwitz gefahren und haben bis zum Schluss nicht gemerkt, wo sie waren.“ Da ist die Flucht des Vaters, den er nie wieder sehen wird. Da ist die Rettung der Mutter in letzter Minute. Da ist die zionistische Vision und die letzte Ausfahrt Palästina. Palästina, ein Gemischtwarenladen der Kulturen, den er als Pionier betritt. Palästina, für die meisten Einwanderer eine Ernüchterung. Kein Land mit Milch und Honig, sondern eine karge Wüstenlandschaft ist das, was für sie, die Juden, gedacht ist. Mit aller Kraft und unter dürftigen Lebensbedingungen im Kibbuz pflanzen sie die ersten Bäume und bringen die Wüste zum Erblühen. Es ist aber nicht nur die Herausforderung, das Land urbar zu machen und mit den vielen Kulturen zu recht zu kommen, die Gad Granach eindrucksvoll beschreibt. Es ist das kosmopolitische Jerusalem, die Konfrontation mit den fundamental Religiösen und mit den arabischen Nachbarn. Granach zeigt sie auf, die Absurdität, von der die Einwanderer betroffen sind. Geflüchtet vor der Gewalt der Nazis, fliehen sie geradezu in die Gewalt der Araber. Er lässt kein gutes Haar an der Haltung der internationalen Staatengemeinschaft, die nur auf einem Auge moralisch sieht. Die arabische Angriffe und die Existenzbedrohung Israels klein redet und israelische Verteidigungsstrategien verurteilt. Denn eins ist klar. Granach ist auch Palästinenser. Hat er doch 1945 dem Staat Palästina die Treue geschworen.
Ein jüdischer Emigrant erzählt und zwar mit ganz viel Leidenschaft und echt starkem Humor. Tiefgründig und mit witzigen Pointen schärft er den Blick für das Leben der deutschen Juden in den 30er Jahren, für die erzwungene Emigration nach Palästina und für das heutige Israel. Gad Granach, es fällt schwer ihn aus der Hand zu legen, diesen ganz großen Erzähler.
Autorin: Soraya Levin
Gad Granach: Heimat los!: Aus dem Leben eines jüdischen Emigranten, Aufgezeichnet von Hilde Recher, Fotos: Privatarchiv Gad Granach, Jerusalem, Ölbaumverlag, Augsburg 1997, EUR 19,90, ISBN 3-927217-31-X