Der Hintergrund des Völkermordes in Ruanda
Es scheint, als wäre es gestern gewesen und noch gar nicht lange her. Doch vor 28 Jahren schon fand im sogenannten „Land der tausend Hügel“ in unfassbarer Schnelligkeit ein Völkermord statt; und das vor den Augen der ganzen Welt.In Ruanda herrschten schon jahrzehntelang einige Spannungen bezüglich der Einteilung in die sozialen Gruppen der Hutu und Tutsi. Nicht selten brachen diese Spannungen in Gewalt aus. Daraus resultierte zunehmend eine Gruppierung der extremistischen Hutu, die gegen die Randgruppe der Tutsi hetzten. Um sich gegen die Hutu verteidigen zu können, bildeten die Tutsi im angrenzenden Exil eine bewaffnete Bewegung.
Die Rede ist von Félicien Kabuga. Seine Flucht hielt 26 Jahre an, als er dann letztendlich in Paris verhaftet wurde. Er gilt bis heute als einer der Drahtzieher, die für den schrecklichen Völkermord an über einer Million Angehöriger des Tutsi-Volkes in Ruanda verantwortlich sind.
Vor 28 Jahren, also genauer gesagt im Jahre 1994, ermordeten die extremistischen Hutu in Ruanda 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu. Umso erstaunlicher ist es, dass es heutzutage in dem afrikanischen Land sogenannte „Versöhnungsdörfer“ gibt. Hier leben Täter und Opfer Haustür an Haustür.
Nach knapp 26 Jahren Flucht ist nunmehr einer der mutmaßlichen Drahtzieher dieses Völkermordes in Paris festgenommen worden. Der heute über 80-jährige Félicien Kabuga wurde in einem Appartement in Asniéres-sur-Seine – ein Vorort von Paris – verhaftet. Der Vorort liegt circa 7 Kilometer nördlich vom Stadtzentrum entfernt.
Der Drahtzieher lebte in Frankreich mit einer falschen Identität. Er zählte damals in Ruanda zu einem der einflussreichsten Strippenzieher, der hauptsächlich im Hintergrund agierte. Kabuga war ein erfolgreicher Unternehmer und war so einer der reichsten Menschen in Ruanda. Des Weiteren galt er auch als enger Vertrauter des Machthabers Juvénal Habyarimana; dieser hatte sich im Jahr 1973 an die Macht geputscht.
Am 06.04.1994 wurde das Flugzeug des Führers der ethnisch von dem Volk der Hutu dominierten Diktatur abgeschossen. Dabei kam dieser Führer ums Leben und von da an zählte Kabuga zu den Personen, die ethnischen Hass anstachelten. Und deshalb war es kein anderer Radio- und Fernsehsender (RTLM) als sein eigener, der gezielt und offen zu Morden an den Tutsi aufrief.
Daraufhin startete ein Massaker, welches bis heute noch zu dem größten rassistisch angelehnten Genozid seit dem 2. Weltkrieg zählt. Innerhalb von 100 Tagen starben so auf schrecklichste Weise mindestens 800.000 der Tutsi-Angehörigen sowie Angehörige der gemäßigten Hutu. Schätzungen zufolge soll es sogar mehr als eine Million Opfer geben. Der Drahtzieher Kabuga hatte den Vorstand eines Fonds „Fonds für nationale Verteidigung“ inne. Dieser Fonds unterstützte die berüchtigte Interhamwe-Miliz finanziell und stellte der Miliz Geld zur Verfügung. Das Ziel dieser Miliz war die Ermordung sämtlicher Tutsi-Angehöriger in Ruanda und gehörte zum inneren Kern der als „Hutu-Power“ bezeichneten rassistischen Bewegung.
Scheinbar ließ Kabuga größere Mengen an Macheten importieren, mit denen dann die Hutu-Extremisten die Massaker an den Tutsis ausübten. Gemäß einer offiziellen Statistik der Regierung von Ruanda wurden rund 37,9 % mit Macheten und weitere 16,8 % mit Knüppeln getötet.
Große Vorwürfe erhielt Kabuga dahingehend, dass er als Unternehmer den Einfluss gehabt hätte, diesen archaischen Gewaltexzess zu verhindern oder zumindest nach kurzer Zeit beenden zu können. Offensichtlich tat aber Félicien Kabuga gerade das Gegenteil.
