Die Reichsgründung vor 150 Jahren war keineswegs ein monokausales Ereignis. Es gibt eine umfangreiche Vorgeschichte, in Deutschland selbst, wie auch in Europa (über London und Paris, von St. Petersburg bis Wien, ja sogar das „kleine“ Dänemark hatte seinen Anteil).
Als Ergänzung zu meinem Beitrag über Bismarck sollen nachfolgend die politischen wie militärischen Schritte und Etappen nachgezeichnet werden. (1) Denn sowohl die politischen als auch die militärischen Gesichtspunkte, die letztlich 1871 zur Gründung eines deutschen Nationalstaates führten, haben jeweils eine Entstehungsgeschichte; insbesondere die drei Einigungskriege waren keine unvermeidbaren Naturkatastrophen oder eine Pandemie, die gleichsam über Nacht einen ganzen Kontinent heimsuchte.
Daher soll auch der „Krieg als Mittel der Politik“ bzw. im Sinne eines Rechtsverhältnisses zwischen den Staaten und Nationen im Europa des 19. Jahrhundert betrachtet werden.
I) Vorbemerkung
Gerne wird Otto von Bismarck als die treibende Kraft bei der Reichsgründung genannt; natürlich kann er nicht weggedacht werden, ohne dass die konkrete Einigung zwischen dem Norddeutschen Bund, den er ja auch 1867 ins Leben gerufen hatte, und den süddeutschen Staaten auf Basis der „kleindeutschen“ Lösung Anfang 1871 entfiele. Er ist unbestritten die maßgebliche Person auf dem Weg zur Kaiserproklamation im Spiegelsaal des Versailler Schlosses; aber die tiefere Ursache für die sich nach dem Sieg über Frankreich verfassungsrechtlich konstituierende Nation ist er nicht. Wenn man schon versucht, eine derart komplexe Entwicklung an einer Person festzumachen, dann trägt diese Ursache vielmehr den Namen Napoleons I. (Bonaparte), der durch seine rücksichtslose Eroberungspolitik das „Alte Reich“ 1806 zum Einsturz gebracht hatte, so dass es in Deutschland weit über sechzig Jahre keine wirklich greifbaren gesamt-„staatlichen“ Strukturen gegeben hat. Jetzt ließe sich natürlich einwenden, dass das „Alte Reich“ überhaupt kein „Staat“ im modernen Sinne gewesen sei, auch das ist richtig: letztlich war es sogar noch ein mittelalterlich konstruiertes „Lehnswesen“. Aber die Zerstörung des „Reiches“ als politische und geistige Grundlage in der Mitte Europas hat zu einem eigenartigen Zustand der „ideellen und staatlichen Schwebe“ geführt, denn der 1815 gegründete Staatenbund war ja im Grunde genommen weder „Fisch noch Fleisch“; wobei an diesem Zustand der politischen „Indifferenz“ natürlich auch der letzte Kaiser des Reiches und erste Kaiser von Österreich nicht ganz unbeteiligt gewesen ist. (2)
Natürlich kam den bis zum Untergang des „Alten Reiches“ bereits lange selbständig agierenden „Gliedstaaten“, allen voran Österreich und Preußen, Staatsqualität zu; ehrlicherweise war es ja bereits im 18. Jahrhundert der Dualismus zwischen beiden, wodurch auf „Reichsebene“ eine Handlungsunfähigkeit entstanden ist, die dann von französischen Revolutionstruppen (bereits Jahre vor Napoleon I.) ausgenutzt wurde.
Aber die entscheidende Schwächung des tradierten Herrschaftsgefüges im „Alten Reich“ hat Napoleon I. bewirkt: nicht nur sein „Vasallenstaat“ Rheinbund oder das künstliche Königreich Westphalen, besonders die Beinahe-Liquidierung Preußens im Frieden von Tilsit 1807 haben dem deutschen Michel mit seinem Hang zur Romantik stark zugesetzt. Bei dieser Ausgangssituation ist es auch nicht verwunderlich, dass der damals bekannteste und einflussreichste Philosoph, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, in einem seiner wichtigsten Werke, den Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1821, den „Staat“ ganz besonders behandelte, fast überhöhte: „Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee“. (3)
II) Einleitung
Unabhängig von philosophischen oder verfassungsrechtlichen Vorüberlegungen war die politische Situation im Zentrum Europas um die Mitte des 19. Jahrhunderts unbefriedigend. Auch die Ereignisse der Jahre 1848/49 konnten letztlich nicht dazu beitragen, dass dieser „Zwischenzustand“ nach dem Wiener Kongress aufgehoben worden wäre. (4) Die „Paulskirche“ hat zwar viel für das erst später einsetzende Verfassungsverständnis, insbesondere bei den „Grundrechten“, bewirkt, aber eine befriedigende „Staatsorganisation“ wurde in Frankfurt nicht begründet. Das lag nicht nur an der Weigerung des preußischen Königs, Krone und Titel eines „Kaisers der Deutschen“ (so die offizielle Bezeichnung nach § 70 der Paulskirchenverfassung 1849) anzunehmen, sondern am ungelösten Grundproblem des Verhältnisses zwischen Österreich und Preußen. Österreich war ja selbst bereits seit 1804 (unter damals verfassungsrechtlich sehr bedenklichen Umständen) ein „Kaiserreich“, hätte aber im geplanten „Staatenhaus“ (vergleichbar mit dem späteren Bundesrat) weniger stimmberechtigte Mitglieder haben sollen als das Königreich Preußen. (5)
Der alles überlagernde Konflikt zwischen Befürwortern einer „großdeutschen“ und den Anhängern der sog. „kleindeutschen“ Lösung überschattete letztlich die entscheidenden politischen Verhandlungen in der Paulskirche. Die zusätzlichen militärischen Eingriffe – ab Frühjahr 1849- in die erste gesamtdeutsche „Demokratiebewegung“ haben dann dieses Kapitel sehr schnell beendet.
Nachdem Preußens König Friedrich Wilhelm IV. im April 1849 die ihm angetragene Kaiserwürde abgelehnt hatte, blieb die Frage offen, wie es mit der geplanten Staatlichkeit Deutschlands weitergehen sollte. Bereits Ende Mai 1849 schloss Preußen ein „Dreikönigsbündnis“ mit Sachsen und Hannover, aus dem dann im Frühjahr 1850 die sog. Erfurter Union entstehen sollte, ein konservativer Einigungsversuch auf ein „Deutsches Reich“ als „kleindeutscher“ Bundesstaat unter preußischer Führung (institutionell und organisatorisch stark an die Paulskirchenverfassung angelehnt; im großen Unterschied zu 1871). Schon im Sommer 1850 hatten sich viele der Staaten, die ursprünglich bei dieser „Union“ mitmachen wollten, von diesen Planungen verabschiedet, im Herbst musste Preußen auf entschiedenen Druck Österreichs und Russlands auf diese endgültig verzichten (Vertrag und Schmach von Olmütz, s. Beitrag zu Bismarck).
Der Status quo des wiederbelebten Deutschen Bundes mit seinen Strukturen von 1815, vor allem der „Bundesakte“, blieb daher noch etliche Jahre bestehen, bis Österreich im Sommer 1863 ein eigenes „Reformprojekt“ vorstellte und auf dem sog. Frankfurter Fürstentag umsetzen wollte. Nach Preußens Absage war auch dieser Vorstoß gescheitert. (6)
III) Konflikt um Schleswig-Holstein
Wie so häufig, musste der entscheidende Impuls von außen kommen. Bereits 1848 hatte Dänemark versucht, die durch die revolutionären Umtriebe entstandene allgemeine Verwirrung im Deutschen Bund auszunutzen, und seine Stellung in Holstein zu verbessern. Hintergrund war das besondere Verhältnis der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein (das deutlich kleinere Lauenburg kann hier außer Betracht bleiben). Holstein war unbestritten ein „deutsches“ Territorium, gehörte daher ohne Vorbehalt zum Deutschen Bund. Deutlich komplizierter war die „Sach- und Rechtslage“ im Falle Schleswigs: Wie viele andere Grenzregionen auch, war Schleswig im Laufe der Jahrhunderte zu einer Art Spielball geworden. (7) Neben wechselnden Herrschern und Dynastien entwickelte sich auch eine besondere kulturelle Mischung, die sich im günstigen Fall gegenseitig beförderte, im ungünstigen Fall zu nationalistischem Streit führen konnte. Das auch staatsrechtlich besondere Verhältnis zwischen Schleswig und Holstein geht mindestens bis auf das Jahr 1460 (Vertrag von Ripen) zurück und markierte mit dem Ausspruch „Up ewig ungedeelt“ eine in Deutschland einzigartige Verbindung von Staats- und Lehnsrecht, die im weiteren Verlauf der Geschichte noch zu einigen Wechselfällen führen sollte. Staatsrechtlich gehörte zumindest das Herzogtum Schleswig zu Dänemark, jedoch nicht zum 1815 gegründeten Deutschen Bund, der dänische König als Lehnsherr des deutschen Holstein war allerdings Mitglied dieses Staatenbundes geworden. Wie bereits oben bezeichnet (weder Fisch noch Fleisch), war es eine der Besonderheiten, dass ihm gleich mehrere ausländische Monarchen angehörten: neben dem König von Dänemark auch noch der König der Niederlande und bis 1837 der König des Vereinigten Königreichs.
Neben dieser politischen wie verfassungsrechtlichen Sonderstellung, dem Deutschen Bund gehörten nicht nur der Kaiser von Österreich, sondern gleich mehrere souveräne Königreiche (Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg, ab 1837 auch das nun von England losgelöste Hannover) an, kamen noch weitere außenpolitische Besonderheiten hinzu: Die auf dem Wiener Kongress maßgeblich beteiligten Staaten betrachteten sich als „Garantiemächte“, die sich gerne Vetorechte vorbehalten wollten. Auf Dauer konnte dieses Konstrukt in der Mitte Europas nicht gutgehen. (8)
„Dann war es der Konflikt um Schleswig-Holstein, der die deutsche Nationalbewegung intensivierte und nach außen lenkte. Das war zunächst eine regionale Sache (…). Der Landespatriotismus dort, altständisch und frühkonstitutionell, wurde seit den 30er Jahren national umgeprägt. 1830 schon forderte …, Landvogt von Sylt und ehemaliger Burschenschafter, eine gemeinsame Repräsentativverfassung für die beiden Herzogtümer und die Beschränkung der Bindung an Dänemark auf bloße Personalunion. (…) die Regierung bewilligte nur getrennte Provinzialstände. Abgeordnete dieser Stände schlossen sich aber Mitte der 30er Jahre locker zusammen und ebenso Vertreter der Dänen in Schleswig, deren radikaler Flügel den vollen Anschluss Schleswigs an Dänemark (Eiderdänen) wollte. Aus der altmodischen Frage der Landesautonomie in einem dynastischen Gesamtstaat war eine nationale Frage geworden. Der Konflikt verschärfte sich – noch einmal altmodisch – wegen eines Problems der Thronfolge: der seit 1839 regierende dänische König war kinderlos, ebenso sein Bruder und Erbe, in Dänemark galt dann die weibliche, in Holstein die männliche Erbfolge, in Schleswig war die Sache umstritten. König und Regierung versuchten, Schleswig stärker in den dänischen Staat zu integrieren und auch die dänische Sprache dort aufzuwerten. Dagegen nun die neue nationaldeutsche Bewegung. Sie forderte, indem sie die Erbansprüche eines Herzogs von Augustenburg unterstützte, die untrennbare Zusammengehörigkeit Schleswigs mit Holstein“. (9) Zu den o.g. staats- und lehnsrechtlichen Besonderheiten seit dem 15. Jahrhundert kamen nun auch noch spezielle Komplikationen des Erbrechts hinzu. (10)
Als 1848 fast auf dem ganzen Kontinent die Menschen sich gegen Unterdrückung bzw. auch die schlechten sozialen Verhältnisse zur Wehr setzten, haben aber auch im Norden Deutschlands bzw. im Süden Dänemarks Oppositionelle versucht, die dortige Situation zu ändern; und zwar im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Zuordnung der beiden Herzogtümer. Sowohl nationalliberale Kräfte vor allem aus dem deutschen Holstein, als auch dänische Nationalisten, die als sog. „Eiderdänen“ bezeichnet werden, wollten Schleswigs Stellung endgültig in ihrem Sinne klären. Da Anfang 1848 der dänische König, der eigentlich die Erbfolge in allen Landesteilen ändern wollte, verstorben war, wurde sein Nachfolger von den „Eiderdänen“ bedrängt, den Fluss Eider als Staatsgrenze zu bestimmen, wodurch Schleswig offiziell von Holstein abgetrennt worden wäre, was natürlich den Holsteinern, aber mehr noch den deutschgesinnten Bewohnern Schleswigs überhaupt nicht passte.
In der ab Frühjahr 1848 beginnenden gewaltsamen Aufstandsbewegung der deutschen Schleswig-Holsteiner spielten zu allem Überfluss auch noch erbrechtliche Ansprüche des Hauses Augustenburg eine Rolle, der betreffende Herzog von Holstein unterstützte ausdrücklich die „deutschen“ Aufständischen; vor allem auch, weil er dadurch eigene Ansprüche auf das gesamte dänische Königreich verbinden wollte: undurchsichtiger geht es kaum noch. (11)
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass sowohl „Eiderdänen“ (wenn man so will die dänischen Nationalisten) als auch die deutschen Nationalisten im Grunde auf Seiten der Demokratiebewegung standen. Gerade in Deutschland waren es die Burschenschaften (aber auch Turn- und Gesangsvereine), die den Demokratiegedanken vertraten, so beim Wartburg- und Hambacher Fest 1817 bzw. 1832. Aber auch die dänische Nationalbewegung war im Prinzip auf parlamentarische Vertretung und demokratische Regierungsbildung gerichtet. Daher ist es schon paradox, wenn es sprachlich-kulturelle Eigenheiten waren, die zu den Feindseligkeiten zwischen beiden Volksgruppen geführt haben; zumal „deutsch“ und „dänisch“ jetzt nicht so weit entfernt wären und die konfessionelle Bindung (in Norddeutschland wie in ganz Skandinavien ist das Luthertum bzw. der Protestantismus traditionell stark) hätte doch Brücken bauen müssen. Aber es kam anders.
Nach wechselhaftem Kriegsverlauf gingen die Dänen endgültig im Herbst 1850 als Sieger aus dieser Schleswig-Holsteinischen Erhebung (oder auch des ersten deutsch-dänischen Krieges) hervor; zumindest vorläufig beendet durch das sog. Londoner Protokoll 1852. Jedoch bereits Anfang der 1860er Jahre wurden erneut Eiderdänen aktiv und sogar an der dänischen Regierung beteiligt, die 1863 darauf drängten, dass das Herzogtum Schleswig verfassungsrechtlich stärker in den Gesamtstaat eingebunden werden sollte, so dass ein Bruch der Bestimmungen des Londoner Protokolls von 1852 vorlag. Jetzt wurde auch der Deutsche Bund aktiv, da es um die Wahrung völkerrechtlicher Bestimmungen und die territoriale Integrität eines Mitgliedsstaates ging: Im Herbst 1863 wurde förmlich eine sog. Bundesexekution beschlossen, wodurch Truppen des Deutschen Bundes, und zwar aus verschiedenen Bundesstaaten, nach Holstein (und Lauenburg) entsendet werden konnten; der Auftakt zum eigentlichen „deutsch-dänischen“ Krieg.
Auch hier ist paradox, dass das Eintreten des Deutschen Bundes für seine Integrität im Ergebnis dazu führte, dass er keine drei Jahre später selbst „erledigt war“.
IV) Deutsch-dänischer Krieg 1864
Nachdem der Deutsche Bund eine nach der Bundesverfassung vorgesehene (also zumindest theoretisch zulässige) militärische Aktion eingeleitet hatte, mit dem Ziel, die Rechtsposition Holsteins zu sichern (laut Bundesakte stand Holstein eine landständische Verfassung zu, die geplante dänische „Novemberverfassung“ hätte dies beeinträchtigt), standen sich also zum Jahresbeginn 1864 im Norden Deutschlands zwei feindliche Heere gegenüber. Bis hierhin war von der Person Bismarcks noch nicht einmal ansatzweise die Rede! Der im Herbst 1862 angetretene preußische Ministerpräsident war bis dahin auch erst zweimal außenpolitisch in Erscheinung getreten: Mit der sog. Konvention von Alvensleben konnte im Februar 1863 ein grundsätzliches Einvernehmen mit Russland über das Vorgehen bei polnischen Aufstands- bzw. Unabhängigkeitsbewegungen erzielt werden. (12) Außerdem gelang es Bismarck, Anfang 1864 endgültig die Einbeziehung Österreichs in die Bundesexekution zu erwirken. (13) Dadurch waren mit der Durchführung der Besetzung der Herzogtümer von Holstein und Lauenburg neben Preußen formal auch Österreich, Sachsen und Hannover gemeinsam beauftragt worden, was für die anderen europäischen Nachbarn durchaus erträglich erschien.
Insofern konnte Bismarck schon einmal sein strategisches Geschick unter Beweis stellen; die grundsätzliche Frontstellung zwischen Dänemark und dem Deutschen Bund, also den eigentlichen Kriegsgrund, hatte er aber nicht einmal ansatzweise beeinflusst, da dies über fünfzehn Jahre zurückreichte, nämlich mindestens bis ins Jahr 1848 (eigentlich noch einige Jahre früher). Dabei haben, wie kurz dargestellt, auch dänische „Aktivisten“ mitgespielt, völlig losgelöst von preußischen Vorstellungen und Wünschen. Diese Feststellung ist nicht ganz unerheblich, wenn es um die Frage nach Bismarcks Bedeutung in den Jahren 1863 und 1864 geht. Er hat im Zusammenhang mit der Schleswig-Holstein-Frage nur reagiert; allerdings durchaus geschickt.
Als erste Truppen Ende 1863 in Schleswig-Holstein einmarschierten, handelte es sich um sächsische und Hannoveraner Verbände, in deren Gefolge der augustenburgische Thronanwärter mit ins Land gekommen war und sich von den deutschen Bewohnern als neuer Herrscher feiern ließ. An diesem Punkt ergriffen aber sowohl Preußen wie Österreich Partei für die Einhaltung des Londoner Protokolls von 1852, vertraten also den sog. Rechtsstandpunkt. Danach wäre die Vereinigung Holsteins mit Schleswig unter einem Augustenburger Herzog rechtswidrig gewesen. Um diesen möglichen „Rechtsbruch“ zu verhindern, beschlossen Preußen und Österreich ihrerseits, gemeinsam eine „Pfandbesetzung“ des Herzogtums Schleswig vorzunehmen bzw. durchzuführen. (14)
Einerseits sollte der dänische König zur Rücknahme einer Verfassungsänderung gedrängt werden, aber andererseits auch die eigenmächtigen Bestrebungen der sog. Mittelstaaten (wie Sachsen und Hannover) abgeblockt werden. Daher kam es auch innerhalb des Deutschen Bundes zu kontroversen Auseinandersetzungen, vor allem die unbeteiligten Mittelstaaten lehnten das eigenmächtige Verhalten der beiden führenden Staaten Preußen und Österreich ab, da es der ursprünglichen Zielsetzung widersprach und vor allem als Provokation angesehen wurde. Beinahe hätten sich Sachsen und Hannoveraner in Frontstellung zu preußischen und österreichischen Truppen gesehen. Folge dieser internen Konflikte war, dass die Bundesversammlung, somit der Deutsche Bund als Institution, die offiziellen Bundestruppen von der weiteren Teilnahme zurückzog.
