Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts sahen sich Armenier im osmanischen Reich verstärkten Anfeindungen ausgesetzt. Im Westen des Landes wurden sie aufgrund eines gewissen Wohlstandes von vielen Türken beneidet. Im Osten dagegen häuften sich Streitigkeiten um Ländereien, zumal das osmanische Reich nach dem Frieden von San Stefano 1878 umfangreiche Gebiete auf dem Balkan verlor und daraufhin viele türkische Flüchtlinge in den armenischen Siedlungsgebieten eine neue Heimat suchten. Darüber hinaus fühlten sich die Armenier durch lokale kurdische Machthaber unterdrückt, denen sie – neben den offiziellen Abgaben an die osmanischen Behörden – häufig Schutzgeld entrichten mussten.
In den 1880er Jahren entstanden erste armenische Parteien, die den Wunsch nach Unabhängigkeit aufgriffen. Die Forderung gebildeter Armenier nach Reformen und der Anerkennung einer eigenen Nationalität führten langsam, aber unaufhaltsam zu einem Konflikt mit der Regierung des osmanischen Reiches. Auf vereinzelte Aufstände und Anschläge gegen offizielle Einrichtungen folgten zwangsläufig gewaltsame Reaktionen aus Konstantinopel. Lokale Autonomiebestrebungen förderten auf türkischer Seite eine zunehmende Feindseligkeit gegenüber dem gesamten armenischen Bevölkerungsanteil. Infolge dessen kehrten viele Armenier dem osmanischen Reich den Rücken zu und wanderten entweder in benachbarte Länder oder nach Übersee aus.
In den Jahren 1894-96 mündeten die Ressentiments in erste Übergriffe auf die armenische Bevölkerung in verschiedenen Landesteilen, die von offiziellen Stellen organisiert oder zumindest toleriert wurden. Ihnen fielen schätzungsweise 100.000 Menschen zum Opfer. Die Situation verschärfte sich 1908 durch die Machtübernahme der Jungtürken. Diese Bewegung führte zunächst die Verfassung wieder ein und setzt vergeblich auf einen Ausgleich aller Bevölkerungsgruppen. Auf die Absetzung des Sultans im Jahr 1909 folgte das Massaker von Adana, dem erneut etwa 20.000 Armenier zum Opfer fielen. Nach dem Machtverlust der Jungtürken 1912 gelangten diese im Jahr 1913 durch einen Militärputsch unter Führung von Enver Pascha und dem Komitee für Einheit und Fortschritt (KEF) wieder an die Regierung. In der Folge verstärkten sich die bereits seit den Balkankriegen vorhandene Zweifel an der Ergebenheit osmanischer Christen gegenüber dem Staat. Die Vorstellung einer ethnisch einheitlichen Türkei mündete in die Idee eines modernen türkisch-muslimischen Staates, der eine gemeinsame Zukunft mit der christlichen Bevölkerung nicht mehr vorsah.
Ablauf des Genozids
Durch den Eintritt in den ersten Weltkrieg erhoffte sich das osmanische Reich die Rückgewinnung verlorener Gebiete. Diese Erwartung erfüllte sich allerdings nicht. Während türkische Offensiven an der Ostfront und am Suezkanal erfolglos blieben, gewannen im Osten des Reiches armenische, kurdische und syrische Milizen mit russischer Unterstützung zunehmenden Einfluss. Infolge dessen unterstützte im Rahmen der russischen Gegenoffensive 1915 eine Minderheit der Armenier die Russen oder kämpfte auf ihrer Seite. Die türkische Regierung machte daraufhin die Armenier für die ausbleibenden Erfolge im Osten verantwortlich.
Bereits im Februar des Jahres 1915 begann auf Veranlassung des türkischen Innenministers Talat Pascha die Deportation von Armeniern aus den frontnahen Gebieten im Osten des osmanischen Reiches. Auf die Entlassung aller Armenier aus dem Heer folgte in den nächsten Monaten die Hinrichtung eines überwiegenden Teils der wehrfähigen Männer. Bewaffneter Widerstand von Armeniern in der Provinzhauptstadt Van und vereinzelte Ausschreitungen gegen Muslime interpretierte Talat Pascha am 24.04.1915 als armenische Revolution. Als Reaktion organisierte die Regierung den Abtransport hunderter armenischer Intellektueller aus Istanbul, sowie in den folgenden Wochen auch in anderen Provinzstädten.