Nach knapp zwei Monaten Vernichtung und vielen hunderttausend Toten entschied sich die Weltgemeinschaft doch noch zum Eingreifen. Deshalb reiste Kabuga mit seiner Familie dann im Juni 1994 vorerst in die Schweiz, wo er dann aber acht Wochen später zur Ausreise gedrängt wurde. Außerdem hatte er auch viel Geld im Gepäck, welches er auf Schweizer Bankkonten eingelagert hatte.
Die Drängung zur Ausreise fruchtete und so war sein nächstes Ziel die (heutige) Demokratische Republik Kongo (damals Zaire; Kinshasa), danach dann Nairobi in Kenia. Kabuga konnte hier einige Zeit aufgrund Bestechung gut und unbehelligt leben, obwohl Ruandas neue Regierung die sofortige Auslieferung forderte.
Als der Druck der kenianischen Regierung dann doch zu groß wurde, tauchte Félicien Kabuga im November 1997 unter. Im Folgejahr fand in seinem mutmaßlichen Quartier in Nairobi eine Razzia statt, bei der er aber nicht angetroffen wurde. Fünf Jahre später erst fand sich ein Informant, der der Polizei eine Spur zu Kabuga geben wollte; leider wurde dieser ermordet bevor er seine Information kundtun konnte. Wo sich Kabuga derweilen aufhielt, war unklar. Genauso unklar ist weiterhin, wie und wann er nach Frankreich kommen konnte. Angeblich soll er sich auch in Deutschland und Belgien aufgehalten haben.
Im Jahr 1994 wurde der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda eingerichtet, der am 22.08.1998 Kabuga in Abwesenheit angeklagt hatte. Die Vorwürfe gegen ihn waren keine geringeren als:
– Völkermord,
– Beihilfe zum Völkermord,
– Anstachelung und Verschwörung zum Völkermord.
Seit dem Jahr 2001 ließ Interpol nach Kabuga suchen. Des Weiteren erließ das US-Außenministerium einen internationalen Haftbefehl gegen ihn und versprach sogar eine Belohnung in Höhe von bis zu 5 Millionen US-Dollar.
Der heutige Erfolg der Fahndung geht auf eine Zusammenarbeit der französischen mit ruandischen sowie belgischen und britischen Ermittlern zurück, heißt es. Félicien Kabuga soll zuerst dem Generalstaatsanwalt in Paris vorgezeigt und anschließend an den Strafgerichtshof in Den Haag übergeben werden.
Antonio Guterres, UN-Generalsekretär, bezeichnete die Festnahme von Kabuga als ein starkes Signal, denn die Täter könnten auch nach Jahrzehnten noch zur Rechenschaft gezogen werden. Der Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker hofft indes, dass Kabuga noch seinen Prozess bekommt, auch wenn er schon im fortgeschrittenen Alter ist. Dies ist vor allem ein wichtiges Signal im Kampf gegen die Straflosigkeit bei Völkermord an heutige Täter, dass auch ihr Verbrechen nicht straflos bleiben wird.
Selbst zwanzig Jahre nach diesem schrecklichen Genozid stellt sich noch immer die Frage, wie man in Zukunft ähnlich gelagerte Verbrechen verhindern kann. Die Regierung von Ruanda hat sich ein ganz klares Ziel gesetzt, nämlich sämtliche Diskriminierung von Rassen aktiv zu verhindern. Des Weiteren wird „Divisionismus“ und selbst das Leugnen von Völkermord mit hohen Haftstrafen geahndet. Hierzu habe man das komplette Justizsystem normiert und eine starke Strafverfolgungsbehörde gegründet und eine bestmöglich ausgebildete Armee zur Verfügung gestellt. Ruanda ist leider heute immer noch nicht ganz ohne Feinde denn im Nachbarland sind weiterhin Völkermörder aktiv.
Autor: Michael Schmidt
Weitere Informationen unter:
Seine Leute töteten mit Macheten von Antonia Kleikamp vom 18.05.2020 (https://www.welt.de/geschichte/article208058333/Voelkermord-in-Ruanda-Er-liess-mit-Macheten-morden.html)
Völkermord in Ruanda – Wie das Töten begann und endete von Simone Schlindwein, Kigali vom 06.04.2019 (https://www.n-tv.de/politik/Wie-das-Toeten-begann-und-endete-article20950069.html)
Projektseite zum Genocide Alert Ruandaprojekt „20 Jahre danach – Was sind die Lehren aus dem Völkermord in Ruanda?“ (https://www.genocide-alert.de/projekte/20-jahre-nach-dem-genozid-in-ruanda/hintergrund/)