Wer war zu diesem Zeitpunkt eigentlich „im Recht“? Was war Ursache und Wirkung? Ein einfacher Sprachenstreit unter verschiedenen Volksgruppen? Unterschiedliche Ausprägungen des „nationalen“ Gedankens oder doch nur dynastische und damit letztlich erbrechtliche Begehrlichkeiten? (15) Noch konfuser und für Außenstehende (wie z.B. auch Engländer und Franzosen) undurchsichtiger ging es kaum noch. Aber so kalt und durchtrieben war die Außenpolitik der europäischen Großmächte insgesamt, aber die von Bismarck insbesondere: kleinere Staaten waren nur strategische Punkte auf der Landkarte, auf die Bevölkerung wurde keinerlei Rücksicht genommen. Die militärischen Aktionen, genauer gesagt der konkrete Verlauf des Krieges zwischen Dänemark und der eigenartigen Koalition von Preußen und Österreichern, waren aber auch nicht unbedingt vorprogrammiert. Zumindest ist die übliche Bezeichnung als „deutsch-dänischer“ Krieg nicht ganz zutreffend, da an den eigentlichen Kampfhandlungen der Deutsche Bund nicht (mehr) beteiligt gewesen ist. In den gängigen Darstellungen wird auch meist der Eindruck vermittelt, als sei der Erste Einigungskrieg 1864 eine Art Selbstläufer und die Dänen völlig chancenlos gewesen. Zunächst darf nicht verschwiegen werden, dass die Dänen ein Volk von Seefahrern (gewesen) sind, daher auch den Seekrieg beherrschten, deutlich besser als die Preußen oder andere Staaten, die kaum über maritime Streitkräfte verfügten. Anfänglich war der von Dänemark beschrittene Weg des „Kaperkrieges“ gar nicht so erfolglos.
Dann ist zu bedenken, dass preußische Truppen seit Juni 1815 (Waterloo) nicht mehr aktiv gekämpft hatten, lässt man die eher unrühmlichen Einsätze im Inneren 1848/49 außer Betracht. Auch wenn die „Heeresreform“ (eigentlicher Auslöser der Verfassungskrise in Preußen) die Armee modernisieren und strategisch besser aufstellen sollte, war aber deren Schlagkraft 1863/64 noch nicht wirklich unter Beweis gestellt, also eher spekulativ. Und Österreich hatte erst wenige Jahre zuvor gegen eine ebenfalls seltsame Koalition bestehend aus Frankreich (unter „Kaiser“ Napoleon III.) und dem Königreich „Sardinien-Piemont“ 1859 eine empfindliche und auch verlustreiche Niederlage einstecken müssen. So eindeutig waren die Chancen also nicht verteilt.
Erst strategische Fehler im Landkrieg des dänischen Heeres brachten der preußisch-österreichischen Koalition entscheidende Vorteile. (16) Mitte April 1864 war die militärische Niederlage Dänemarks nicht mehr abzuwenden, auch wenn noch fast drei Monate weitergekämpft und auf beiden Seiten gestorben wurde. Im Juli wurde ein Waffenstillstand vereinbart, Ende Oktober 1864 wurde in Wien der Frieden geschlossen. Unmittelbare Folge des Friedensschlusses war, dass Dänemark die drei Herzogtümer gebietsmäßig abtreten musste, diese somit nicht mehr zum dänischen Gesamtstaat gehörten und unter gemeinsame Verwaltung durch die beiden Siegermächte gestellt wurden, sog. österreichisch-preußisches „Kondominium“ über Schleswig-Holstein. (17) Verwaltungstechnisch wurden daher zunächst auch zwei „Regierungskommissare“ für die gesamte Region eingesetzt; wobei allen Beteiligten klar war, dass dies nur eine Übergangslösung sein konnte. Spannend war nämlich die Frage, was bezweckten Preußen und Österreich eigentlich mit der „Kriegsbeute“?
Sicher nicht die im August 1865 in Bad Gastein getroffene Kompromisslösung, wonach Lauenburg gegen Entschädigung an Preußen veräußert wurde und die bisher gemeinsame Verwaltung des „Kondominiums“ beendet und die Exekutivrechte über Schleswig auf Preußen und die über Holstein auf Österreich übertragen wurden. Das waren ja keine wirklichen politischen Ziele, die den vorherigen Krieg auch der eigenen Bevölkerung gegenüber gerechtfertigt hätte. Hatte Österreich in dieser Frage überhaupt einen Plan oder war man Getriebener der Ereignisse? Kaiser Franz Joseph hatte im Sommer 1866 in einer Erklärung versucht zu erläutern, warum Österreich zwei Jahre zuvor an der Seite Preußens gegen Dänemark gekämpft hatte. Im Mittelpunkt hätte die Wahrung vertragsmäßiger Rechte gestanden und man habe „einen bedrohten deutschen Volksstamm zu schützen“ versucht, dabei den unvermeidlichen Krieg begrenzen und schließlich der Erhaltung des europäischen Friedens dienen wollen. (18) Sehr mau, was der österreichische Kaiser nachträglich zum Besten gab, zu einem Zeitpunkt (Sommer 1866), als der nächste Waffengang schon eingeleitet war (siehe unten).
Tatsächlich stand Anfang 1864 in der Wiener Hofburg die Überlegung im Raum, es nicht zulassen zu können, dass sich Preußen im unvermeidlichen Krieg gegen Dänemark als alleiniger Sieger in Norddeutschland durchsetzen und damit die unumstrittene Führungsmacht zumindest nördlich des Mains werden würde, wodurch auch die fragilen Machtverhältnisse im Deutschen Bund zu Ungunsten Österreichs verschoben worden wären. Genau das hatte nämlich Bismarcks damalige Außenpolitik im Sinn: der im Inneren zu Reformen unfähige Deutsche Bund musste durch „externe“ Verschiebungen der Machtverhältnisse zu Preußens Gunsten verändert oder (noch besser) gleich ganz abgeschafft werden. Mittelfristiges Ziel war die Errichtung entweder eines starken preußischen „Gesamt“-Staates oder zumindest eines klar von Preußen dominierten Bundesstaates.
Bedenkt man hierbei, dass der preußische König eigentlich ein unbedingter Verfechter des monarchischen Prinzips war, somit grundsätzlich an der Besitzstandswahrung der übrigen Monarchien, die im Deutschen Bund versammelt waren und gemäß der Bundesakte ihre Hoheitsrechte verbrieft hatten, interessiert war, schied die Gründung eines typischen Zentralstaates eigentlich aus. (19) Hierzu wäre die vollständige Entmachtung oder gar Vertreibung der bisher regierenden Adelsfamilien notwendig gewesen. Das wäre nicht bloß ein Affront gegenüber den anderen deutschen Herrscherfamilien gewesen, die in der Bundesakte von 1815 ausdrücklich genannt waren und mit denen das Haus Hohenzollern auch in vielfältiger Weise verwandt oder verschwägert gewesen ist, sondern die Preisgabe eines Strukturprinzips und der Legitimationsgrundlage (das Gottesgnadentum). Das für Monarchisten total abschreckende Beispiel Frankreichs stand vor aller Augen. (20)
Bismarck selbst war zwar auch ein „eingefleischter“ Royalist, aber eher flexibel bei Grundsatzfragen; bei ihm stand ausschließlich das preußische Staatsinteresse im Mittelpunkt. Er wusste zwar um die große Bedeutung der Monarchie im Allgemeinen und der einzelnen Dynastien im Besonderen, hatte aber weniger Skrupel bei der Durchsetzung von Machtfragen. Bismarck war felsenfest davon überzeugt, dass Preußen nur dann im Konzert der europäischen Großmächte mitspielen konnte, wenn es in Deutschland unangefochtene Führungsmacht sein würde, ohne die dauernde Beeinflussung Österreichs.
Interessant ist ja neben diesen rein machtpolitischen Bestrebungen, die um 1860 vorherrschten und auch Bismarcks Handeln diktierten, dass die übrigen deutschen Staaten, vor allem die sog. Mittelstaaten, niemals den ernsthaften Versuch unternommen haben, Österreich in den Deutschen Zollverein zu „integrieren“; teils könnte man sogar von einer bewussten Negierung der Donaumonarchie sprechen. (21) Um den ersten Abschnitt auf den Weg zur deutschen Einheit von 1871 abzurunden, eine kurze Anmerkung von militärischem Interesse: Zunächst hatte der alte „Haudegen“, General Friedrich von Wrangel, den Oberbefehl auf preußischer Seite, später übernahm Prinz Friedrich Karl v. Preußen (ein Neffe Wilhelms I.), die Verantwortung und trug maßgeblich zum Sieg an den Düppeler Schanzen bei.
Ein kurzes Fazit gibt ein Fachmann für deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Prof. Nipperdey: „Das war ein merkwürdiger Krieg gewesen. Es ist simplifizierend, ihn aus der Perspektive von 1866 und 1870 als Annexions- und Hegemonialkrieg zu beschreiben. Die Gegensätze waren seit langem gegeben, und es war unmittelbar die dänische Politik, die zur Krise und zum Kriege forttrieb. Freilich, Bismarck nahm dann Krise und Krieg gerne an und trieb beides initiativ weiter und formte es in seinem Sinne um. Der Krieg blieb ein altmodischer Kabinetts- und Koalitionskrieg. Es war zunächst kein Nationalkrieg, er wurde geführt im Gegensatz zur popularen Bewegung; Bismarck hat ihn nicht nationalisiert, sondern umgekehrt gerade internationalisiert. Damit freilich hat er die internationalen Verwicklungen vermieden“. (22)
Der zuletzt genannte Punkt, dass Bismarck es durch eine geschickte Taktik schaffte, dass sowohl die Flügelmächte Großbritannien und Russland, aber auch das wieder auf seine nationale Größe bedachte Frankreich sich nicht in die „dänisch-deutschen“ Verwicklungen eingemischt haben, wodurch theoretisch ein heilloses Durcheinander hätte entstehen können (wenige Jahre nach dem Krimkrieg), war schon eine beachtliche Leistung des früheren Heißsporn. Im Übrigen war er 1864 bei den militärischen Planungen und Aktionen gänzlich unbeteiligt. Die Pläne waren teilweise schon vorher ausgearbeitet worden (der ältere Moltke). General Wrangel unterstellte Bismarck sogar, zu schwächlich agieren zu wollen; also unter rein militärischen Gesichtspunkten hätte Preußen wohl auch ganz ohne Bismarck gesiegt.
V) Der „deutsche“ Krieg von 1866
Auf die Darstellung der Vorgänge von 1864 wurde auch deshalb etwas mehr Wert gelegt, weil sonst dieser erste „Einigungskrieg“ üblicherweise eher als Randnotiz behandelt wird. Weniger die militärischen Ereignisse sollten dabei im Vordergrund stehen, sondern die politischen Machtspiele und juristischen Verwirrungen; soll heißen: Wie einfach war es doch Anfang der 1860er Jahre einen Krieg vom Zaun zu brechen und sich dabei auch noch „auf das Recht“ berufen zu können. Wie explosiv und politisch undurchsichtig die gesamten Verhältnisse damals auf dem europäischen Festland gewesen sind, zeigt auch die Außenpolitik Frankreichs. 1859 noch im Verbund mit Italienern offen antiösterreichisch, bezweckte Napoleon III. ein taktisches Bündnis mit Preußen, wodurch dieser zu einem Schiedsrichter deutscher Angelegenheiten hätte werden können. (23) Napoleons Motiv für diese spezielle Bündnispolitik lag in einem neuen Hegemonialstreben Frankreichs, durch welches das fein austarierte Gleichgewichtsverhältnis in Europa seit dem Wiener Kongress zerstört worden wäre (der Neffe versuchte, den Spuren des Onkels zu folgen). Als Napoleon III. erkennen musste, dass ihm Bismarck nicht auf den Leim ging, vollzog er einen radikalen Kurswechsel. (24) Anfang Juni 1866schloss Frankreich mit Österreich ein geheimes „Defensivbündnis“, in dem es sich im Falle eines preußisch-österreichischen Krieges zur Neutralität verpflichtete. Natürlich mit territorialen Hintergedanken. Ein Aspekt französischer Innenpolitik, der vier Jahre später fatale Folgen haben sollte.
Genauso verworren, ja teils sogar opportunistisch waren die unmittelbaren „innerdeutschen Verhältnisse“: Der seit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts bestehende Dualismus zwischen Preußen als Emporkömmling und Österreich, das die Kaiserwürde im alten Reich gleichsam seit Jahrhunderten gepachtet hatte, spitzte sich immer weiter zu, zu einem fast schon totalen Streben nach Hegemonie bzw. Suprematie.
„Österreich war 1864 in eine fast absurde Lage geraten. Es war an Preußen gebunden und bekämpfte doch dessen Annexionstendenz, und es war seinen natürlichen Bundesgenossen, den Mittelstaaten, entfremdet. Schleswig-Holstein war eine auch strategisch unhaltbare Außenposition. Als Großmacht hatte es im europäischen Mächtespiel wenig Bewegungsfreiheit.“ (25)
Die diplomatische Posse in Bad Gastein im August 1865, als die Verwaltungsbefugnisse in Schleswig-Holstein zwischen Österreich und Preußen notdürftig geregelt wurden und sich Preußen gewisse Vorrechte auch in Holstein sichern konnte, zeigte eigentlich schon damals, dass die Zeichen der Zeit auf Krieg deuteten; ja ein solcher zwangsläufig kommen musste. Trotz oder wegen der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Deutschen Bund. Beide Großmächte agierten in einer gewissen zynischen Art und Weise über die Köpfe der kleineren Länder hinweg. Als im Januar 1866 in Holstein eine Volksversammlung stattfand, auf der Forderungen nach Einberufung der „Landesversammlung“ laut wurden und erneut die Ansprüche der Augustenburger betont wurden, was gegen die preußische Politik gerichtet war, protestierte Bismarck in Wien, weil er Österreich unterstellte, zumindest stillschweigend diese antipreußische Stimmung zu dulden oder gar zu schüren. Das juristische Argument, das Bismarck anführte, war, Österreich würde mit seiner Duldung der holsteinischen Bestrebungen eine Art „Pfandverschlechterung“ bewirken. (26)
Zeitgleich wurde auch der Deutsche Bund immer stärker demontiert. Auf den 1863 gescheiterten Frankfurter Fürstentag mit der geplanten Reformakte folgte im Frühsommer 1866 ein von Preußen vorgelegter Bundesreformplan, der direkt auf den Ausschluss Österreichs zielte. Kurz vorher, Anfang April 1866, hatten Preußen und Italien sogar ein Offensivbündnis geschlossen, das eindeutig einen Krieg gegen Österreich beinhaltete. Damit hatte Preußen direkt und bedenkenlos gegen die Pflicht aus der Bundesakte verstoßen, keinen Krieg gegen ein anderes Mitglied des Deutschen Bundes zu führen. Bereits der Abschluss eines derartigen Bündnisses mit einem Drittstaat war verboten. Diese eindeutige Verletzung von „Bundesrecht“ war ja auch der eigentliche Grund für Bismarck Anfang Juni 1866 in Frankfurt einen eigenen Reformplan vorzulegen und zumindest halbherzig für Unterstützung unter den Mittelstaaten zu werben. Als Mitte Juni 1866 der Bundestag gegen Preußen votierte, war es aber für eine friedliche Lösung bereits zu spät. Zu diesem Zeitpunkt war Preußen bereits ins österreichisch verwaltete Holstein einmarschiert, was eigentlich einen Kriegsgrund hätte darstellen können, aber Österreich zog sich zunächst kampflos aus Holstein zurück und wollte eine formale Klärung durch den Bundestag:
„Österreich seinerseits beantragte beim Deutschen Bund, die preußische Aktion in Holstein als verbotene Selbsthilfe gemäß Art. 11 der Bundesakte und Art. 19 der Wiener Schlussakte zu verurteilen und Bundestruppen mobil zu machen. Der Bundestag entsprach diesem Antrag mit neun zu sechs Stimmen. Das war für Bismarck der willkommene Anlass, den Bundestag des Bundesbruchs zu ziehen und den Bundesvertrag für erloschen zu erklären. Ein solches Erlöschen sah das Bundesrecht nicht vor, und auch ein einseitiger Austritt war nach Art. 5 der Wiener Schlussakte unstatthaft. Daher betrachtete Österreich die militärische Auseinandersetzung als Bundesexekution gegen das renitente Bundesmitglied Preußen, während Preußen den Bund für aufgelöst hielt und sich in einem Krieg zwischen souveränen Völkerrechtssubjekten fühlte.“ (27)
Der zweite Einigungskrieg war eröffnet, der diesmal als der Deutsche Krieg in die Geschichtsbücher einging. Bismarck hatte dadurch die Chance, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Österreich aus dem in absehbarer Zeit unausweichlichen Prozess der deutschen Nationalstaatsbildung herauszudrängen und den als lästig und überflüssig empfundenen Bundestag in Frankfurt am Main aufzulösen und somit den Deutschen Bund als juristisch erledigt zu behandeln.
Die eigentlichen Kriegshandlungen wurden am 16. Juni 1866 eröffnet, als preußische Truppen in Sachsen, Hannover und Kurhessen einmarschierten. Diese hatten kurz zuvor ein Bündnisangebot (eine verkappte Erpressung) Preußens abgelehnt, was in Berlin als Kriegsgrund betrachtet wurde; tatsächlich aber nur als Vorwand diente, das eigene Vorgehen zu rechtfertigen.
„Der Frontverlauf glich demjenigen von 1849/50, als Preußen nach Ablehnung der Kaiserkrone den Einigungsversuch der Erfurter Union unternommen hatte. An der Bundesaktion beteiligten auf Seiten Österreichs 13 Staaten, darunter alle Königreiche sowie Baden und beide Hessen. Dem preußischen Schritt folgten 18 überwiegend norddeutsche Staaten, unter denen Mecklenburg- Schwerin der größte war.“ (28)
Nicht zu vergessen, im Hintergrund lauerte Italien, das, wie oben kurz geschildert, mit Preußen einen „Angriffspakt“ gegen Österreich geschlossen hatte, wodurch große Teile der südlichen Grenzen Österreichs unter Druck gerieten.
