Der Dokumentarfilm „Watergate“ zeigt auf temporeiche und packende Art, wie der republikanische US-Präsident Richard Nixon sein Land in den 1970er Jahren in einen der berüchtigtsten politischen Skandale der Weltgeschichte manövrierte. Auf der Berlinale 2019 wurde er gerade erstmals dem europäischen Publikum vorgestellt – das bereits für die Subline applaudierte, die da lautet: „Wie wir lernten, einen außer Kontrolle geratenen Präsidenten zu stoppen.“
Historisch, aber aktuell
Die bissige Zusammenfassung von Nixons Laufbahn liefert Bob Woodward gegen Ende des Films, der als Journalist anführt, dass der Präsident fünf Kriege geführt habe: gegen die Kritiker des Vietnamkrieges, gegen die Medien, gegen seine demokratische Opposition, gegen den Rechtsstaat und gegen die Geschichte. Das Resümee lässt die Zuschauer unweigerlich an das aktuelle Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten denken. Auch auf diese Art gibt das vierstündige Werk des Regisseurs Charles Ferguson ein verstecktes Statement zu Donald Trump ab, ohne dessen Namen auch nur ein einziges Mal zu erwähnen.
Obwohl die Watergate-Affäre Gegenstand zahlreicher Reportagen, Dokus und Spielfilme ist – wie Oliver Stones „Nixon“ aus dem Jahre 1995 – sah der Oscar-Preisträger Charles Ferguson Anlass, den Fall wieder aufzurollen. Watergate, so Ferguson, sei noch nie gründlich behandelt worden. Entsprechend umfangreich und nahezu episch verknüpft sein Film darum originale Fernsehausschnitte, Zeitzeugen-Interviews und Schauspielszenen. Es ist nicht zuletzt der gekonnte Humor der Overvoice-Kommentare, der das Werk bei dieser Menge an Informationen publikumsfreundlich macht. Fergusons selbst erklärtes Ziel, die ganze Watergate-Geschichte zum ersten Mal auf verständliche Weise zu erzählen, wird erreicht.
Skandalöse Präsidentschaft
Den Kern des Watergate-Skandals bildet ein von Nixon in Auftrag gegebener Einbruch in die Parteizentrale der Demokraten – sowie das verzweifelte Bemühen des Präsidenten, den verbrecherischen Akt zu vertuschen. „Watergate“ hieß das Gebäude, in dem sich die Räumlichkeiten befanden. Bis zuletzt, nämlich bis kurz vor seinem Rücktritt 1974, lehnte Richard Nixon es ab, für die Geschehnisse Verantwortung zu übernehmen, womit er auch seinen eigenen Mitarbeitern Schaden zufügte.
Es war der nicht nachlassende Druck der US-amerikanischen Verfassungsinstanzen, der öffentlichen Medien und des Volkes selbst, der ihn letzten Endes dazu zwang, klein beizugeben: „The interests of America first“ lauteten Nixons abschließende Worte.
Und wieder hört man in Gedanken Donald Trump ganz ähnliche Phrasen sprechen. Die subtil vermittelten Parallelen zur aktuellen politischen Lage in den USA und weltweit machen den Dokumentarfilm in doppelter Hinsicht zu einer Enthüllung. Ferguson äußerte zur heutigen Situation, dass wohl geschätzte zwei Drittel der Politiker im US-Kongress dort bloß ihre Zeit absäßen, um nach deren Ablauf als Lobbyisten ihre Laufbahn in der Wirtschaft fortzusetzen.
Machtmissbrauch damals und heute
Zu Nixons Zeiten herrschten im System der USA teils andere Verhältnisse, welche der Dokumentarfilm transparent macht. So betraten Akteure wie etwa die demokratische Abgeordnete Barbara Jordan die politische Bühne. Sie war die erste Politikerin afroamerikanischer Herkunft im Abgeordnetenhaus und machte sich den Schutz eben jener Verfassung zum obersten Ziel, die ihr diesen Werdegang erlaubt hatte.
Nixon selbst dagegen trat die Verfassung – und damit die Ehre der amerikanischen Bürger – mit Füßen. Der Dokumentarfilm beschreibt, wie er als Präsident Listen anlegte mit erklärten „Feinden“, auf denen gegnerische Politiker, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens aufgeführt waren. In seiner stetig wachsenden Paranoia erstellte er Pläne, wie diese Menschen am besten zu zermürben seien, schmiedete Intrigen und erteilte den Auftrag, in das Washingtoner Watergate-Haus der verhassten Demokraten einzubrechen und Dokumente zu stehlen sowie Abhörgeräte anbringen zu lassen.
Worte von Präsidenten
So wie Donald Trump twittert, so hatte auch Richard Nixon eine favorisierte Technologie, mittels derer er seine Gedanken formulierte. Bei ihm waren es Tonbänder, die er besprach. Die Originalbänder wurden nach dem Rücktritt des Präsidenten für lange Zeit unter Verschluss gehalten; inzwischen sind die Inhalte jedoch zugänglich gemacht worden. Dem Dokumentarfilm „Watergate“ verleihen sie neben dem visuellen Material eine weitere mediale Ebene. Und jene Sprachaufnahmen verdeutlichen besonders eindringlich die perverse Selbstgenügsamkeit eines Staatsoberhauptes, das einem zwanghaften Kontrollwahn anheimgefallen war. Sollte man angesichts Nixons Tonaufzeichnungen im Verborgenen möglicherweise erleichtert sein, dass Trumps Twitter-Texte von vorneherein öffentlich sind?
Immer wieder evoziert „Watergate“ Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Vergangenheit und der heutigen Lage. Damit soll das Werk zu einem zeitlosen Zeugnis erhoben werden: Charles Fergusons erklärte Absicht war, einen Film für die Zukunft zu machen. Auch in dreißig Jahren solle man noch erkennen, wie die US-amerikanische Verfassung in der Lage sei, sich selbst zu schützen.
Watergate – Or: How We Learned to Stop an Out of Control President
Regie:
USA 2018, Englisch
262 Min · Farbe / SW
Berlinale – Sektion Berlinale Special