Für das Werk der 1937 geborenen und 1992 durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Gisela Elsner, das Romane, Erzählungen, Essays, Hörspiele und eine Oper umfasst, bedarf es keineswegs der Brecht’schen Aufforderung „Glotzt nicht so romantisch!“. Prägnant, scharf und detailliert ist die Sprache, mit der Elsner gesellschaftliche Verhältnisse abklopfte, sezierte und dekuvrierte. Sie sah ihre Aufgabe darin, „die Mißstände der bürgerlichen Gesellschaft zu entlarven“ und beschrieb das Überleben faschistischer Ideologie in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Seit 2002 erscheint eine sorgfältige, von der Hamburger Germanistin Christine Künzel im „Verbrecher Verlag“ herausgegebene Werkschau der Autorin. Künzel steht auch der „Internationalen Gisela Elsner Gesellschaft“ vor, die am letzten Freitag zu einem Symposium mit Vorträgen, Podiumsdiskussion sowie einer seltenen Aufführung von Teilen der Oper „Friedenssaison“ mit dem Libretto Elsners und der Musik von Christof Herzog ins Brecht-Haus einlud. Deutlich herausgearbeitet wurde dort die stilistische und dramaturgische Verwandtschaft von Brecht und Elsner. Karsten Mindt rückte Elsners befremdende und kalte Erzählweise in die Nähe des Brecht‘schen Verfremdungseffekts und wies dies an Textbeispielen nach. Er attestierte der Autorin eine teilnahmslose Beobachtung, die Elsner regelrecht zur Ethnographin der BRD-Gesellschaft machte. Auch die satirische Übertreibung Elsners kann als V-Effekt im Sinne Brechts gewertet werden. Judith Niehaus untersuchte die Verwendung unterschiedlicher Typographien bei Elsner in dem 1989 im Paul Zolnay Verlag erstveröffentlichten Roman „Fliegeralarm“, in dem das Endstadium des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive von faschistisch geprägten Kindern geschildert wird. Versal gesetzt sind dort die NS-Parolen und die von Kindern kaum zu verstehenden aber nachgeplapperten Termini des rassistischen Regimes. In ähnlicher Weise hat sich auch Brecht separate Schriftformen für unterschiedliche Textarten und auch Perspektiven verwandt.
Das Unpathetische, die Denk- und Formulierungsschärfe, völlig frei von Kitsch, zeichnet die Werke beider Autoren aus. Mit dem Fokus auf die großen gesellschaftlichen Konflikte ist das epische Theater Brechts der sezierenden Sprache Elsners, mit der das interessenbedingte Agieren der Figuren Elsners dargestellt wird, nahe. Sebastian Schuller aus München arbeitete in seinem Vortrag heraus, dass Elsner in dem posthum erschienenen Roman „Heilig Blut“ die Latenz des Faschismus anhand einer Jagdgesellschaft deutlich macht, die auch in unserer unmittelbaren Gegenwart noch spürbar ist. Kai Köhler, unter anderem auch Autor von „Junge Welt“ und „Melodie und Rhythmus“, befasste sich ausführlich mit Elsners Libretto für die Oper „Friedenssaison“, in der die Autorin die Friedensbewegung einer fundamentalen Kritik unterzog. Darin ist die von Elsner entworfene Figur der „Abgeordneten Herzchen“ deutlich an der prominentesten Grünen jener Zeit, Petra Kelly, angelehnt. Über die Grünen schrieb damals Elsner in einem zu Lebzeiten unveröffentlichten und undatierten Manuskript, das von Künzel im Verbrecher Verlag veröffentlicht wurde, ihren Befund, der bis auf Veränderungen der modischen Accessoires heute als äußerst wirklichkeitsnahe Beschreibung dieser Partei Gültigkeit hat:
„Bedingt durch die Unausgegorenheit vieler politischer Standpunkte der Grünen, hat sich in den hiesigen Krämerseelenkreisen, das heißt unter Kleingewerbetreibenden, Lehrern, Soziologen, Latzhosenpfaffen, frustrierten Hausfrauen, Studenten, verkannten Künstlern, abgetakelten Linkssektierern und unter ganzen Horden einsamer Herzen in diesem Staat eine sozial dem Kleinbürgertum zuzurechnende, exzessiv individualistische und introvertierte Bewegung formiert, die einen Widerstand praktiziert, der schon insofern nur kriecherisch zu nennen ist, als sich dieser Widerstand keineswegs frontal gegen den hiesigen monopolistischen Staat oder gegen die Macht der hiesigen Monopole richtet.“
Eine Schlussdiskussion, bei der die Schauspielerin Silvia Rieger für einen bühnenreifen Auftritt sorgte und die Autorin Patricia Görg sowie die Dramatikerin Tina Rahel Völcker unter Moderation von Christine Künzel teilnahmen, unterstrich die Aktualität von Elsners Werk. Allerdings sei die Propagierung der Oper oder auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihrem Werk keineswegs karrierefördernd. Elsners Manuskripte fanden Ende der 1980er-Jahre aufgrund ihrer politischen Position und ihrer Mitgliedschaft in der DKP nur noch schwer Verlage und galten „als nicht druckbar“. Freilich eine andere Form der Zensur, die aber nur schwer als solche zu beweisen ist. Trotz der Bewunderung für die analytische Schärfe Elsners, die Tina Rahel Völcker teilt, hält sie Elsners gnadenlose Abrechnung mit der Frauenbewegung für irritierend. Die zukünftige Elsner-Forschung, die aufgrund der Marginalisierung des Werkes kaum Unterstützung findet, wird sich gerade mit der Frage des Feminismus weiter befassen müssen.
Auf Elsners Werk, das zeigte das Symposium, trifft aber gewiss das folgende Diktum Brechts zu: „Die gegen den Faschismus sind, ohne gegen den Kapitalismus zu sein, die über die Barbarei jammern, die von der Barbarei kommt, gleichen Leuten, die ihren Anteil vom Kalb essen wollen, aber das Kalb soll nicht geschlachtet werden.“
Autor: Matthias Reichelt