Betrachtet man die beiden weiteren Einigungskriege oder generell die sonstigen Kriege im 19. Jahrhundert, war der „Deutsche Krieg“ erstaunlich schnell vorüber und eindeutig entschieden, nach etwas mehr als einem Monat. Als militärische Höhepunkte sollen kurz erwähnt werden: Preußische Verbände unter dem schon zwei Jahre zuvor erfolgreichen Prinzen Friedrich Karl v. Preußen eroberten gleich zu Beginn nahezu kampflos das Königreich Sachsen. Von dort aus ging es ins österreichische Böhmen, die „Entscheidungsschlacht“ folgte Anfang Juli in Königgrätz. (29) Dabei konnte sich insbesondere der preußische Kronprinz Friedrich (der spätere 99- Tage-Kaiser) seine Meriten verdienen und das Vertrauen beim Militär gewinnen.
Nach Königgrätz folgten zwar noch einige Nachhutgefechte, wie am 10.07.66 in Bad Kissingen und im Donauraum oder sogar kleinere Siege zugunsten Österreichs gegen italienische Land- und Seetruppen, doch die verheerenden Verluste bei Königgrätz hatten geradezu fatale Folgen: Österreich war militärisch am Ende und damit auch politisch blamiert. Somit waren nach knapp fünf Wochen die entscheidenden Schlachten zu Gunsten Preußens entschieden, was damals kein Mensch für möglich hielt. Selbst die Börsen und Spekulanten hatten gegen Bismarck gewettet.
Bereits am 22. Juli 1866 wurde zwischen Preußen und Österreich eine Waffenruhe vereinbart, die am 26. Juli zum Abschluss eines damals üblichen Vorfriedensvertrages (im mährischen Nikolsburg) führte. Der endgültige Friedensvertrag von Prag datiert vom 23. August 1866. Dadurch traten die unterschiedlichsten Auswirkungen ein: Österreich musste eine nicht übermäßige Kriegsentschädigung an Preußen zahlen und die Region Venetien an Italien abtreten; ansonsten aber keine größeren Gebietsverluste hinnehmen. Natürlich war es ab sofort nicht mehr an der innerdeutschen Politik beteiligt, praktisch war es von Deutschland getrennt (was aber die Gelegenheit zu inneren Reformen bot). Erst im November 1918 gab es wieder Ansätze, diese Trennung zu überwinden, indem „Deutsch-Österreich“ Teil einer neuen deutschen Republik werden wollte. Die Siegermächte haben dies 1919 in Versailles bzw. St. Germain verboten. Der „Anschluss“ 1938 erfolgte unter ganz anderen politischen Bedingungen. Italien konnte als Kriegsbeute den Großraum Venedig kassieren; nur auf dem Sprung, auch noch französisch besetzte Gebiete zu „befreien“.
Frankreich war im Ergebnis zumindest düpiert, denn es gab wegen des schnellen Kriegsverlaufs und -endes keinerlei Zugewinn. Innenpolitische Gegner Napoleons III. konnten dies durchaus als Schwäche auslegen. Doch dieser „war weise genug, die Gefahr zu erkennen, die in der Hysterie der Straße und der Presse lag. Er ließ daher in den regierungsnahen Zeitungen betonen, Deutschland nach dem Prager Frieden sei noch immer dreigeteilt, und das Nationalitätenprinzip habe gesiegt. Außerdem hoffte er, Luxemburg kaufen und damit die öffentliche Meinung seines Landes beschwichtigen zu können.“ (30)
Doch auch in diesem Punkt ging Frankreich leer aus; dies hätte für den französischen Kaiser ein Wink mit dem Zaunpfahl sein sollen, dass ihm der preußische Junker „im Fallenstellen überlegen war“. England und Russland hatten sich aus unterschiedlichen Motiven aus dem gesamten Konflikt herausgehalten. Die Engländer vor allem, weil sie keinesfalls französische Hegemonialbestrebungen fördern wollten, daher war ein zusammenhängendes Gebiet rechts des Rheins ein strategisch gewünschtes Bollwerk, sofern dieses nicht ebenfalls das Gleichgewicht der Kräfte zu stören begann.
Russland war seit dem Krimkrieg nicht gut auf Österreich zu sprechen und wusste sich mit Preußen in vielen politischen Fragen einig; warum hätte der Zar dieses Einvernehmen stören sollen, boten sich doch taktische Vorteile. Auf der neuen „Bundesebene“ traten folgende Veränderungen ein: Die beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein wurden jetzt endgültig von Preußen annektiert, die theoretisch bestehenden Rechte des Hauses Augustenburg (s.o.) einfach übergangen. Auf Intervention Napoleons III. stellte Artikel 5 des Prager Friedensvertrages der Bevölkerung Nordschleswigs eine Volksabstimmung über einen möglichen Anschluss an Dänemark in Aussicht (Preußen und Österreich annullierten jedoch die Klausel 1878 einvernehmlich). Dennoch sollte dieser Punkt, genauer gesagt das Thema Volksabstimmung, noch einmal 1919 im Versailler Vertrag aktuell werden, s. dort Art. 109 – 114, obwohl Dänemark am Ersten Weltkrieg überhaupt nicht beteiligt war. Das Königreich Hannover wurde ebenfalls vollständig annektiert und dabei das bis dahin regierende „Königshaus“ einfach ins Exil getrieben; ähnliches Schicksal teilten Kurhessen und Nassau. Das Großherzogtum Hessen-Darmstadt durfte aufgrund von Verschwägerungen (Spötter wären versucht zu sagen, Darmstädter Prinzessinnen wurden als Ehefrauen am Zarenhof gesucht) fortbestehen, musste aber seine oberhessischen Gebiete abtreten, die somit ebenfalls an das Königreich Preußen fielen. Und an der altehrwürdigen Freien und Reichsstadt Frankfurt am Main konnte Bismarck seinen besonderen Groll ausleben: Besetzung durch preußische Truppen und eine recht hohe Kompensationszahlung.
Es war (trotz der Niederlage) auf österreichische Intervention gelungen, das Königreich Sachsen zu erhalten. Allerdings musste dieses dem Norddeutschen Bund beitreten, wodurch zumindest ein Teil seiner Souveränität verloren ging; dem Rang gemäß wird seine Majestät der König von Sachsen in der Präambel der Verfassung des Norddeutschen Bundes an zweiter Stelle hinter dem König von Preußen genannt und erhielt vier Stimmen im dortigen Bundesrat (genauso viele wie 1871 im Deutschen Reich). Es wurde sogar ein eigenes sächsisches Armeecorps beibehalten, das vier Jahre später zugunsten Preußens zum Einsatz kam.
Entgegen der von Preußen ursprünglich vertretenen Ansicht war der Deutsche Bund nicht bereits Mitte Juni 1866 durch einseitige Erklärung des preußischen Gesandten in Frankfurt erloschen, sondern erst auf der letzten Sitzung am 24. August 1866 in Augsburg. (31) Dies ist für die Legitimation sowohl des Norddeutschen Bundes wie auch für die des Deutschen Reiches insofern bedeutsam, weil es eine Art von staatsrechtlicher Kontinuität darstellt, auch wenn der Norddeutsche Bund formaljuristisch nicht als Rechtsnachfolger des Deutschen Bundes betrachtet werden kann. Aber verfassungsrechtlich kann man doch von einer nahtlosen Weiterentwicklung vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich sprechen (vor allem weil viele Punkte der vorherigen Reformdebatten aufgegriffen worden waren); anders als 1806/1815, als zwar das erste Kaiserreich durch einseitige Erklärung des letzten Habsburger Kaisers einfach aufhörte zu existieren, aber auf dem Wiener Kongress kein „Nachfolger“ vorgestellt wurde. Der Deutsche Bund war laut Wiener Schlussakte nur ein „völkerrechtlicher Verein“ und die Bundesakte bloß eine „Rahmenvereinbarung“.
Auch wenn der Norddeutsche Bund „von oben“ diktiert worden war, hatte König Wilhelm I. zügig die Wahl eines „Reichstags“ angesetzt, bei dem – im Gegensatz zum Dreiklassenwahlrecht in Preußen – für die wahlberechtigten Männer ein allgemeines und gleiches Wahlrecht galt; damals das modernste in Europa. Innenpolitisch „lieferte Königgrätz dem Bürgertum den Beweis für die Richtigkeit des Bismarckschen Weges, so bezeugte es im Wahlergebnis seine Anerkennung des Obrigkeitsstaates. Bismarck nutzte indessen beide Siege nicht aus. Vielmehr behandelte er sowohl den innenpolitischen als auch den außenpolitischen Gegner versöhnlich.“ (32)
Der Norddeutsche Bund von 1867 (durch Beitritt der süddeutschen Länder Ende 1870 bzw. Anfang 1871 einfach zum Deutschen Reich erweitert) war von vornherein als Durchgang gedacht; daher war man auch auf gute Beziehungen zu den selbständig gebliebenen Landesherren südlich des Mains bedacht – was auch die Beziehungen zur Donaumonarchie einschloss (seit 1867 nach dem Ausgleich mit Ungarn ist Österreich eine „Doppelmonarchie“). Österreichs Führung (Kaiser Franz Joseph und seine Minister) hatte eigentlich keinen Grund, dem alten Zustand nachzutrauern; wenn man in Wien die Entwicklung seit 1848/49 ehrlich betrachtete, musste man einräumen, dass man kein überzeugendes Programm zur Lösung der innerdeutschen Verhältnisse anzubieten hatte (zur weiteren Betrachtung von „groß- und kleindeutsch“ s.u.).
Bismarck wollte sich mittelfristig mit Österreich aussöhnen. Außerdem war ein schneller Friedensschluss wichtig, um eine französische Einmischung oder einen europäischen Friedenskongress abzuwehren. Das erklärt auch das Zögern von Bismarck, bereits damals ein „großpreußisches“ Deutschland durchzusetzen. Nach der vernichtenden Niederlage Österreichs bei Königgrätz hätten preußische Truppen durchaus bis nach Wien marschieren und dort eine von Wilhelm I. erhoffte Siegesparade abhalten können; dies hätte dem Habsburgerreich den Todesstoß versetzt. (33) Gerade diese eigenartige Haltung, man mag fast von Milde sprechen, die Bismarck gegenüber Österreich einnahm (z.B. ganz im Gegensatz zu den Hannoveranern) führt zu der von Nipperdey vertieften Frage: „Was war das 1866 für ein Krieg?“ Laut Moltke ein rational und ruhig vorbereiteter Krieg, nicht für Landerwerb oder materiellen Gewinn (obwohl doch reichlich erfolgt), sondern für ein ideelles Gut.
„Preußen hat diesen Krieg gewollt, Bismarck hat ihn herbeigeführt: aus einem elementaren Staats- und Machtinteresse stellte sich Preußen gegen Österreich, lehnte sich zuletzt gegen den Bund auf. Preußen musste als „halbe“ und geteilte Großmacht auf Veränderung drängen; nur das konnte seine Existenz dauerhaft konsolidieren. Die Grenze zwischen Selbstbehauptung und Machterweiterung war notwendig und fließend. Die Eindeutigkeit, mit der die preußische Politik dann auf Machterweiterung zielte, war freilich das Werk Bismarcks. Das lief, nicht von Anfang an, aber zuletzt doch fast notwendig auf den Krieg hinaus. Anders war seine Hegemonialpolitik nicht durchzusetzen, denn Österreich wollte keinen Abstrich von seiner Führungsposition hinnehmen – auch weil ihm schließlich die Aufgabe seiner Stellung und seiner Ansprüche in Deutschland als Aufgabe der eigenen Großmachtstellung überhaupt erschien, als Anfang vom Ende. Der Machtwille Preußens und der Selbstbehauptungswille Österreichs also stießen aufeinander; die Spannungen des deutschen Dualismus endeten in diesem Krieg. Das musste nicht notwendig so kommen. Österreich war jetzt nur noch zum Krieg resigniert; Preußen war die treibende, dynamisch-initiative, die kriegsentschlossene Macht. Aber dieser Krieg war historisch auch nicht unwahrscheinlich, nicht vom Zaune gebrochen, nicht das Ergebnis mutwilliger oder leichtsinniger Politik. Der Krieg war für alle politisch Handelnden, ja für alle Zeitgenossen noch ein durchaus legitimes Mittel der Politik, mit dem man letzte und auch vorletzte Ziele notfalls durchzusetzen suchte; der Krimkrieg und der italienische Krieg waren sehr verschieden gelagert, Beispiele gewesen. Die Menschheit war nicht moralistisch auf das Problem der Kriegsschuld fixiert. Der 100 Jahre alte preußisch-österreichische Dualismus war ein Machtphänomen, bei dem eine kriegerische Lösung niemals jenseits des Horizonts der Handelnden gewesen war. Von daher war der Krieg ein existentieller Zusammenstoß zweier politischer Machtansprüche mit eigener Legitimität, die sich letzten Endes als unvereinbar erwiesen. Auch Österreich handelte ja nicht eigentlich in Notwehr. Die Frage, ob der Krieg „gerecht“ genannt werden konnte, war nicht zu beantworten. Das war, trotz der 1866 jedenfalls klaren Verteilung von offensiver und defensiver Tendenz, die tragische Dimension dieses Krieges. Sie ging auch über die Person Bismarcks wie über die Wiener Politiker hinaus.“ (34)
Ohne hier Kriegsverherrlichung betreiben zu wollen, sollen doch einige militärtechnische Anmerkungen, die auch für den folgenden Krieg gegen Frankreich von Bedeutung waren, erfolgen: Es gab unterschiedliche Gründe für den schnellen und durchschlagenden Erfolg Preußens im Krieg von 1866. In personeller Hinsicht war es besonders der Chef des Generalstabs, Helmuth v. Moltke (der Ältere), der eine gründliche Aufarbeitung der Ereignisse von 1864 besorgte, denn trotz der dänischen Niederlage gab es einige Schwachstellen in der preußischen Kriegsführung. Dies führte insbesondere zur Bildung eines echten Generalstabes, der auch tatsächlich die Kriegsführung in der Hand hatte, was bei den Österreichern fehlte. Dann waren es vor allem technische Neuerungen, wie die Nutzung des sog. Zündnadelgewehrs, eine durchschlagkräftigere Artillerie und – extrem wichtig – es wurde besonders viel Wert auf die „Logistik“ gelegt; hier war es besonders der Einsatz der Eisenbahn zwecks Truppentransporten, die eine vorher nicht gekannte Flexibilität ermöglichte: kurzum, Moltke war ein Wegbereiter für die moderne Kriegsführung. Die österreichischen Truppen und ihre militärische Führung konnten sich auf das Zündnadelgewehr und die Taktik der Preußen nicht einstellen. Letztendlich waren nicht nur die Bewaffnung, sondern auch die ausbildungstechnische, organisatorische und taktische Unterlegenheit der Österreicher für den Ausgang des Krieges entscheidend. Aber Moltkes Neuerungen waren nicht unumstritten: Besonders die alten konservativen Militärs, wie Wrangel, waren kritisch, weil sie diese Methoden als „unehrenhaft“ empfanden (wo blieb der gute alte Kampf „Mann gegen Mann“?). Altmodisches Denken, vielleicht. Aber die Weiterentwicklung in der Waffentechnik bis in den Ersten Weltkrieg (und darüber hinaus) zeigte doch die Verrohung auf den Schlachtfeldern durch die Industrialisierung des Krieges.
Trotz der Überlegenheit preußischer Truppen gab es auch Probleme, insbesondere die sich ausbreitende Cholera in den Quartieren der in Böhmen stationierten Regimenter; wäre der Krieg 1866 deutlich länger gegangen oder es hätten großräumige Verlegungen von Truppen stattfinden müssen (z.B. an den Rhein), kein Mensch wüsste, wie die Sache geendet hätte. Man kann daher auch von Glück sprechen, dass der Krieg 1866 so schnell vorüber war (vor allem, dass die Österreicher bereits relativ früh die Nerven verloren hatten). Bismarck war sich dieser „Restrisiken“ bewusst, daher sein Drängen auf einen schnellen Abschluss.
Schon in Vorgesprächen mit Frankreich hatte Preußens Ministerpräsident Otto v. Bismarck zugestimmt, dass der Norddeutsche Bund die Mainlinie nicht überschreiten werde. Der vorgeschlagene Südbund oder Süddeutsche Bund fand bei den meisten Regierungen im Süden allerdings wenig Gegenliebe. Auch die Bevölkerungen erwärmten sich dafür nicht. Man fürchtete eine Vormachtstellung Bayerns in diesem Südbund. Die unabhängigkeitsbezogene Vertragsklausel blieb angesichts des weiteren Ausbaus der von Bismarck betriebenen angliedernden Integration (z.B. die Schaffung des Zollparlaments) Makulatur. Artikel 4 des o.g. Friedensvertrages von Prag wurde dann im Jahr 1870 tatsächlich noch einmal relevant, weil Österreich als Vertragspartner Einspruch hätte dagegen einlegen können, dass die Südstaaten dem Norddeutschen Bund beitraten. Der damalige Regierungschef Beust machte auch Versuche in dieser Richtung, konnte aber vor allem in Russland keine Unterstützung für ein solches Veto erlangen. Außenpolitisch isoliert entschied Österreich sich für eine positive Haltung und stimmte im Dezember 1870 der Reichsgründung zu (als Vorgriff auf die späteren Ereignisse).
Daher kann 1866 durchaus folgerichtig als das Schicksalsjahr nicht nur Preußens, sondern ganz Deutschlands bezeichnet werden. Waren Bismarck und Preußen aber insgesamt mit der neuen Situation zufrieden, war man „saturiert“? Offensichtlich nein. Denn bereits im August 1866, noch vor dem Frieden von Prag, äußerte Bismarck gegenüber dem französischen Botschafter in Berlin, Graf Benedetti, in Bezug auf von Paris erhoffte Gegenleistungen: „Ihr wißt ja, daß wir deutsches Gebiet nicht abtreten können. Ihr wollt also den Krieg: Ihr sollt ihn haben. Wir werden die ganze deutsche Nation gegen Euch aufrufen (…) mit Österreich vereint, über Euch herfallen, 800 000 Mann stark. Wir sind gerüstet, Ihr seid es nicht. Wir werden Euch Elsaß abnehmen. Alles das wird geschehen, wenn Ihr bei Eurer Forderung beharrt“. Besagter Botschafter berichtete nach Paris, Napoleon III. machte sofort einen Rückzieher und bedauerte entstandene Missverständnisse. „Über Bismarcks Absichten aber wußte er jetzt genau Bescheid.“ (35)
VI) Der deutsch-französische Krieg 1870/71
Auch die letzte militärische Etappe auf dem Weg zur Bildung eines deutschen Nationalstaates war nicht wirklich überraschend; Napoleon III. war über Preußens grundsätzliche Bestrebungen informiert (im Übrigen auch die anderen Großmächte). Zumindest aus heutiger Sicht überraschend zu nennen, ist die Naivität einiger Staatschefs, die damals in Verantwortung standen; allen voran natürlich in Paris. Die französische Öffentlichkeit hatte im Sommer 1866 die österreichische Niederlage bei Königgrätz ernster aufgenommen und als verletzender empfunden als die unterlegenen Österreicher selbst. Seitdem galt in Frankreich die Parole: „Rache für Sadowa!“ (Sadowa, das war der kleine Ort auf dem Schlachtfeld bei Königgrätz).