Das am 27.05.1915 erlassene Deportationsgesetz führte zur Zusammenführung der armenischen Bevölkerung an festgelegten Orten und bildete die Grundlage für die Vertreibung. Während der Abtransport aus den westlichen Landesteilen in Viehwaggons erfolgte, wurden viele Menschen in den übrigen Provinzen bereits vor Ort ermordet oder in Todesmärschen Richtung Süden verbracht. Die Vertriebenen verloren nicht nur ihren gesamten Besitz, sondern wurden immer wieder Opfer organisierter oder spontaner Gewaltaktionen. Dazu zählen neben Misshandlungen und Ermordungen auch Vergewaltigungen sowie die Versklavung von Frauen und Kindern.
Während in offiziellen Quellen des Komitees für Einheit und Fortschritt nur von Umsiedlungen die Rede ist, wurden die maßgeblichen Befehle zur Ermordung der armenischen Bevölkerung mündlich ausgegeben. Schilderungen von Augenzeugen über den Genozid finden sich dagegen häufig in Berichten ausländischer Botschafter, Firmenvertreter oder deutscher Militärangehöriger. Die Auswertung zeitgenössischer Quellen legt den Schluss nahe, dass bei den Fußmärschen in Richtung syrischer Wüste oder in den Massenlagern der Tod der Vertriebenen durch Hunger, Durst, Hitze, Krankheiten oder Erschöpfung bewusst einkalkuliert wurde. Angebote anderer Nationen zur Leistung humanitärer Hilfe wies die türkische Regierung ebenso zurück wie das Ansinnen des Gouverneurs von Aleppo zur Bereitstellung von Unterkünften. Auf die Fortsetzung der Vertreibung in Richtung Deir ez-Zor folgten im Sommer der Weitermarsch nach Osten über den Euphrat und anschließend die Ermordung der überlebenden Armenier.
Rolle des Deutschen Reiches
Während die Entente bereits am 24.04.1915 die Deportationen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnete, wurde Kritik in Deutschland unterdrückt, um das Osmanische Reich im Krieg an deutscher Seite zu halten. Auch wenn das Kaiserreich nicht an der Organisation beteiligt war und sich deutsche Offiziere und Diplomaten vor Ort für die armenische Bevölkerung einsetzten, so nutzte die türkische Regierung für die Deportationen Viehwaggons der Bagdadbahn, welche zu dieser Zeit mit deutscher Hilfe gebaut wurde. Darüber hinaus befanden sich zum Zeitpunkt des Genozids tausende deutscher Offiziere und Soldaten zur Unterstützung des Militärs und der Marine im osmanischen Reich, so dass manche von ihnen zwangsläufig an der Deportation beteiligt waren oder zumindest Augenzeugen dieser Maßnahmen wurden.
Opferzahlen
Weder über die Zahl der Armenier im osmanischen Reich noch über die Zahl der Opfer lassen sich verlässliche Zahlen ermitteln. Verschiedene Quellen beziffern die Gesamtzahl der armenischen Bevölkerung auf 1,3 – 2 Millionen Menschen, von denen schätzungsweise die Hälfte während des Genozids ihr Leben verlor. Einigen hunderttausend Menschen gelang die Flucht oder sie wurden von muslimischen Freunden verborgen, die dafür die Todesstrafe riskierten. Zahlreiche armenische Waisenkinder verloren nach der Verteilung an muslimische Familien ihre Identität. Etwa 600.000 Menschen überlebten den Völkermord und zogen in benachbarte Landesteile oder nach Übersee. 1922 lebten in der Türkei noch etwa 100.000 Armenier.
Die vom türkischen Sultan Mehmet V. am 14.12.1918 in Gang gesetzten Prozesse gegen die Verantwortlichen des Genozids verliefen in den Wirren der Nachkriegszeit im Sand und endeten mit dem Erlass einer allgemeinen Amnestie für die Angeklagten. Von 17 Todesurteilen vollstreckte das Militärgericht lediglich 3 Fälle.
Autorin: Martina Meier
Links & Literatur
https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/genozid-an-den-armeniern/
https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord_an_den_Armeniern