Tiefere Ursache für diese „Übersprungshandlung“ war allerdings die Besorgnis vieler nationalistisch eingestellter Franzosen, dass an ihrer Ostgrenze ein unter preußischer Vormacht vereintes Deutschland losschlagen könnte, gleichsam um die Verhältnisse zur Zeit Napoleons I. umzukehren, sprich die militärische Macht Frankreichs so zu beschneiden, dass von dort keine Gefahr mehr für deutsche Grenzen ausginge. Dieses rein von militärischem Kalkül geprägte Denken entsprach nach wie vor den bis dahin üblichen „Koalitionen“, die man immer auf eine gewisse Zeit einging, um seine territorialen Ziele zu verfolgen. Ein vereintes Deutschland wäre dann aber eventuell so stark gewesen, dass es keine klassischen Koalitionen mehr einzugehen brauchte, somit die Gefahr bestand, dass das „Gleichgewicht der Kräfte“ auf dem europäischen Kontinent aufgehoben worden wäre.
Doch war diese durchaus legitime Furcht für Napoleon III. ein guter Ratgeber? Hat er nach 1866 eine vernünftige Außenpolitik betrieben? Eine Politik mit Augenmaß, die den noch selbständig gebliebenen deutschen Mittelstaaten, z.B. das Großherzogtum Baden mit direkter Grenze zu Frankreich, ein Gefühl der Sicherheit gegeben hätte? Hierzu wird man sicher unterschiedliche Antworten geben können, aber ein Grundproblem der damaligen Politik in Frankreich war der ausgeprägte „Bonapartismus“: Kaiser Napoleon III. war eine Art Volkstribun, der für seinen innenpolitischen Machterhalt die Popularität bei den Massen anstrebte. Im günstigen Fall war dies ein beinahe schon basisdemokratisches Verfahren; im ungünstigen Fall hieß das die Tyrannei der Straße bzw. der öffentlichen Meinung, die sich nicht kontrollieren ließ. Der völlige Gegenentwurf zu Bismarcks Staatsräson.
Außerdem war der französische Kaiser bereits von seiner Krankheit gezeichnet (er konnte daher auch im August 1870 den Oberbefehl über die Armee nicht wirklich übernehmen und verstarb Anfang 1873); man kann daher sagen, Napoleon III. hatte seinen Laden nicht mehr im Griff, seine damaligen Regierungsentscheidungen waren nur „Bluff“ (Golo Mann), er war ein schwacher Diktator, von Jasagern umgeben. Daher verwundert es im Ergebnis doch nicht, dass sich der französische Kaiser, seine Regierung und weite Teile der französischen Öffentlichkeit durch einen „Taschenspielertrick“ in eine diplomatische Sackgasse haben treiben lassen und aus einem Gefühl gekränkter Eitelkeit gemischt mit Hysterie gegen Preußen-Deutschland in den Krieg zogen.
1) Die Emser Depesche als Überrumpelung
In fast jedem Schulbuch wird zumindest in groben Zügen die sog. „Emser Depesche“ als unmittelbare Ursache für den Krieg von 1870 genannt. Die näheren Umstände, die zu diesem Dokument führten, werden meist in der Frage der spanischen Thronfolge gesehen. Vergleicht man das damalige Problem der Thronfolge in Spanien mit den oben angesprochenen „Rechtsproblemen“ in Dänemark bzw. Schleswig-Holstein zur Frage und zum Umfang rechtmäßiger Ansprüche, dann waren die Diskussionen in Spanien ziemlich lächerlich:
„Der Gegenstand der diplomatischen Krise, die, Juli 1870, zum Krieg zwischen Preußen und Frankreich führte, war, selbst wenn man diplomatisches Herkommen zum Maßstab nimmt, so ungewöhnlich töricht, dass man sich schämt, ihn zu erwähnen. In Spanien hatte eine, wenn man so sagen darf, Revolution stattgefunden, die Bourbonenkönigin das Weite suchen müssen. Die provisorische Regierung suchte nach einem König. Sie verfiel auf einen süddeutschen Aristokraten, Leopold von Hohenzollern, der mit den preußischen Hohenzollern wenig zu tun hatte und überdies ein naher Verwandter des Hauses Bonaparte war. Aus Gründen, die nicht ganz geklärt sind, auch gar nicht geklärt zu werden verdienen, einer antifranzösischen Bosheit jedoch keinesfalls entbehrten, förderte Bismarck diese Kandidatur. Aus Motiven eines veralteten, großsprechenden Staatsräsonnements (…) reagierte die französische öffentliche Meinung voller Wut dagegen. Die preußische Regierung, Bismarck, bestritt jedes Wissen von, jedes Interesse an der Angelegenheit. König Wilhelm, bedrängt von dem französischen Botschafter, weigerte sich, von seiner Autorität als Haupt der Familie Gebrauch zu machen, riet aber seinem süddeutschen Vetter nichtsdestoweniger, auf die dargebotene Krone zu verzichten. Leopold verzichtete. Damit nicht zufrieden, begierig, aus einem geringfügigen Sieg einen schallenden Triumph zu machen, forderte nun die französische Diplomatie von dem König von Preußen weitere Satisfaktionen: eine Zusicherung, wonach die Kandidatur nie erneuert werden würde, eine Art von Schuldgeständnis. Dies wurde verweigert, vom König auf das höflichste, von Bismarck, der das betreffende königliche Telegramm für die Öffentlichkeit edierte, auf das schärfste; ein Trick, dessen er sich noch nach Jahrzehnten in seinen Memoiren gerühmt hat. Nach dem Ehrenkodex der Diplomatie des 19. Jahrhunderts war die verstümmelte »Emser Depesche« keine Kriegserklärung, aber doch eine Provokation, auf die der Provozierte mit Krieg antworten musste, um nicht übel dazustehen. Das französische Kabinett, gehetzt von der öffentlichen Hysterie, tat den Schritt, den Bismarck von ihm erwartete. Napoleon, ermattet und fast verzweifelt, ließ es geschehen. Die Straßen der Hauptstadt hallten von dem Rufe: »A Berlin!«“ (36)
Man muss tatsächlich von einer riesen Eselei der französischen Diplomatie sprechen, vielleicht sogar nur eines einzigen Diplomaten, des Gesandten Graf Benedetti, der bereits im August 1866 von Bismarck abgekanzelt worden war (s.o.). Der preußische König befand sich Anfang Juli 1870 zur Kur in Bad Ems, war also gerade nicht in „dienstlicher Funktion“ zugegen. Dieser Umstand war auch dem Botschafter Benedetti bekannt. Jeder „Privatmann“ hätte ein Recht auf Privatsphäre gehabt und auch durchsetzen können (z.B. per Hausverbot). Aber nein, der französische Botschafter hat gleich mehrmals König Wilhelm I. aufgelauert und mit seinen politischen Forderungen in den Ohren gelegen.
Bismarck beschreibt in seinen Memoiren sein Unverständnis, dass Wilhelm I. den Botschafter einer ausländischen Macht, mit der Preußen keinen Bündnisvertrag o.ä. geschlossen hatte, nicht einfach auf den offiziellen Dienstweg „in kühler Zurückhaltung“ verwiesen hatte. Er vermutete einen gewissen (schädlichen) Einfluss der Königin Augusta auf ihren immerhin bereits 73jährigen Ehemann. Angeblich habe Bismarck mit dem Gedanken seines Rücktrittes gespielt, als er auf der Durchreise in Berlin von der Angelegenheit erfuhr: „weil ich nach allen beleidigenden Provokationen, die vorhergegangen waren, in diesem epreßten Nachgeben eine Demütigung Deutschlands sah, die ich nicht amtlich verantworten wollte. Dieser Eindruck der Verletzung des nationalen Ehrgefühls durch den aufgezwungenen Rückzug war in mir so vorherrschend, daß ich den Wagen schon mit dem Entschlusse verließ, meinen Rücktritt aus dem Dienste nach Ems zu melden“. (37) Aus heutiger Sicht wird man sagen können: Großes Kino, Herr Bismarck! Denn immerhin waren die Spannungen zwischen Paris und Berlin nach 1866 nicht geringer geworden; als dann auch noch 1867 die Planungen Napoleons III, Luxemburg käuflich von Holland zu erwerben, hauptsächlich von Bismarck hintertrieben wurden, war doch eine Zuspitzung der Situation absehbar; und in einem solch brisanten Augenblick will Bismarck ernsthaft an Rücktritt gedacht haben? Doch sehr unglaubwürdig.
Glaubwürdiger ist dann wieder seine Darstellung in den Memoiren, dass an dem besagten Abend des 13. Juli 1870 der preußische Kriegsminister v. Roon und der Chef des Generalstabs v. Moltke bei Bismarck zum Abendessen waren, als das offizielle Telegramm des preußischen Geheimrates Abeken aus Bad Ems eintraf. Nachdem dieses vollständig entziffert worden war, habe Bismarck seinen hochrangigen Gästen den Inhalt vorgelesen, worauf diese total entsetzt reagiert hätten. Dies habe dann Bismarck zum Anlass genommen, den Inhalt des Telegramms durch Streichungen zu reduzieren, mit dem Ziel, diese „Zusammenfassung“ sowohl an die preußischen Botschaften zum Dienstgebrauch als auch an die Presse zur umgehenden Veröffentlichung weiterzuleiten. „Der Unterschied in der Wirkung des gekürzten Textes der Emser Depesche im Vergleich mit der, welche das Original hervorgerufen hätte, wenn es bekannt wurde, war kein Ergebnis stärkerer Worte, sondern der Form, welche die Kundgebung als eine abschließende erscheinen ließ“. (38)
Angeblich habe Bismarck die beiden wichtigsten Militärs vor der Änderung und Weiterleitung der Depesche ausdrücklich nach dem Stand der Rüstungen in der Armee bzw. nach dem günstigsten Zeitpunkt befragt. Besonders Moltkes Antwort bestärkte Bismarck in seinem weiteren Tun. Er gab daraufhin der Presse seine Darstellung zur Veröffentlichung frei, die noch am 13. Juli 1870 von der regierungsnahen Norddeutschen Allgemeinen Zeitung in einer Sondernummer und am 14. Juli 1870 im amtlichen Preußischen Staats-Anzeiger veröffentlicht wurde.
Auch wenn es sich fast schon banal anhört, aber fast nirgends passt der Spruch, „kleine Ursache, große Wirkung“, besser als auf dieses Possenspiel. Insoweit fügt es sich nahtlos in die Memoiren Bismarcks, dass er insgesamt eher beiläufig von den gesamten Ereignissen spricht und ganz besonders der französischen Politik eindeutig die Hauptschuld an der Entwicklung zuweist. Noch einmal zur historischen Einordnung:
„Da diese »Emser Depesche« den unmittelbaren Anlass zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges bildete, ist in der Literatur immer wieder die Frage erörtert worden, ob Bismarck mit der Umredigierung des Telegramms seine Befugnisse überschritten oder sogar eine Fälschung begangen habe. (…) Die Historiker sind sich darüber einig, dass Bismarck mit dieser Aktion die nationale Begeisterung in Deutschland entfachen wollte. Während aber die einen die Auffassung vertreten, Bismarck habe damit nur einen Druck auf Frankreich und die übrigen Großmächte ausüben wollen, um Frankreich vom Kriege abzuhalten, meinen die meisten von ihnen, Bismarck habe damit das französische Nationalgefühl kränken wollen, um den Krieg herbeizuführen. (…) Damit steht eindeutig fest, dass Bismarck den französischen Kaiser durch die Veröffentlichung der Emser Depesche reizen wollte. Aber auch diesem kam der Krieg gelegen. Er hoffte, durch eine internationale Krise von seinen Schwierigkeiten im eigenen Lande ablenken zu können. Im Grunde genommen spekulierte auch Bismarck auf eben diesen integrierenden Effekt einer Bedrohung von außen. (…) Er legte aber doch Wert darauf, dass Preußen oder der Norddeutsche Bund in diesem von ihm erstrebten Krieg nicht als der Angreifer erscheine. Dazu musste ihn schon die Rücksichtnahme auf die mit den süddeutschen Staaten abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisse bewegen. (…) Es wäre eine schwere Niederlage der Bismarckschen Politik gewesen, wenn die süddeutschen Staaten eine Aufforderung Preußens zur Heerfolge mit dem Hinweis auf den mangelnden Defensivcharakter des Krieges beantwortet hätten. (…) Im Sommer 1870 aber bedurfte es keines Präventivkrieges. Die Emser Depesche tat ihre Wirkung: schon am 19. Juli 1870 erklärte Frankreich den Krieg. Obwohl sich die Kriegserklärung nur an Preußen richtete, trat der Kriegsfall für den gesamten Norddeutschen Bund ein, während für die süddeutschen Staaten der Bündnisfall nach den Schutz- und Trutzbündnissen gegeben war. Obwohl zumindest in Bayern und Württemberg in der gewählten Volksvertretung starke antipreußische Strömungen herrschten, gab es keinen deutschen Staat, der Preußen den Beistand verweigerte. (…) Diese Haltung der süddeutschen Staaten erfüllte Bismarck mit großer Befriedigung.“ (39)
Zu den weiteren „innenpolitischen“ Entwicklungen, siehe unten.
b) Kriegsverlauf 1870
Im direkten Vergleich zu den vorherigen Kriegen war der deutsch-französische Krieg 1870/71 der umfangreichste und natürlich auch mit den größten Auswirkungen. (40) Es wäre daher völlig vermessen, diesen auf wenigen Seiten zusammenzufassen. Daher müssen einige wichtige Punkte genügen: „Europapolitisch“ interessant ist, dass – trotz der offensichtlichen Entwicklungen – London und St. Petersburg passiv geblieben sind. Der Historiker Stürmer spricht von „Schulterzucken“. Beide europäischen Flügelmächte hatten zwar grundsätzlich gegenläufige Interessen, aber um das Jahr 1870 gab es dort für niemanden Grund, zugunsten Frankreichs einzugreifen, was zumindest indirekt zu stillschweigender Begünstigung Preußens führte; daher musste Paris auf jede auswärtige militärische Unterstützung verzichten. In Anbetracht der oben beschriebenen militärischen Neuerungen, deren sich der preußische Generalstab bediente und auch den Verbündeten zur Verfügung stellte, hätte die französische Armee viel Geld investieren müssen, um den militärtechnischen Nachteil auszugleichen; dies unterblieb und auch strategisch war Paris schlechter aufgestellt, obwohl Frankreich ja der Angreifer war. Daher verwundert es nicht, dass bereits im August 1870, nachdem Frankreich die Kriegshandlungen eröffnet hatte, dort erste größere Verluste eintraten (allerdings mussten auch deutsche Truppen anfänglich in den Grenzregionen einen hohen Blutzoll entrichten, vor allem wenn süddeutsche Verbände im Einsatz waren). Bereits Ende August stand die französische Armee an vielen Fronten mit dem Rücken zur Wand und war eingekesselt, Anfang September ereignete sich dann das endgültige Desaster in der Schlacht von Sedan. (41)
Ähnlich wie Königgrätz für Österreich 1866, hatte die Niederlage Frankreichs bei Sedan 1870 nicht nur militärische Auswirkungen, indem eine Unzahl französischer Soldaten entweder getötet wurden oder zumindest in Kriegsgefangenschaft gerieten (weit über 100 000 Mann), sondern vor allem psychologische Wirkungen; insbesondere weil der französische Kaiser und formale Kriegsherr in Sedan von preußischen Truppen gefangengenommen und sofort an Bismarck überstellt wurde. „Moltkes Strategie der vollständigen Einkreisung und Vernichtung des Gegners erlebte ihren Triumph. Die nationalen Glücksempfindungen in ganz Deutschland hatten damit einen Höhepunkt erreicht, auch wenn in Paris die Republik proklamiert wurde und die neue Regierung der nationalen Verteidigung unter Jules Favre und Leon Gambetta den bisher unbekannten revolutionären »Volkskrieg« der levée en masse mit Erbitterung und einstweilen noch mit wechselndem Erfolg fortsetzte. Die eingeschlossene Hauptstadt Paris, in der bald Hungersnot herrschte, fiel nach einem (…) kurzen Bombardement am 28. Januar.“ (42)
Hierin unterschieden sich die kriegerischen Auseinandersetzungen in Frankreich von denen 1866 oder gar 1864: „Nach dem Sturz des Kaisers und der militärischen Führung war der Krieg nicht zu Ende. Er trat in eine zweite, volkstümliche, barbarische Phase. Aus dem populären Kabinettskrieg wurde eine nationale Volkserhebung gegen die Deutschen und gegen die französische Bourgeoisie. Leon Gambetta organisierte Massenheere (…). Die Dritte Republik Frankreichs wurde im Krieg geboren. (…) Doch sie konnte die Wende nicht mehr bringen. Der Kampf um Paris wurde zum Brennpunkt und Symbol der Kriegführung. Bismarck drängte auf … rasches Niederkämpfen des Widerstands, bevor die europäischen Großmächte Preußen am Sieg hinderten.“ (43)
Obwohl nach traditionellen Maßstäben der deutsch-französische Krieg nach der Niederlage von Sedan Anfang September 1870 knapp sechs Wochen, nachdem das Kaiserreich den Krieg (formal gegen Preußen) ausgerufen hatte, ein doch relativ schnelles Ende hätte finden können, wurde noch viele Monate weitergekämpft, auch wenn es eigentlich keine reguläre französische Armee mehr gegeben hatte. Erst Ende Januar 1871, als feststand, dass Paris nicht mehr zu halten war, konnte sich die neue, provisorische Regierung durchringen, über eine Waffenruhe mit preußischen Unterhändlern zu verhandeln. Der übliche „Präliminarfrieden“ wurde dann am 26.02.1871 in Versailles abgeschlossen, nachdem zehn Tage vorher die Festung Belfort endgültig gefallen war. In Frankfurt am Main kam dann am 10. Mai 1871 schließlich ein endgültiger Friedensvertrag mit Frankreich zustande. Zu den wichtigsten Bestimmungen des endgültigen Friedensvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Französischen Republik, vertreten durch eine sog. Exekutivgewalt, gehörte die umfassende Abtretung des Elsaß und großer Teile Lothringens; vor allem auf Metz legte die deutsch-preußische Seite besonderen Wert, Belfort dagegen blieb französisch. Bereits im Vorfrieden war die Übertragung der vollen Souveränitäts- und Eigentumsrechte an diesen Gebieten auf das Deutsche Reich der zentrale Punkt. Dazu wurde eine Entschädigungszahlung in Höhe von fünf Milliarden (Gold-)Francs an den deutschen Kaiser vereinbart. Bis zur Erfüllung dieser Verpflichtung blieben deutsche Truppen als Besatzungsmacht im östlichen Teil Frankreichs stationiert, die Räumung erfolgte schrittweise. Die bis dahin anfallenden Besatzungskosten musste Frankreich vollständig übernehmen.
Für Napoleons Kaiserreich hatte bereits am 4. September 1870 die letzte Stunde geschlagen, er wurde abgesetzt (und musste dann später ins Exil nach England, wo er auch schwer krank bereits zu Jahresbeginn 1873 verstarb). Doch mit der Ausrufung der Dritten Republik war die innenpolitische Auseinandersetzung in Frankreich noch lange nicht ausgestanden, wie die Gründung der sog. Pariser Kommune zeigt. (44) „Für Deutsche und Franzosen verbanden sich in dem kalten, bitteren Winter 1870/71 die Probleme der Kriegsbeendigung mit den Fragen der künftigen nationalen Gestaltung und der Stellung Deutschlands wie Frankreichs im europäischen Mächtesystem“. (45)
Für das besiegte Frankreich war zu beobachten, „dass das blutige Ende des Zweiten Kaiserreichs und der Beginn der Dritten Französischen Republik, die zwei Tage nach der Niederlage in Sedan ausgerufen worden war, die französische Gesellschaft auf Jahre spalten sollte. Parallel zu den Friedensverhandlungen brach am 18. März 1871 die Pariser Kommune aus, bei der sich die bürgerliche Regierung den revolutionären Forderungen von Sozialrevolutionären und Sozialisten gegenüber sah. Regierungstruppen rangen im Mai 1871 schließlich die „Communards“ in verlustreichen Straßenkämpfen nieder. Über 20 000 Kommunarden wurden erschossen, über 10 000 kamen ins Gefängnis oder wurden zu Zwangsarbeit … verurteilt. Der Aufstand und seine Niederschlagung vertieften die Gräben weiter (…) konkurrierten in der Erinnerung und ließen weite Teile der französischen Gesellschaft in einer kollektiven Schuld, die in den folgenden Jahren durch nationalistische Akte und Gesten wieder ausgetrieben werden sollte.“ (46)
VII) Innenpolitische Folgen der Reichsgründung
Im Gegensatz zum Verlierer, hatten Deutsche, allen voran Bismarck, endlich Grund zur Freude; sollte man meinen. Aber bis zur endgültigen Reichsgründung gab es noch eine Menge Arbeit. Immerhin waren die süddeutschen Staaten zwar ihren Bündnispflichten dem Norddeutschen Bund gegenüber vollständig nachgekommen, doch bedeutete dies nicht automatisch eine Zustimmung zur Reichsgründung. Bereits im September 1870 wurde eine „Münchner Konferenz“ abgehalten, um mit dem größten Brocken, dem Königreich Bayern, erste Sondierungen vorzunehmen. Danach wurden schrittweise im November mit allen süddeutschen Staaten „Absichtserklärungen“ (teils wird auch von „Novemberverträgen“ gesprochen) geschlossen, die auf die Bildung eines „Deutschen Bundes“ abzielten (später wurde dann die Bezeichnung „Reich“ verwendet). Bereits dabei ging es für die größeren Staaten um den Vorbehalt sog. Reservatrechte und außerdem wollte Bayern (genauer gesagt König Ludwig II.) ein stattliches Sümmchen (wurde auch gezahlt und für die Märchenschlösser verwendet).
Anfang Dezember 1870 beschlossen der Bundesrat des Norddeutschen Bundes mit Zustimmung der süddeutschen Staaten, dass ein „Deutsches Reich“ unter einem „Deutschen Kaiser“ gegründet werden solle; Mitte Dezember erschien eine Abordnung des Norddeutschen Reichstags bei König Wilhelm I., um eine „Erklärung“ abzugeben, dass diesmal – im Gegensatz zu 1849 – einem preußischen König die Kaiserwürde wunschgemäß von den Fürsten, nicht vom deutschen Volk, angeboten werden solle; daher blieb auch folgerichtig das Volk bzw. Parlament bei der späteren Krönung ausgeschlossen. (47)
Nach einer fast schon lächerlichen Diskussion um den genauen Titel für „Kaiser Wilhelm“ erfolgte dann die Kaiserproklamation Wilhelms I. im Spiegelsaal des Versailler Schlosses am 18. Januar 1871, obwohl das nur wenige Kilometer entfernte Paris noch nicht endgültig besiegt war und daher noch unter Kanonendonner lag. Formal wurde bereits zum 1. Januar 1871 das neue Völkerrechtssubjekt gegründet, der erste Reichstag des Deutschen Reiches wurde am 3. März 1871 gewählt und trat am 21.März erstmals zusammen. (48) Die Verfassung des Deutschen Reichs (in der Literatur oft Bismarcksche Reichsverfassung genannt) vom 16. April wurde durch Parlamentsgesetz am 20. April formal verkündet und trat am 4. Mai 1871 in Kraft, wodurch die Reichsgründung endgültig abgeschlossen war. (49)
Ein wesentliches Merkmal des in der neuen Verfassung verankerten Staatsorganisationsrechts war der „Bundescharakter“, also ein sehr starkes föderatives Element. Vor allem in der aktuellen Diskussion um die angebliche Schwäche des föderalen Systems in der Bundesrepublik in Zeiten der Pandemie wird allzu leicht übersehen, dass es sich hierbei um eine historisch integrale Struktur in Deutschland handelt. Immer dann, wenn der Föderalismus in Deutschland zurückgedrängt oder gar aufgehoben wurde, standen die Zeichen der Zeit nicht wirklich gut: so bei der Gleichschaltung der Länder im April 1933 in der NS-Zeit oder bei der Umwandlung der fünf Länder in 14 Bezirke in der DDR 1952. Auch wenn die „Bismarckverfassung“ vom ersten Reichstag beschlossen und in Kraft gesetzt wurde, ist mit dem Historiker Schoeps folgendes festzuhalten:
„Dieses neue Reich war also nicht vom deutschen Volk gegründet worden, sondern im Zuge von Verhandlungen der deutschen Fürsten zustande gekommen, also ganz anders als es die Paulskirche von 1848 gewollt hatte. 1871 war das Hauptproblem die Gewinnung der süddeutschen Bundesgenossen Preußens gegen Napoleon III. für die Erhebung des preußischen Königs zum deutschen Kaiser und damit für die Anerkennung der Vorrangstellung Preußens in Deutschland. Diese kleindeutsche Lösung – nach 1866 war keine andere mehr möglich – hat Österreich endgültig aus dem Reichsverband ausgeschlossen und die politische Teilung des deutschen Volkes bedeutet, weshalb sich sagen läßt, daß 1871 nicht die Vollendung des Deutschen Nationalstaats geworden ist. (…) Das nationalistische Denken und der spätere Pangermanismus sind dem Preußen Bismarck widrige Erscheinungen gewesen; jede völkische Propaganda jenseits der Reichsgrenzen hatte er sich verbeten. Auf der anderen Seite ist zu urteilen, daß die Idee der deutschen Einheit, die der Leitstern aller Patrioten seit 1806 gewesen war, sich bei den Liberalen und Demokraten mit den seit 1789 wachgewordenen Freiheitsideen verbunden hatte und daß Bismarck diesen Ideen weit entgegengekommen war.“ (50)
Aber diese Entwicklung konnte auch noch ganz andere Gefahren implizieren, nicht nur für das jetzt ohnehin extrem angespannte deutsch-französische Verhältnis oder für die Frage nach dem „Gleichgewicht der Mächte“ auf dem Kontinent, das 1815 auf dem Wiener Kongress im Mittelpunkt der politischen Interessen vor allem des britischen Außenministers Castlereagh stand. Nein, gerade die allmählich doch einsetzende „Deutschtümelei“ (auch wenn von Bismarck eher unerwünscht) konnte viel Vertrauen bei den anderen Europäern verspielen; was bekanntlich besonders unter Wilhelm II. auf die Spitze getrieben wurde. Kristallisationspunkt war vor allem die Bezugnahme auf den „mittelalterlich“ geprägten Begriff des „Kaisers“, mit dem viele Mythen einhergingen, gleichsam ein magisches Versprechen:
„Und das Kaisertum? Es schien die eigentliche Krönung, der Triumph des preußischen Königtums zu sein. In Wahrheit aber hob es die preußische Staatsräson durch die Wucht des deutschen Nationalismus aus den Angeln. Zwar hat der damit verbundene deutsche Aufbruch zu Hegemonial- und Weltpolitik noch 25 Jahre auf sich warten lassen, aber es war schon in den Entscheidungen der Jahreswende 1870/71 die Wandlung vom nationalen und föderalen Reichsgedanken zum imperialen beschlossen. Im Triumph Deutschlands lag auch die Drohung des finis Germaniae. Im Deutsch-Französischen Krieg ging das französische Kaisertum unter, und das deutsche Kaisertum wurde Symbol und Mittel einer militärisch verwickelten Nationalpolitik. Auch das siegreiche Preußen überlebte seinen Triumph nicht.“ (51)
Aufgrund dieser eher pessimistischen Töne soll an dieser Stelle auf die rein verfassungsrechtlich bedeutsamen Fragen nach Identität und Kontinuität von Norddeutschem Bund mit dem Deutschen Reich – im Sinne von Rechtsnachfolge – verzichtet werden. Diese Diskussionen, die gleich nach der Reichsgründung unter Juristen (teils heftig) geführt wurden, sind heute ohne jede praktische Relevanz; im Gegensatz zur Rechtsstellung „Deutschlands als Ganzes“ nach 1945. Es soll vielmehr allgemein gefragt werden, ob 1866 die (endgültige) Auflösung des „Deutschen Bundes“ im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der deutschen Verfassungsgeschichte wirklich ein echter Verlust gewesen ist? Fast zwei Generationen haben versucht, dieses eigenartige Gebilde zu reformieren oder wenigstens zu optimieren. Vergleicht man diesen Staatenbund mit dem 1834 gegründeten Zollverein als einem wirtschaftspolitischen Instrument, die ökonomischen Nachteile der „Kleinstaaterei“ in Deutschland zu überwinden, dann ist diese Frage einfach zu beantworten: Im Verlauf seines Bestehens wurden im Zollverein Strukturen entwickelt und eine Kultur des „Miteinanders“ geprägt, auf denen dann später auch politische Organe auf- und ausgebaut werden konnten. Diese über lange Jahre praktizierten Verfahren waren bereits so institutionalisiert, dass sogar während der Kampfhandlungen im Sommer 1866, als bedeutende Mitglieder des Zollvereins auf gegnerischen Seiten standen und die Soldaten aufeinander schossen, die Verpflichtungen aus den Zolltarifen und die Verteilung der Einnahmen ungestört fortgesetzt wurden. Dieser Punkt ist allein schon deshalb bemerkenswert, da – wie bereits kurz angemerkt – nahezu alle Staaten des Deutschen Bundes im Laufe der Zeit dem Zollverein beigetreten waren; die große Ausnahme blieb halt Österreich – aus verschiedenen Gründen, doch der Widerstand Preußens war vom ersten Tag an greifbar; also lange vor Bismarck. Die Frage nach dem Verlust berührt natürlich die Territorien und Adelshäuser, die 1866 von Preußen annektiert worden sind und dadurch ihre Souveränität bzw. Herrschaftsrechte verloren (teilweise gegen eine „billige“ Entschädigung). Das soll zwar an dieser Stelle nicht bagatellisiert, muss aber letztlich hingenommen werden (auch in anderen europäischen Ländern wurden bei der „Nationalisierung“ vormals regierende Fürsten und Adelsfamilien entmachtet).
Was war der Gewinn/Vorteil aufgrund der Bildung erst des Norddeutschen Bundes, dann des Deutschen Reiches? Anhänger des Föderalismus bzw. einer Regionalisierung können auf jeden Fall betonen, dass das Bundesstaatsprinzip voll ausgeprägt war. Die übrig gebliebenen, formal selbständigen Staaten (inkl. dreier Stadtrepubliken) hatten weite Gesetzgebungsbefugnisse, z.B. auf dem Gebiet der Einkommensbesteuerung gab es schon früh eigene Landesgesetze (am bekanntesten waren das preußische und sächsische Einkommensteuergesetz) oder das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) hatte großen Einfluss auf das gesamtdeutsche BGB von 1896/1900. Damit waren aber auch gleich die wichtigsten und dringendsten Aufgaben der beiden Staatsgründungen 1866/1871 umrissen: Überwindung der Zersplitterung der verschiedensten Rechtsordnungen durch Rechtsvereinheitlichung; diese gesetzgeberischen Maßnahmen wurden sofort in den 1870er Jahren (teils schon vorher) ergriffen und umgesetzt (viele der damals erlassenen Gesetze gelten bis heute). Ein bis zur Niederlage ungelöstes „staatsrechtliches“ Problem blieb die Stellung der 1871 annektierten Regionen Elsaß und Lothrigen. Besonders das letztere Gebiet war mehrheitlich frankophil und stand eigentlich nicht auf der Agenda Bismarcks, der lediglich das Elsaß (besonders die klassische Region um Straßburg) als Gebietsgewinn aus dem Sieg über Frankreich gefordert hatte. Die Forderung auch auf Lothringen zu erweitern, ging auf den Generalstab, besonders Moltke, zurück, um eine vermeintlich bessere Verteidigungslinie errichten zu können. Die Abtrennung Elsaß-Lothringens war und blieb ein Stachel im Fleische der französischen Nation. Und trotz der Vereinheitlichung wirtschaftspolitischer Ziele im neuen Gesamtstaat, durch die auch gleiche Standards für die Bedingungen der Arbeiterschaft (vor allem die Industriearbeiter) geschaffen werden konnten (und auch wurden, siehe meinen Beitrag zu „Bismarck“), blieb aber eine Aussöhnung bzw. vorbehaltlose Eingliederung des „Dritten Standes“ und besonders des Proletariats sehr schwierig; teils konnten erst im Lauf des Ersten Weltkriegs unter den Bedingungen einer Kriegs- bzw. Mangelwirtschaft in begrenztem Umfang Fortschritte für ArbeitnehmerInnen (ab 1915 waren bekanntlich immer mehr Frauen z.B. in der Rüstungsindustrie eingesetzt) erreicht werden. Gleiches gilt auch für das Thema „Minderheitenschutz“; das Problem der Diskriminierung weiter Teile der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich war sogar um 1871 geringer als nach 1890. Und obwohl im Reichstag bzw. in anderen Körperschaften auch einige Vertreter nationaler Minderheiten (Dänen und Polen) vorhanden waren, so richtig „integriert“ waren diese Volksgruppen nicht.
VIII) Ende oder Untergang des Reiches?
So unstreitig zum Jahresbeginn 1871 eine Staatsgründung erfolgt war, so umstritten ist die Frage nach einem Ende des Deutschen Reiches. Von kruden „Theorien“ einer bestimmten Szene von Querulanten abgesehen, die aber scheinbar so renitent auftreten, dass hochbezahlte Beamte neue überwachungstechnische Betätigungsfelder errichtet haben, wenn man so will, willkommene Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung, um der breiten Öffentlichkeit eine vermeintliche Handlungsfähigkeit des Staates zu demonstrieren, stellt diese Frage dennoch ein Politikum dar. Würde sich z.B. Bismarck über diesen (aktuell) „starken Staat“ freuen? Klingt zunächst spekulativ, gar provokant, berührt aber die Frage nach der Rationalität der Staatsgewalt unter Bismarck. Denn nur, wenn eine „rationale Herrschaft“ (hier kann durchaus Max Weber herangezogen werden) existiert oder wenigstens angestrebt wird, kann von Legitimation gesprochen werden, womit auch die Frage nach dem Ende des Deutschen Reiches zusammenhängt. Doch vielleicht ist diese Frage einfach nur falsch formuliert und man müsste vielmehr nach dem Ende „Preußens“ fragen? Hier soll noch einmal ein bekennender Preuße, der deutsch-jüdische Historiker Schoeps, der allerdings – paradox genug – wegen seiner dezidiert nationalkonservativen Grundhaltung nicht ganz unproblematisch ist, bemüht werden:
„Mit der Gründung des Deutschen Reiches hatte der Preußische Staat als souveränes und unabhängiges Gebilde zu bestehen aufgehört. Er war mächtigster Gliedstaat des neuen Kaiserreiches geworden und von dessen Schicksal und Geschichte nunmehr unabtrennbar. (…) Zum Ausgleich für den Verlust seiner Selbständigkeit war Preußen die stärkste Kraft des neuen Reiches geworden, seine Vormacht war verfassungsmäßig eindeutig festgelegt. (…) Der preußische König war jetzt deutscher Kaiser und der preußische Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen Kanzler des Reiches, der für die Reichspolitik allein verantwortlich zeichnete, aber vom Reichstag weder vorgeschlagen noch gestürzt werden konnte. Die Ernennung des Reichskanzlers blieb dem Kaiser und König allein vorbehalten. In der Person und Doppelstellung Bismarcks, der sein Leben lang als Preuße empfand und dachte und ebenso wie Deutschland auch Europa von Preußen aus gesehen hat, war die Synthese vollkommen realisiert, der Grundsatz der preußischen Führung im Reich festgehalten. Erst nach Bismarcks Abgang sollte sich der Dualismus Reich – Preußen, den er in die Verfassung hineingebaut, aber mit seiner Person überbrückt hatte, immer störender bemerkbar machen. Mit der Reichsgründung begann sich das »Preußentum« infolge einer starken Prägekraft über das gesamte Deutschtum zu lagern; (…) und das Reich als ein »verlängertes Großpreußen« bezeichnet. Jedenfalls haben preußische Wertbegriffe, Leitbilder, Amtsvorstellungen und Institutionen das übrige Deutschland stark beeinflußt, Beamtenschaft und Offizierskorps der anderen Bundesstaaten weithin mit preußischer Staatsgesinnung erfüllt. (…) Die »Verpreußung« des Reiches mußte aber notwendig auf Kosten der preußischen Substanz gehen; Vergröberungen und klischeehafte Veräußerlichungen konnten nicht lange ausbleiben.“ (52)
Eine kleine Ungenauigkeit ist Schoeps unterlaufen: Ende Oktober 1918 wurde die parlamentarische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers eingeführt: ohne Vertrauen, also Mehrheit im Reichstag keine Regierung. Da dieses „Prinzip“ aber nur auf Druck der sich überstürzenden Ereignisse kurz vor der militärischen Niederlage in die alte Verfassung „gerutscht“ ist, verwundert es nicht, dass es überhaupt nicht mehr zur Anwendung gelangt ist. Zur „Verpreußung“ des Beamtentums und der Lebenslüge des Obrigkeitsstaates (G. Radbruch) siehe unten.
Schoeps spricht von der „Untrennbarkeit“ des Schicksals Preußens von dem des neuen Gesamtstaates; daher sollte die Frage nach dem Ende insofern neu formuliert werden: Wann ging „Preußen“ unter? Damit wäre die Frage nach dem Ende des Deutschen Reiches zumindest indirekt mitbeantwortet. War dies bereits mit dem politischen Abgang Bismarcks im März 1890 der Fall, so dass auch das „Zeitalter des Wilhelminismus“ eigentlich eine unpreußisch-undeutsche gewesen ist? Nicht nur die Angehörigen des „Hauses Hohenzollern“ würden vor Wut schäumen, auch die meisten Neuzeithistoriker würden zumindest Widerspruch erheben. Nein, Wilhelm II. und das Deutsche Reich unter seiner Herrschaft waren noch preußisch-deutsch; jedoch eher negativ geprägt.
Ging Preußen-Deutschland im November 1918 unter? Staatsrechtlich sicher nicht, der Wechsel der Regierungs- bzw. Staatsform führt nicht automatisch zum Untergang eines Völkerrechtssubjektes. Es ist herrschende Meinung in der Völkerrechtslehre, dass weder Staatsstreiche, Putschversuche oder Revolutionen die Kontinuität von Staaten unterbrechen. Dies gilt insbesondere für das „Deutsche Reich“ 1918/19: Nicht nur, weil die doch so tolle „Beamtenschaft“ nahtlos übernommen wurde und auch die Armee (nach der Niederlage im Weltkrieg zwar arg gebeutelt, aber immer noch als funktionierender Organismus vorhanden) wurde ja nicht aufgelöst, so dass zumindest die wichtigsten „Autoritäten“ im Alltag der Deutschen fortbestanden. Weder Staatsgewalt, Staatsgebiet oder Staatsvolk (die drei klassischen Elemente) wurden aufgelöst. Auch Art. 178 Abs. 2 der Weimarer Verfassung v. 1919 ging von einer Kontinuität aus.
Insbesondere aber weil „Preußen“ auch in der Weimarer Republik größter Einzelstaat und wichtigste politische Macht geblieben war (s. die Diskussionen im Januar 1919 zu einer angedachten Zerschlagung Preußens, die im Ergebnis aber zu keiner Änderung der föderalen Grundlagen führten), hat sich am Bestand und der verfassungsrechtlichen Qualität Preußen-Deutschlands als „Staat“ nichts geändert.
War der sog. Preußenschlag im Juli 1932 geeignet, den Untergang Preußens zu erwirken oder wenigstens vorzubereiten? So eigenartig diese rein politische Machtdemonstration des Reichskanzlers v. Papen gegenüber der preußischen Staatsregierung am 20.07.1932 auch gewesen sein mag, unter verfassungsjuristischen Gesichtspunkten führte dies nicht zum „Untergang“ eines (Glied-)Staates. Da war die Gleichschaltung der Länder durch die Nazis, gleich zu Beginn der Braunen Herrschaft, im April 1933 schon eher geeignet. Zumal im Januar 1934 ein Gesetz zum Neuaufbau des Reiches folgte, durch das vor allem die Landesparlamente aufgelöst wurden. Allerdings wurden die „Landesregierungen“ formal beibehalten, es erfolgte gerade keine echte Zentralisierung, sondern es wurde der berüchtigte NS-Doppelstaat (s. Ernst Fraenkel) etabliert. Vor allem änderte die „Mediatisierung“ der Länder nichts an der „Verpreußung“ des deutschen Staates im Sinne eines juristischen wie soziologischen Faktums; bis August 1934 war ein preußischer Generalfeldmarschall sogar Staatsoberhaupt. Somit können diese Vorgänge nicht herangezogen werden, wenn es um die Frage des Untergangs von Preußen geht.
Am naheliegendsten wäre natürlich das Datum des 8. Mai 1945: Doch hier ging die „herrschende“ Meinung in der Staats- und Verfassungswissenschaft, -lehre und -rechtsprechung davon aus, dass das Deutsche Reich weder durch die bedingungslose Kapitulation noch durch die militärische Besetzung untergegangen sei. Dies wurde durch eine zumindest fragwürdige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch 1973 bestätigt (die alte BRD war demnach teilidentisch mit dem „Deutschen Reich“). Diese staats- und völkerrechtlich, aber auch politikwissenschaftlich interessanten Grundsatzfragen (auch im Hinblick auf das Demokratieprinzip) können hier nicht weiterverfolgt werden; zumindest stellt das Kriegsende keine echte Zäsur dar.
Formal ist das Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrats vom 25.02.1947 über die Auflösung des Staates Preußen maßgeblich und bindend. Jedoch konnte damit nur ein bereits faktisch längst eingetretener Zustand (deklaratorisch) bestätigt werden: die bisherige Fläche des Freistaates Preußen lag verteilt auf völlig verschiedenen politischen Gebieten: Ost- und Westzonen, Polen und der Sowjetunion. Von daher bleibt die Frage nach dem ursprünglichen, echten Untergang Preußens offen; zumindest, wenn man juristische von moralischen oder kulturellen Werten trennen will. Unter diesem Gesichtspunkt böte sich sogar eine „Außenseitermeinung“ an, wonach der Tag des gescheiterten Hitlerattentats vom 20. Juli 1944 einem Untergang des alten Preußentums gleichkommt (s. Ernst v. Salomon, der diese Überlegungen in seinem „Fragebogen“ anstellt). Wenn Angehörige der Armee, sogar des Generalstabs, vor dem Dilemma standen, einen verbrecherischen Angriffskrieg nebst Völkermord weiterzuführen, weil sie einen Offizierseid geleistet hatten, dem sie sich verpflichtet fühlten, oder aber den wahnsinnigen Tyrannen zu töten und damit automatisch gegen alle Eide und Schwüre zu verstoßen, dann kann (oder muss) von einem Spannungsverhältnis ausgegangen werden, das schon ein „dialektisches“ Ausmaß besessen hat; der bereits eingangs erwähnte Philosoph Hegel lässt grüßen. Also zumindest unter psychologischen Gesichtspunkten kann der 20. Juli 1944 als Untergang des traditionellen Preußen angesehen werden. Was waren – von der Tatsache, dass der vor 150 Jahren gegründete Nationalstaat zwei Weltkriege entfacht und beide auch verloren hat und von der diabolischen Gestalt des „böhmischen Gefreiten“ ganz abgesehen – die wichtigsten Ursachen für den Untergang des „Deutschen Reiches“? Sicherlich waren dies solche aus dem juristischen Bereich; dieses Thema soll einem gesonderten Beitrag vorbehalten bleiben. Doch es gab auch „mentalitätsgeschichtliche“ Gründe. Hier soll noch einmal auf die Ausführungen von Schoeps zurückgegriffen werden: Die Verpreußung der Beamtenschaft und die Übertragung des typisch „Preußischen“ auf das Reich bzw. die gesamte deutsche Gesellschaft. Was war damit konkret gemeint?
Natürlich zunächst der immer stärker um sich greifende „Untertanengeist“ (schon kleine Jungs wurden in Matrosenanzüge gesteckt, um Patriotismus zu zeigen). Der Schmiss und der Befehlston auf dem Kasernenhof wurden überall salonfähig, geradezu unabdingbar für viele Karrieren. Nach Bismarcks Vorstellungen sollte eine „starke Beamtenschaft“ das wahre Rückgrat des Staates sein. In Preußen war diese Theorie (zumindest seit dem Großen Kurfürsten) durchaus erfolgreich umgesetzt worden, besonders als es nach der napoleonischen Fremdherrschaft galt, den beinahe zerstörten Staat wieder aufzubauen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die „altpreußisch-traditionellen“ Werte wie Schlichtheit im öffentlichen Auftreten und auch eine gewisse Bedürfnislosigkeit der Staatsdiener normal und galten quasi als Tugenden; drei Generationen später hatte sich dieses Verständnis grundlegend gewandelt; nunmehr galt eine Überhöhung des Beamtenstandes. Das hatte soziale, aber auch weltanschauliche Gründe. Bismarck, noch ganz der ständisch denkende Junker, glaubte sicher an diese Tugenden, insbesondere an die politische Enthaltsamkeit bzw. Zurückhaltung von Beamten und Richtern. Doch wie jedes Prinzip, unterlag auch das Ideal des preußischen Beamten und Staatsdieners der Abnutzung. Ab einem bestimmten Zeitpunkt war es nur noch Karikatur.
Mit der Vorstellung, altpreußische Ideale unter völlig gewandelten Umständen auf das ganze Deutsche Reich übertragen (oder überstülpen) zu können, wurde insgesamt ein Trugbild geschaffen; der Rechtsphilosoph und 1921/23 kurzzeitige Justizminister der Weimarer Republik, Gustav Radbruch, sprach daher von der „Lebenslüge des Obrigkeitsstaates“. (53) Der stets neutrale und unparteiische (heute würde noch „bürgernah“ folgen) Staatsdiener (Beamte, Angestellte und Richter) war spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Fiktion. In Weimar wurde zwar versucht, die „Beamten“ als Rückgrat des Staates durch andere Einrichtungen zu ersetzen, wie Parteien, Gewerkschaften und andere Verbände, aber so richtig hat dies auch nicht funktioniert. Daher war es nicht verwunderlich, dass die Nazis ebenfalls bereits im April 1933 ihr „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen haben: der schneidige deutsche Beamte sollte wieder ganz zur Verfügung des Staatsapparates stehen, ohne Gewissensbisse oder gar Widerspruchsgeist – dies hat bekanntlich sehr gut funktioniert. Man könnte auch sagen: die Banalität des Bürokraten, z.B. Adolf Eichmann. Anders formuliert: Sucht man nach dem Ende des vor 150 Jahren gegründeten „Deutschen Reichs“, sollte man fragen, wann ist der „preußische Beamte“ untergegangen? Ein Blick in Art. 33 Abs. 5, 131 und 132 des Grundgesetzes kann weiterhelfen, aber vielleicht auch die Augen öffnen.
IX) „Deutschland ohne Bismarck“?
Wie bereits betont, soll im Rahmen der Beiträge zum Thema „150 Jahre Reichsgründung“ auch die Frage zumindest angeschnitten werden, ob es aufgrund der Staatsgründung 1871 bzw. der spezifischen Voraussetzungen, die dazu führten, eine geradezu schicksalhafte Zwangsläufigkeit für die späteren Katastrophen (1914, 1933 und besonders 1939/45) gegeben hat (der sog. deutsche „Sonderweg“) oder ob auch „Alternativen“ möglich gewesen wären. Dies berührt methodisch die „kontrafaktische“ Betrachtungsweise. Insbesondere der Neuzeithistoriker Christoph Nonn hat hierzu einen umfangreicheren Aufsatz in einem Sammelband vorgelegt. (54) Nonn stellt genau diese Überlegungen an: nach der Unersetzbarkeit Bismarcks für die entscheidenden Vorgänge beim gesamten Prozess der Reichsgründung. Er geht von folgender These aus, Bismarcks „historische Größe“ sei oft nur eine pauschale Zuschreibung, der meist eine analytische Überprüfung fehlen würde:
„Denn dafür müsste man konkret untersuchen, ob der preußische Verfassungskonflikt nur mit Bismarck schließlich 1866 weitgehend zugunsten der Monarchie entschieden und nur mit Bismarck das Deutsche Reich von 1871 gegründet worden wäre. Zwar wird jeweils zumindest implizit kontrafaktisch argumentiert: Ohne Bismarck sei ein anderer Ausgang des Verfassungskonflikts zu erwarten gewesen; ohne ihn wären die entscheidenden Weichen für die Reichsgründung nicht gestellt worden. Der Frage nach möglichen Alternativen wird aber gar nicht nachgegangen. Was wäre also gewesen, wenn Bismarck 1862 nicht preußischer Ministerpräsident geworden wäre? Gab es überhaupt personelle Alternativen zu ihm? Hätten diese der preußischen Politik eine wesentlich andere Richtung gegeben? Wäre es auch ohne ihn zur Entstehung eines deutschen Nationalstaats gekommen? Oder ist das ohne seine Person schlicht nicht vorstellbar, hing die realhistorische Entwicklung der Zeit bis 1871 also wirklich von seiner Berufung im Jahr 1862 ab?“
Hierauf gibt Nonn – teils überraschende – Antworten, aber auch viele bekannte Tatsachen: So war schon die Ernennung Bismarcks im Herbst 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten keineswegs unumstritten, ganz im Gegenteil! Und personelle Alternativen gab es natürlich sehr wohl; laut Nonn waren dies vor allem Edwin v. Manteuffel und Robert v. der Goltz: „Der schärfste Bolzen der Reaktion war tatsächlich Edwin von Manteuffel, der Chef des preußischen Militärkabinetts und Generaladjutant des Königs. Manteuffel plädierte seit 1861 dafür, den preußischen Verfassungskonflikt durch die Beseitigung des Abgeordnetenhauses auf radikalste Weise zu beenden. Der König sollte dann wieder absolutistisch regieren, gestützt nur auf das Militär. Für den Fall eines Bürgerkriegs hatte Wilhelm Manteuffel bereits als Oberbefehlshaber vorgesehen. Der Monarch schreckte 1862 zwar noch einmal davor zurück, die Armee gegen Parlament und Volk einzusetzen“.
„Als weiterer Kandidat für den Ministerpräsidentenposten war 1862 in Berlin auch Robert von der Goltz im Gespräch. Von der Goltz war ein Reformkonservativer. (…) Königin und Kronprinz, die wie er weiter auf eine Kompromisslösung im Verfassungskonflikt mit dem Abgeordnetenhaus hinarbeiten wollten, protegierten ihn. Als Bismarcks „Schatten“ folgte er diesem 1862 erst auf dem Gesandtschaftsposten in Sankt Petersburg, dann in Paris. An der Spree handelte man ihn auch deshalb als Anwärter auf den Vorsitz des Kabinetts. Nach Bismarcks Ernennung war er wie Manteuffel weiterhin als dessen potentieller Nachfolger im Gespräch. Es gab also 1862 durchaus ernsthafte Alternativen zu Bismarck.“
Hätten diese „Alternativen“ aber auch in der Praxis eine völlig andere Politik (im Inneren wie nach außen) vertreten, so dass tatsächlich ganz andere Entwicklungen eingetreten wären? Bei der Lösung des „Verfassungskonflikts“ hätte der liberaler eingestellte Goltz wohl mehr Kompromissbereitschaft versucht; ob diese aber bei den aus Prinzip bockigen Abgeordneten auch gefruchtet hätte? Auch Bismarck hatte Landtagswahlen herbeigeführt, die im Ergebnis nur die Opposition stärkten. Spannender sind ohnehin die „außenpolitischen“ Entwicklungen gewesen, sprich die militärischen Auseinandersetzungen. Hier trifft Nonn eine interessante Aussage: „Von der Goltz und Manteuffel stimmten mit Bismarck letzten Endes darin überein, das Nationalgefühl für das außenpolitische Ziel einer Vergrößerung Preußens zu instrumentalisieren. Preußens offensichtliche außenpolitische Ambitionen weckten jedoch das Misstrauen der Mittelstaaten im Deutschen Bund. Das gleiche galt für das seit langem problematische Verhältnis Preußens zu der anderen Großmacht im Deutschen Bund, dem Habsburgerreich.“ Bei dieser politischen „Großwetterlage“ war also jeder preußische Ministerpräsident in der Zwickmühle.
Die entscheidenden Impulse kamen aber, wie oben ausführlich beschrieben, von dritter Seite: „Den Stein ins Rollen brachte vielmehr die dänische Nationalbewegung. (…) Von Bismarck als preußischem Ministerpräsidenten war in der ganzen Sache keinerlei Initiative ausgegangen. Er wurde vielmehr zum Trittbrettfahrer der Österreicher. Wäre der reaktionäre Edwin von Manteuffel an seiner Stelle gewesen, hätte dieser sich ganz ähnlich verhalten. Manteuffel war noch entschiedener gegen Liberale und die Nationalbewegung als Bismarck.“
Ob die preußische Politik unter v. der Goltz 1863/64 eine Zuspitzung in der Schleswig- Holstein-Frage vermieden hätte, lässt sich nicht sicher sagen. Aber selbst wenn, wäre Preußen aufgrund der ursprünglich vom Deutschen Bund beschlossenen „Bundesexekution“ höchstwahrscheinlich doch in den ganzen Wahnsinn hineingezogen worden. Aber selbst wenn Preußen Anfang Februar 1864 nicht am Überfall auf Schleswig (und Süddänemark) beteiligt gewesen wäre, hätte dies am nach wie vor bestehenden Dualismus mit Österreich nichts geändert. Das richtet somit das Augenmerk auf die Verhältnisse im Deutschen Bund und vor allem auf die Spannungen Preußens mit Österreich, denen auch jeder andere preußische Ministerpräsident ausgesetzt gewesen wäre. Ob ein liberaler eingestellter Mann als Bismarck den „Deutschen Krieg“ 1866 wirklich dauerhaft hätte vermeiden können, ist gleich aus mehreren Gründen sehr zweifelhaft. Die teils tiefe und prinzipielle Ablehnung, gar Abneigung vieler „Mittelstaaten“ (besonders in Süddeutschland) gegenüber preußischen Hegemoniebestrebungen war seit 1848/49 ganz unabhängig von der Person des preußischen Ministerpräsidenten vorhanden. Vor allem die bedingungslosen „Kriegstreiber“ um Wilhelm I., besonders Roon, Moltke und auch Manteuffel, hätten nichts unversucht gelassen, die Stimmung im preußischen Bürgertum Richtung Krieg gegen die Habsburger aufzuheizen. Man könnte auch sagen, die „Nationalbewegung“ war ab einem bestimmten Zeitpunkt unberechenbar; nur derjenige, der sich an die Spitze setzte, konnte einen glücklichen Ausgang erwarten.
Nonn betrachtet die Vorgänge zum Krieg von 1866 wie folgt: „Der einzige Erfolg Preußens bei dessen Vorbereitung war es, Italien als Bundesgenossen gewonnen zu haben. Daran kam Bismarck freilich kein Verdienst zu. Die Italiener hatten sich selbst geradezu aufgedrängt, denn zur Vollendung ihrer Nationalstaatsbildung fehlte noch das habsburgische Venetien. Bezeichnenderweise war Bismarck an den Bündnisverhandlungen in Florenz gar nicht beteiligt. Diese wurden vielmehr vom preußischen Generalstabschef Moltke geführt, weil es nur Fragen der militärischen Kooperation zu erörtern gab – politisch war ohnehin alles klar. Bei der Vorbereitung des Krieges von 1866 hat Bismarck also alles andere als eine gute Figur gemacht. Wenn der Krieg gewonnen wurde, dann trotz, nicht wegen dieser Vorbereitung. Wäre das unter Manteuffel oder von der Goltz als preußische Ministerpräsidenten anders gewesen? Hätten diese überhaupt den Krieg begonnen? Begonnen hätten beide ihn ebenso. Im preußischen Kronrat am 28. Februar 1866 sprachen sich sowohl von der Goltz als auch Manteuffel oder Bismarck für den Krieg mit Österreich aus. Goltz hatte schon 1864/65 dazu gedrängt, keinen Ausgleich mehr mit Wien zu suchen. Manteuffel wollte Anfang Juni 1866 als preußischer Gouverneur in Schleswig bereits gegen die Österreicher in Holstein losschlagen, als Bismarck noch zögerte. Der entschieden antiparlamentarisch denkende Manteuffel hätte im Vorfeld des Waffengangs wahrscheinlich auf den von Bismarck unternommenen, aber unglaubwürdig bleibenden Vorstoß zur Einrichtung einer Volksvertretung beim Deutschen Bund verzichtet. Preußen wäre dann zumindest mit besserer Rückendeckung durch Russland in den Krieg gezogen.“
Wenn diese Grundeinstellung im Frühjahr 1866 bei allen maßgeblichen Politikern und Militärs in Preußen vorhanden war, dann erübrigt sich jede theoretische Diskussion um „Alternativen“. Möglicherweise kam Bismarck das Verdienst zu, Wilhelm I. vor einem Einzug nebst Parade in Wien abgehalten zu haben, so dass eine Verständigung mit Österreich möglich blieb; gleiches mag auch für sein schnelles Eintreten für den Prager Frieden im August 1866 gelten. Dadurch wurden zumindest vorübergehend weitere Verwicklungen vermieden. Doch das nächste Grundproblem war ja trotzdem noch vorhanden: die Hegemonialbestrebungen Frankreichs in der Mitte Europas. Außerdem wäre die Posse um die Thronkandidatur eines (süddeutschen) Hohenzollernprinzen in Spanien auch ganz ohne einen Bismarck (oder jeden anderen preußischen Ministerpräsidenten) entstanden.
Es waren ja fast schon törichte Sandkastenspielchen, die zu einer Eskalation der gesamten Situation führten. Was hätte ein anderer Mann anstelle Bismarcks zur konkreten Deeskalation beitragen können? Auch ohne die „Emser Depesche“ waren in Frankreich und in Preußen die „Falken“ und Scharfmacher am Zuge. Napoleon III. war nicht mehr gesund und Wilhelm I. weit über 70 Jahre. „Aber war Bismarcks Person 1870/71 wirklich von so großer Bedeutung? War er unersetzbar? Wie hätten Robert von der Goltz und Edwin von Manteuffel an seiner Stelle gehandelt?“ Fragen, die der Historiker Nonn nach gründlicher Analyse der Umstände zu Recht stellt, und die Schlussfolgerung zieht, dass Bismarcks Beitrag zur Gründung des Deutschen Reiches in der Schlussphase des Krieges 1871 weniger „gewaltig“ gewesen sei, als von vielen Zeitgenossen angenommen – auch dank geschickter Selbstvermarktung. „Schon 1866 war seine diplomatische Bilanz bei der Vorbereitung des Krieges gegen Österreich geradezu verheerend gewesen. Dieser Krieg wurde trotz, nicht wegen Bismarck gewonnen. Im Umfeld der Waffengänge gegen Dänemark 1864 und gegen Frankreich 1870/71 machte er eine bessere Figur, war aber jeweils nur ein Akteur unter vielen. Und die hier durchgespielten personellen Alternativen zu ihm legen nahe, dass die Entwicklung in diesen Jahren ohne Bismarck als preußischen Ministerpräsidenten nicht wesentlich anders abgelaufen wäre.“ Soweit der Beitrag von Nonn.
Diese recht nüchterne Feststellung wird jetzt manche Bismarck-Fans enttäuschen, relativiert aber auch einige Übertreibungen bzw. Fehlvorstellungen in Bezug auf seine historische Bedeutung und für die spätere Entwicklung (ab 1890 bis 1914).
X) Resümee
Die gesamte Vorgeschichte zur Reichsgründung von 1871 ist voll von Unabwägbarkeiten bzw. Entwicklungen, die von einem deutschen (preußischen) Politiker allein gar nicht beeinflussbar waren. Gleiches gilt im Ergebnis auch für die lange Zeit hochumstrittene Frage, ob die klein- oder großdeutsche Lösung „besser“ gewesen wäre. Natürlich wäre es auch insoweit spekulativ, von einem glücklicheren Ende für Deutschland und Europa auszugehen, wenn ein deutscher Nationalstaat unter Einschluss Österreichs gegründet worden wäre. Denn wie hätte ein solcher „Brocken“ konkret organisiert und regiert werden sollen? Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Staatsform der „Republik“ selbst 1848 nicht ernsthaft zur Debatte stand. Somit hätte ein „Fürstenhaus“ die anderen ausstechen müssen (war ja bereits 1866 ein Problem). Hinzu kommt, dass Österreich weniger eine „Nation“, sondern vielmehr ein Vielvölkerstaat gewesen ist; und selbst zwischen Deutschösterreichern und Ungarn hat es gewaltig geknirscht, dann noch zusätzlich ein Dutzend weitere Minderheiten (Stichwort „Pulverfass Balkan“). Daher ist ein optimistischer Blick auf ein damaliges „Großdeutsches Reich“ sehr gewagt.
Was trotzdem bleibt, als eine besonders epochenhafte Leistung, die sich auch auf den ganzen europäischen Kontinent auswirkte, war natürlich am Ende doch die Bildung des Deutschen Reiches nach den Vorstellungen Bismarcks. Vor allem, wenn man bedenkt, welche innenpolitischen Chancen damit verbunden waren. Diese wurden jedoch nur teils genutzt, denn die tiefen Gräben im Bismarckreich waren unübersehbar; einige nahmen im Laufe der 1880er Jahre sogar noch zu. Ein Spezifikum war der „Staatsgedanke“, der aus der konstitutionellen Monarchie und dem sog. Obrigkeitsstaat entwickelt wurde. Bismarck misstraute Parteien und weltanschaulichen Debatten als unnötige Elemente des Liberalismus. Er wollte den starken Staat, der nicht auf Parlamentsentscheidungen hin funktionierte, sondern seine Kraft in einem preußisch geprägten Militär und einer funktionstüchtigen Beamtenschaft fand. Unabdingbare Voraussetzung hierfür war theoretisch wie praktisch der unpolitische und stets pflichtbewusste Soldat, Beamte und Richter. Dies konnte aber in der Praxis spätestens ab dem frühen 20. Jahrhundert auf Dauer allein nicht mehr ausreichen, daher der zwangsläufige Befund von der „Lebenslüge des Obrigkeitsstaates“ (G. Radbruch).
Auch für die Entwicklung des „Staatsgedankens“ hatte der Philosoph Hegel seinen unübersehbaren Anteil: Wie bereits gezeigt, galt bei ihm der Staat als Verkörperung einer sittlichen Vernunft und höchsten Idee. „Als Organismus hat er nicht nur nach innen Bedeutung, sondern auch nach außen gegenüber anderen Staaten, mit denen er in einem ständigen Lebenskampf steht. So gehört nach der Auffassung Hegels der Krieg zum Wesen des Staates. In ihm erreicht die Sittlichkeit durch Selbstaufopferung ihren höchsten Grad. Auf der Grundlage dieser Philosophie, verbunden mit der patriotischen Begeisterung der Freiheitskriege, kann sich eine Verherrlichung des Krieges leicht entwickeln.“ (55)
„Die Völkerrechtslehre jener Zeit hatte dem nichts entgegenzusetzen. Sie ging ja vom jus ad bellum der souveränen Staaten aus und nahm den Krieg als eine naturgegebene Notwendigkeit hin (…) und hatte durch die politische Romantik Eingang in das Staatsdenken gefunden. Das Neue an diesen Theorien war nicht nur, daß sie den Staat als besonders schönen Organismus betrachteten, sondern daß der Staat als ein realer, notwendiger, in sich ruhender, von den einzelnen unabhängiger, aus sich heraus lebender Organismus verstanden wurde. Diese Gedankengänge wurden im 20. Jahrhundert dazu benutzt, um die Vergötterung des Staates und die Herabwürdigung des einzelnen zu rechtfertigen.“ (56) Am Ende (ab 1933/34) stand der nationalsozialistische Führerstaat als eine neue Form: ein Staat sui generis. Selbst Bismarck hätte diese „Vergötterung des Staates“ als ein modernes „Massenphänomen“ abgelehnt, vor allem weil dieser Götzendienst nicht zu den altpreußischen Vorstellungen der Tugendhaftigkeit usw. passte.
Was bei der gesamten Darstellung der Ereignisse immer wieder auffällt, ist die besondere Bedeutung des Krieges als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln: sehr oft als Drohung, dann als juristisches Argument bzw. auch als besonderes Rechtsverhältnis zwischen souveränen Staaten. Dies mag aus heutiger Sicht durchaus verwundern, muss aber im Kontext des 19. Jahrhunderts betrachtet werden: Noch bis Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Krieg als eine Art „Naturzustand“ aufgefasst. Man bediente sich der wohl auf Cicero zurückgehenden Formel, wonach während eines Krieges die Gesetze ruhten (inter arma silent leges). In der Fachliteratur wird insbesondere auf v. Clausewitz verwiesen, wenn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem Umdenken und einer Neuinterpretation des „inneren Wesens des Krieges“ gesprochen wird. Unabhängig von militärstrategischen Überlegungen etc., die meist auf v. Clausewitz zurückgeführt werden, kann bereits der Wiener Kongress als Meilenstein für die Weiterentwicklung des Völkerrechts angesehen werden; dennoch blieb die Erkenntnis Immanuel Kants, wonach die moderne Staatenbildung ohne das Phänomen des Krieges undenkbar war (zumindest in Europa bzw. von Europäern beeinflussten Gebieten, s. Nordamerika) noch lange Zeit gültig. Dieser Zusammenhang hat auch zwangsläufig Auswirkungen auf den europäischen „Staatsbegriff“:
„Der moderne Begriff des Staates ist ein Idealtyp im Sinne von Max Weber. Er wird aus dem Material der gesellschaftlichen Wirklichkeit induktiv gewonnen. Bestimmte Fakten werden als wesentlich für die Begriffsbildung ausgewählt, von anderen wird abstrahiert. Die Begriffsbildung selbst ist ein langwieriger Prozess. So hat der Begriff Staat antike und mittelalterliche Vorformen, (…). Eine erste Stufe der Abstraktion ist mit dem Begriff der staatlichen Souveränität erreicht. Seine abstrakte Höchstform findet der Begriff im Staat als juristische Person. In diesen Entwicklungsverlauf der Begriffsbildung ist der Krieg als eine besonders geartete Beziehung zwischen Staaten eingebettet. Erst die Kategorie des Staates als juristische Person macht den Krieg – als von anderen Formen der Gewaltanwendung abgegrenzt- zwischen den Staaten als Rechtsverhältnis denkbar. Rousseau hatte im Contrat social diesen Gedanken schon vorformuliert“. (57)
Im Laufe der nächsten Jahrzehnte änderten sich tatsächlich die Vorstellungen über das Wesen des Krieges und es folgte eine Phase der „Verrechtlichung“, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Zivilbevölkerung. Als Meilensteine können hier genannt werden: 1864 die Genfer Rot-Kreuzkonvention (mit etlichen Nachfolgern) oder die Konferenzen in Den Haag mit dem Beschluss der Haager Landkriegsordnung. Erst 1928 erfolgte die normative Ächtung des Angriffskrieges (Briand-Kellog-Pakt), zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Aber auch die Schaffung des Völkerbunds im Rahmen des Versailler Vertrags konnte die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch Hitler-Deutschland bekanntlich nicht verhindern; daher gilt bis heute (trotz des „Sicherheitsrates“ der Vereinten Nationen): Papier ist geduldig.
Stellt man die Reichsgründung 1871 in diesen größeren Rahmen, können keine offensichtlichen Abweichungen zu den sonstigen Staatsgründungen in Europa des 19. Jahrhunderts erkannt werden. Ob die Katastrophen des 20. Jahrhunderts auch ohne die Gründung des Deutschen Reiches (in der konkreten Form, also mit der Annexion Elsaß-Lothringens) stattgefunden hätten, lässt sich aufgrund der komplexen Gemengelage nicht eindeutig sicher sagen. Der Umschwung des Nationalgedankens in überheblichen Imperialismus hätte auch so erfolgen können; das Aufkommen des völkisch-rassischen Antisemitismus (eine ganz andere Qualität als der uralte religiöse Anti-Judaismus) war ebenfalls nicht an Staatsgrenzen gebunden. Zumindest als tiefere Ursache für 1914 und 1933 dürfte die kleindeutsche Variante des Deutschen Reiches nicht ausreichen; und Bismarck hätte ab 1900 auch keine echte Freude mehr an den Hohenzollern gehabt.
Autor: Thomas Fuchs, Assessor iur., Rechtshistoriker
Anmerkungen
1) Als roter Faden aller Beiträge zum Thema „150 Jahre Reichsgründung“ soll u.a. die Frage nach der sog. Kontinuität behandelt werden; hat es bereits (lange) vor der Machtübernahme Hitlers in Deutschland eine fatale Weichenstellung in den Faschismus gegeben, gab es einen „Sonderweg“ oder hätte es doch auch anders verlaufen können? Eine umfassende Antwort kann, sofern es diese überhaupt gibt, nicht erwartet werden.
2) Die tieferen Gründe für die Auflösung staatlicher Strukturen im „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“ sind natürlich auch nicht von Napoleon I. verursacht bzw. in Folge der Französischen Revolution entstanden, wurden lediglich dadurch beschleunigt. Je nachdem, worauf der Schwerpunkt gelegt wird, mehr auf die theologische Seite der „Glaubenseinheit“ oder auf den weltlichen Charakter eines „Imperiums“, finden sich unterschiedliche Zeitpunkte für den Beginn der Auflösung des „Alten Reichs“: die 1517 von Martin Luther ausgelöste „Glaubensspaltung“ oder das egoistische Machtstreben der großen Landesherren im ausgehenden Spätmittelalter? Auch das kann natürlich hier nicht geklärt werden, lediglich als Anregung dienen, um zu verdeutlichen, dass sich in Deutschland zur Zeit um 1790/1815 die politischen Verhältnisse insgesamt auf einem Tiefpunkt bewegten. Im augenscheinlichen Gegensatz zur Kunst und Kultur.
3) Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 257 (3. Teil, 3. Abschnitt), siehe Zeno.org
4) Die Ergebnisse der Wiener Schlussakte v. 1820 haben ja nicht nur die staatlichen Verhältnisse in Deutschland zu regeln versucht, sondern die Friedensordnung für einen ganzen Kontinent (und teilweise darüber hinaus), so dass insgesamt eine kontinentaleuropäische Machtbalance gesucht werden musste. Siehe hierzu Kissinger, S. 74 – 82.
5) Dass das durch Verfassungsbruch entstandene „Kaiserreich“ Österreich (der letzte „deutsche“ Kaiser, Franz II., hat einfach den alten Reichslehnsverband missachtet und dadurch auch gesprengt) um 1814/15 eine derart wichtige Rolle übernehmen konnte, sowohl auf dem Wiener Kongress als auch im neu entstandenen Deutsche Bund, dort führte es sogar das Präsidium, lag an seiner geschickten Politik zum Ende der Napoleonischen Zwangsherrschaft. Mit den süddeutschen Monarchen, allen voran Bayerns, die im Juli 1806 dem „Rheinbund“, einem Napoleonischen Protektorat (Spötter sprachen von dressierten Pudeln), beigetreten waren, was dem „Alten Reich“ den letzten Todesstoß versetzte, gab es rechtzeitige Verhandlungen, die letztlich dazu führten, dass diese ihre territoriale Integrität weitestgehend behalten konnten, Österreich selbst kaum Gebietsverluste hinnehmen musste und auf dem Kongress eine starke Rolle einnehmen konnte. Außerdem war unter den führenden Politikern Europas auch nicht vergessen, dass Österreich 1792 eines der ersten außenpolitischen Opfer der Französischen Revolution wurde. Das mit Preußen eingegangene „Verteidigungsbündnis“ endete damit, dass Österreich im Stich gelassen wurde, in Preußen ein merkwürdiger Opportunismus (Separatfrieden von Basel 1795) herrschte, der 1803 (Reichsdeputationshauptschluss) besonders belohnt wurde. Dennoch stand Preußen 1807 kurz vor der Liquidierung. Alle diese Verästelungen der europäischen Politik hatten ihren Anteil daran, dass Österreich eine wichtige Rolle innehatte und mit Metternich einen geschickten Machtpolitiker, der Österreichs Rolle noch zu stärken wusste; doch diese Rolle war in der Paulskirche 1848/49 nicht mehr unangefochten, ja sogar gefährdet.
6) Im Gegensatz zu Ende 1850 konnte Österreich 1863 auch nicht mehr auf russische Unterstützung zählen, da sich das Zarenreich und Preußen inzwischen deutlich angenähert hatten. War Zar Nikolaus kurz nach der 48er-Revolution noch durch Preußens Politik irritiert, konnte sich sein Nachfolger Alexander II. auf preußische Neutralität während des Krimkrieges verlassen, beide Staaten blieben auch 1859 während des französisch-österreichischen Krieges neutral und wussten sich seit der Alvenslebenschen Konvention vom Februar 1863 eins in der Abwehr polnischer Aufstandsbewegungen. Die russisch-österreichischen Beziehungen dagegen waren seit dem Krimkrieg nachhaltig zerrüttet.
7) Seit etwa dem 10. Jahrhundert wechselten sich deutsche und dänische Herrscher ab. Je nachdem, ob es äußere Bedrohungen gegeben hat (z.B. Wikingerüberfälle) oder wie machtvoll deutsche Dynastien waren, die gerade das „Heilige Römische Reich“ regierten, waren die Grenzregionen im Norden wie im Osten nie einheitlich zugeordnet. Heute im Zeichen der Europäischen Union mag dies nur noch von untergeordneter Bedeutung sein (von Währungsfragen oder unterschiedlichen Strategien in der Pandemie abgesehen), aber über tausend Jahre lang waren diese Gebiete nie nachhaltig befriedet, oft sogar von „Fremden“ besetzt.
8) Kissingers positiver Bewertung zum Trotz, vgl. dort S. 75ff.
9) Nipperdey, S. 311f.
10) Es sind im Übrigen sehr oft erbrechtliche Streitigkeiten gewesen, die in den letzen 1500 Jahren in Europa zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt haben. Von den fränkischen Merowingern über die fränkischen Karolinger im 6. bis 9. Jahrhundert, im Hochmittelalter (z.B. Staufer und Welfen, die miteinander verwandt und verschwägert waren), sogar der hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich hatte seine Ursachen in sich widerstreitenden Erb- bzw. Thronansprüchen. Wie im Fall des dänischen Gesamtstaats in der Mitte des 19. Jahrhunderts standen sich meist zwei unterschiedliche Rechtsprinzipien bei der Erbfolge gegenüber: Frauen- und Männererbrecht. Letzteres bezog sich besonders auf den aus der „lex salica“ stammenden Grundsatz, dass fränkischer Boden nur im Mannesstamme vererbt werden durfte. Dadurch waren Töchter in der Gesamterbrechtsfolge benachteiligt bzw. ausgeschlossen. Nachdem im 10. Jahrhundert das (römische) Imperium durch deutsche Kaiser, die aber nach dem alten fränkischen Recht lebten, „renoviert“ worden war, galt diese erbrechtliche Besonderheit sowohl auf „Reichsebene“ wie auch in den deutschen „Kernlanden“. Somit war es unmöglich, dass eine Frau selbst deutsche Kaiserin werden konnte (wie z.B. Maria Theresia von Österreich), sondern nur an der Seite ihres Mannes. Oder nach dem Aussterben der männlichen Linie im englischen Königshaus endete 1837 die Personalunion mit Großbritannien, da das ursprüngliche Kurfürstentum Braunschweig- Lüneburg, aus dem das Königreich Hannover hervorging, nur männliche Thronfolger vorgesehen hatte; dies waren keinesfalls antiquierte Überbleibsel aus dem tiefsten Mittelalter: die letzte Bestätigung der „agnatischen Disposition“ erfolgte 1831 und wurde im Hausgesetz für das Königreich Hannover 1836 fortgeführt. Diese rechtshistorischen Rückgriffe sollen vor allem verdeutlichen, wie tief diese „Prinzipien“ in der verfassungsrechtlichen Realität noch Mitte des 19. Jahrhunderts verankert waren und daher auch nicht so ohne Weiteres ignoriert werden konnten.
11) Bekanntestes weibliches Mitglied des Hauses Schleswig- Holstein- Sonderburg- Augustenburg dürfte Prinzessin Auguste Viktoria, die spätere Ehefrau Wilhelms II. und letzte Kaiserin, sein.
12) Zu den Vorgängen, insbesondere zu den wahren Absichten Bismarcks, Mann, S. 559: „Ein Aufstand der Polen gegen die russische Fremdherrschaft, der zweite große seit 1815, gab dem Minister erwünschte Gelegenheit, ein Motiv seiner äußeren Politik ins Spiel zu bringen. (…) Vielmehr nötigte Bismarck dem Zaren Alexander II. eine Konvention auf, der zufolge beide Staaten den Kampf gegen die polnische Revolution notfalls gemeinsam führen und preußische Truppen das Recht haben sollten, die Grenzen von Russisch-Polen zu überschreiten. Eine tiefsitzende, gnadenlose Feindschaft des preußischen Grundbesitzers gegen das polnische Volk war hier wirksam; ebenso sehr der Wunsch, sich Russland zu verpflichten.“ Die Anweisungen Bismarcks an den Generaladjutanten Gustav v. Alvensleben vom 01.02.1863 sind abgedruckt bei Stürmer, S. 131 – 133.
13) Eine wichtige Vereinbarung zwischen Preußen (Bismarck) und Österreich (vertreten durch Alajos Károlyi) wurde Anfang März 1864 geschlossen; abgedruckt bei Stürmer, S. 133 – 135.
14) Vgl. Kimminich, S. 389. Zur „Pfandbesetzung“ siehe auch Gall, S. 301.
15) Der englische Premier Palmerston hat mit typisch britischem Humor zu dieser gesamten verzwickten Situation angemerkt, dass es überhaupt nur drei Personen gegeben habe, die bei der schleswig-holsteinischen Frage durchgeblickt hätten: der englische Prinzgemahl Albert (Ehemann Queen Victorias), ein deutscher Gelehrter, dessen Name nicht genannt wurde und er selbst. Prinz Albert v. Sachsen-Coburg-Gotha war bereits 1861 gestorben, der deutsche Gelehrte sei verrückt geworden und er, Palmerston, habe die ganze Sache leider vergessen. Zitiert nach Schoeps, S. 250.
16) Für die Verteidigung der „Düppeler Schanzen“ hatte die dänische Armee zu wenige Soldaten vorgesehen, die preußische Armee war mehr als dreimal so stark, so dass dieses zahlenmäßige Übergewicht letztlich ausschlaggebend für den Ausgang dieser Schlacht und das weitere Geschehen wurde, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%BCppeler_Schanzen
17) Das im Völkerrecht entwickelte Rechtsinstitut des „Kondominiums“ bedeutet, kurz gesagt, dass zwei oder mehrere Staaten die Herrschaft in einem Gebiet, das ihnen durch einen Rechtstitel z.B. Abtretung oder auch Erbfall übertragen wurde, gemeinsam ausüben. Es ist daher keine Fremdherrschaft (wie eine militärische Besetzung). Beim Konflikt um Schleswig-Holstein war für die wirksame Begründung eines Kondominiums Voraussetzung, dass der König von Dänemark wirksam über die strittigen Herzogtümer verfügen konnte. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte eine solche Abtretung de jure nicht stattfinden können/dürfen. Insoweit waren die Erbansprüche, die das Haus Augustenburg geltend machte, nicht ganz irrelevant. Daher stemmten sich auch Österreich und Preußen gemeinsam vehement gegen den in der deutschen Bevölkerung beliebten Thronanwärter Friedrich VIII. Besondere Bedeutung erhielt die Rechtsfigur des Kondominiums noch einmal nach 1945 bei den einsetzenden Diskussionen in Bezug auf die Rechtslage des Deutschen Reiches nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945. Die (zumindest damals) herrschende Meinung ging davon aus, dass mit der Besetzung Deutschlands durch die alliierten Siegermächte kein Kondominium begründet worden sei. Stattdessen habe das „Deutsche Reich“ (in Gestalt des NS-Staates) als Völkerrechtssubjekt fortbestanden und sei durch die Niederlage nicht untergegangen. Diese nicht bloß „akademische“ Diskussion kann hier nicht geführt werden, kann aber im Zusammenhang mit dem Thema „Krieg als Rechtsverhältnis zwischen Staaten“ bzw. „Krieg als Mittel der Politik“ betrachtet werden; mit Auswirkungen bis heute, so in der Ost-Ukraine.
18) Vgl. Kimminich, S. 390.
19) Bereits im Mittelalter war Deutschland nie ein typischer Zentralstaat, wie er sich z.B. in England, Frankreich oder später in Russland entwickelt hat. Selbst das fränkische Reich zur Zeit seiner größten Machtentfaltung unter Karl dem Großen bestand aus vielen Stämmen/Völkern. Als in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts unter den Ottonen das deutsche Kaiserreich entstand, sollte unter ideengeschichtlichen Aspekten das alte Römische Imperium wiederentstehen, um die im Alten Testament enthaltene Lehre von den vier Weltreichen (s. Prophet Daniel) zu befolgen. Solange das Römische Imperium (als letztes dieser vier Weltreiche) zumindest ideell fortbestand, vor allem die Institution des Kaisers, war die apokalyptische Vernichtung der Welt aufgeschoben. An diese Heilslehre (Plan Gottes) glaubten die Menschen im Mittelalter unbedingt, was aus moderner Sicht völlig abstrus klingen mag, wie aus einer fremden Galaxie. Doch vergleicht man diese Heilslehre mit den Ideologien des 20. Jahrhunderts, relativiert sich das Ganze ein Stückweit. Das erklärt auch die große Bedeutung des „Gottesgnadentum“ als Legitimation der Monarchie bis ins 20. Jahrhundert.
20) Bereits die erste Kaiserproklamation 1804 durch Napoleon Bonaparte entbehrte jeder historischen wie legitimen Grundlage. Die Ausrufung des zweiten Kaiserreichs unter seinem Neffen Napoleon III. 1852 war im Prinzip noch hanebüchener, weil durch ein Plebiszit das (an sich unrechtmäßige) Kaisertum wiederhergestellt wurde. Ein offener Widerspruch zum traditionellen monarchischen Prinzip.
21) Der Deutsche Zollverein trat bereits 1834 in Kraft, von vorneherein unter besonderem Einfluss Preußens. Auch wenn die beteiligten „Mittelstaaten“ immer bestrebt waren, nicht völlig unter preußische Vormacht zu geraten, also ihre Souveränität zu wahren, Österreich blieb außen vor. Das hatte nicht nur wirtschaftspolitische Gründe (Freihandel vs. Protektionismus), sondern war innenpolitisch motiviert. Daran waren die Wiener auch nicht ganz schuldlos, z.B. wenn es um Währungsfragen ging.
22) Nipperdey, S. 773.
23) Vgl. Stürmer, S. 58.
24) Vgl. Kimminich, S. 391.
25) Nipperdey, S. 775.
26) Vgl. Kimminich, a.a.O. Nipperdey, S. 778: „Die Krise lief auf Krieg zu. Ein preußischer Kronrat vom 28. Februar 1866 beschloß, den unausweichlichen Krieg für die Stellung Preußens in Deutschland“.
27) Grimm, S. 238.
28) Grimm, dito.
29) Im Überblick: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_K%C3%B6niggr%C3%A4tz
30) Stürmer, S. 59.
31) Vgl. Kimminich, S. 392.
32) Grimm, S. 239.
33) Vgl. Kimminich, S. 393.
34) Nipperdey, S. 783. Die von Prof. Nipperdey behandelte Thematik, Krieg als Mittel der Politik, eine von den europäischen Großmächten akzeptierte Form, Macht zu bewahren oder gar erst zu gewinnen, geht „welt- anschaulich“ auf die Lehre von v. Clausewitz zurück. Dieser hatte mit seinen militärstrategischen Überlegungen über viele Jahrzehnte auch die außenpolitischen Doktrin geprägt. Man kann beim damaligen preußischen Generalstab gar von einer Schulung im Denken v. Clausewitz‘ sprechen, Nipperdey, S. 786.
35) Zitate bei Kimminich, S. 394.
36) Mann, S. 571f.
37) Bismarck hat in seinen Lebenserinnerungen ein ganzes Kapitel der Emser Depesche gewidmet. Die angegebene Fundstelle befindet sich auf S. 339f.
38) Bismarck, S. 344. Zur Emser Depeche unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten (Aktenkunde) gibt es eine Artikelserie, die über rein politische Zusammenhänge hinausgeht: https://aktenkunde.hypotheses.org/181
39) Die Fundstellen im Zusammenhang bei Kimminich, S. 422 – 424. Dort sind auch die verschiedenen Textfassungen der Depesche abgedruckt. Auch in Bismarcks Memoiren wird der Text wiedergegeben.
40) Zum deutsch-französischen Krieg im Überblick: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Franz%C3%B6sischer_Krieg
41) Zur Schlacht von Sedan: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Sedan
42) Schoeps, S. 263.
43) Stürmer, S. 76.
44) Zur „Pariser Kommune“: https://de.wikipedia.org/wiki/Pariser_Kommune
45) Stürmer, S. 78.
46) Pfeil, S. 33 mit weiteren Nachweisen. 1870/71 hat also auf beiden Seiten des Rheins tiefe Spuren hinterlassen. Das Phänomen „Erbfeindschaft“ hat mindestens eine ganze Generation verfolgt.
47) Vgl. Schoeps, S. 264.
48) Zur Eröffnung des ersten Reichstags am 21. März 1871, Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags v. 11. 03.21: https://www.bundestag.de/resource/blob/827942/59bb0168bd4ec145bf6a6ad60189c874/Eroeffnung-Reichstag-data.pdf
49) Interessant ist der formale Ablauf sowohl 1871 als auch 1919 im Vergleich zu 1949: Im Kaiserreich und auch in der Weimarer Republik wurden zuerst Wahlen abgehalten, die unmittelbar zu einem Parlament führten, das erst nach seiner Konstituierung jeweils eine Verfassung verabschiedet und in Kraft gesetzt hat. 1948/49 wurde von den West- Allierten erst eine Konferenz von Fachleuten (Herrenchiemsee) einberufen, deren Entwurf von einer Versammlung (dem Parlamentarischen Rat) aus Abgesandten der Landesparlamente beraten und im Mai 1949 als sog. Grundgesetz für (West-)Deutschland verabschiedet wurde, nachdem dieses von den Militärgouverneuren abgesegnet worden war; erst im August 1949 wurde die erste Bundestagswahl abgehalten. In der DDR war der Ablauf bei der Verfassungsgebung und Staatsgründung zwar gänzlich verschieden von dem in Westdeutschland, aber nicht weniger fremdbestimmt; im Gegenteil, durch die Verwendung von Bezeichnungen wie „Volkskongreß“ oder „Volksrat“ wurde letztlich nur verschleiert, dass mit der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED) ein totalitäres Instrument zur Beherrschung der Massenorganisationen (wie Gewerkschaften, Jugendorganisationen oder die „Blockparteien“) gegründet worden war. Ost-Berlin war weder autonom noch vollständig souverän. Ob die Wiedervereinigung 1990 die augenscheinlichen Defizite bei der Beteiligung der „Untertanen“ beseitigen konnte? Sowohl die internationalen Verhandlungen im Sommer 1990 wie der innerdeutsche Einigungsvertrag v. 31.08.90 glichen in weiten Teilen ebenfalls einer Einigung „von oben“. Zwar wurde im März 1990 in der DDR eine neue Volkskammer erstmals wirklich frei gewählt; in der alten BRD setzte man aber ausschließlich auf territoriale Übernahme. Die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl fand im Dezember 1990, zwei Monate nach dem offiziellen staats-rechtlichen „Beitritt“ der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes statt. Das Versprechen einer freien Volksentscheidung in Art. 146 GG (in der Fassung von 1949) wurde niemals eingelöst.
50) Schoeps, S. 268.
51) Stürmer, S. 79.
52) Schoeps, S. 273f.
53) Da Gustav Radbruch bereits im November 1949 verstarb, gibt es von ihm keine Aussagen darüber, welche „Lebenslügen“ im geteilten Deutschland verbreitet wurden oder gar bis heute aufrechterhalten geblieben sind. In der untergegangenen DDR war es sicher neben der plakativen Parole vom „Antifaschismus“ das Trugbild der klassenlosen Gesellschaft. In der alten BRD der „Fetisch“ vom Wirtschaftswunder vor allem unter Adenauer; nach der Wiedervereinigung hat sich gleich eine Vielzahl (kleiner und großer) Lebenslügen „eingeschlichen“: blühende Landschaften, Agenda 2010, „Wir schaffen das“ u.v.m. Ein charakteristisches Merkmal dieser staatlichen Lebenslügen: ein großer Teil der Gesellschaft bleibt von derartigen „Zusagen“ ausgeschlossen oder steht hierzu in Opposition.
54) Nonn, S. 140 – 160.
55) Kimminich, S. 335.
56) Ders., S. 336. Besonders bemerkenswert ist, dass der Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee (August 1948) gleich zu Beginn im Grundrechtsteil in Art. 1 Abs. 1 lautet: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“ Die auf Herrenchiemsee versammelten Juristen wussten genau um die geistigen Ursprünge der NS-Diktatur und wollten mit der Umkehrung des Verhältnisses ein Zeichen setzen. Bezeichnenderweise hat der Parlamentarische Rat diesen Leitsatz ersatzlos gestrichen; dieses Gremium hatte weit über ein halbes Jahr getagt (auf Herrenchiemsee nur knapp zwei Wochen), so dass alte Nazis in Bonn genügend Zeit hatten, ihren Einfluss auf die Beratungen geltend zu machen. Lobbyarbeit hat schon in der Anfangszeit der alten BRD Früchte getragen (nicht erst seit dem Flick-Konzern, jüngste Beispiele: „Augustus Intelligence“ bzw. Wirecard): Geburtsfehler des Grundgesetzes, die bis heute nachwirken.
57) Paech/Stuby, S. 111. Zum Thema „Verrechtlichung“ des Krieges, dito, S. 108 – 116.
Literatur
Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen, als Taschenbuch 1962 beim Goldmann Verlag München erschienen.
Gall, Lothar: Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt/M. u.a. 1980.
Grimm, Dieter: Deutsche Verfassungsgeschichte 1776 – 1866. Vom Beginn des modernen Verfassungsstaats bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, Frankfurt/M. 1988
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Erstdruck Berlin 1821 (1820).
Kimminich, Otto: Deutsche Verfassungsgeschichte, 1. Auflage, Frankfurt/M. 1970 (die 2. Auflage ist im Wesentlichen unverändert).
Kissinger, Henry: Weltordnung, 1. Aufl., München 2014 (dt. Ausgabe).
Mann, Golo: Politische Entwicklung Europas und Amerikas 1815 – 1871, in: Ders. (Hg.), Propyläen Weltgeschichte, Band 8, Das neunzehnte Jahrhundert, Frankfurt/M. 1960.
Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 bis 1866. Bürgerwelt und starker Staat, 6. Aufl., München 1993.
Nonn, Christoph: Deutschland ohne Bismarck, in: Ders., Tobias Winnerling (Hg.), Eine andere deutsche Geschichte 1517 – 2017. Was wäre wenn…, Paderborn 2017, S. 140 – 160.
Paech, Norman/Stuby, Gerhard: Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, 1. Aufl., Hamburg 2001.
Pfeil, Ulrich: Versailles und der deutsch-französische Krieg von 1870/71, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Aus Politik und Zeitgeschichte, 150 Jahre Reichsgründung, Heft 1-2/2021 v. 04.01.21.
Schoeps, Hans-Joachim: Preußen. Geschichte eines Staates, Frankfurt/M. 1966.
Stürmer, Michael: Die Reichsgründung. Deutscher Nationalstaat und europäisches Gleichgewicht im Zeitalter Bismarcks, München 1984.
Außerdem empfehlenswert:
Das Deutsche Kaiserreich 1871 – 1918, Informationen zur politischen Bildung Heft 329, 1/2016, kostenlos zu beziehen bei der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn.