Verschuer, Otmar – Eine Biografie von Otmar von Verschuer (Otmar Freiherr von Verschuer) am Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene und der Erbbiologie und Rassenhygiene im Jahr 1942: Der Mediziner von 1935 in der Hessische Biografie und sein Wirken als Mediziner im Nationalsozialismus
Otmar Freiherr von Verschuer (1896–1969) wurde in eine Familie hineingeboren, die sich bereits seit Generationen im akademischen und politischen Umfeld bewegte. Sein Leben und Schaffen sind eng verflochten mit der Zeit des Nationalsozialismus und dem Aufstieg rassenbiologischer Theorien, die seine Arbeit maßgeblich prägten. Schon ab 1919 begann er, sich intensiv mit Fragen rund um die menschliche Erblehre und die Bedeutung von „Eugenik“ in Gesellschaft und Staat zu beschäftigen. Dabei ist es bemerkenswert, wie früh er Kontakt zu führenden Persönlichkeiten der rassenbiologischen Bewegung suchte, um seine eigene Karriere zu fördern. In der niederschlagung des aufstands der thüringer Arbeiter beteiligt war er zwar nicht direkt, jedoch verfolgte er die politischen Umbrüche nach dem Kapp-Putsches im März 1920 mit großem Interesse. Als Mitglied des marburger Studentenkorps stand er gleichwohl jenen Kreisen nahe, die sich später im Kontext der Rassenpolitik profilieren sollten. Die Geschichte des neuen Deutschlands nach der Machtergreifung Hitlers fand in ihm einen glühenden Beobachter und künftigen Akteur, der sich aktiv an der rassenhygienischen Debatte beteiligte. Seine Herkunft und sein Stand als frhr boten ihm Möglichkeiten, in medizinischen und wissenschaftlichen Institutionen schnell aufzusteigen und wichtige Netzwerke zu knüpfen.
Der Weg zur Wissenschaft
Otmar zeigte bereits früh eine große Begeisterung für naturwissenschaftliche Fächer, die ihn schließlich zur Medizin führten. Unter seinen Lehrern befand sich auch ein deutscher Mediziner, der ihm das Fundament für sein weiteres Schaffen vermittelte. An der Frankfurter Universität begann er sich später in besonderem Maße für die vererbungsbiologische Zwillingsforschung zu interessieren, die er im Laufe seiner Karriere vertiefen sollte. Sein Streben nach wissenschaftlicher forschung ging über rein theoretische Fragen hinaus, da er stets bestrebt war, von der Theorie in die Praxis zu wechseln und angewandte Erkenntnisse zu gewinnen. Ab 1919 hatte sich Otmar auch mit sozialpolitik und rassenhygiene auseinandergesetzt, um den gesellschaftspolitischen Kontext seiner Arbeit zu verstehen. Diese frühe Auseinandersetzung mit rassenbiologischen Ideen sollte prägend für sein Wirken werden. Otmar knüpfte Kontakte zu Kollegen, die später führende Rollen in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und anderen Institutionen innehatten. Seine wissenschaftliche Neugier ging Hand in Hand mit einem ausgeprägten Karrierestreben, das ihn schon in jungen Jahren zu einem gefragten Mediziner im nationalsozialismus machte.
Akademie der Wissenschaften: Verschuer im wissenschaftlichen Diskurs
Nachdem Otmar von Verschuer erste akademische Schritte unternommen hatte, verstärkte sich seine Bekanntheit rasch, sodass er bald mit der Akademie der Wissenschaften in Kontakt kam. Dort sollten seine rassenbiologischen Forschungsansätze auf fruchtbaren Boden fallen, denn die Institution war in jenen Jahren bestrebt, den vermeintlichen Nutzen von Rassenhygiene im medizinischen und gesellschaftlichen Diskurs zu verankern. Die Akademie fungierte damit als Schaltstelle zwischen Politik, universitärer Forschung und der breiten Öffentlichkeit. Zudem wurde Verschuer im Laufe der Zeit Berater der Abteilung für rassenbiologische und humangenetische Fragestellungen, was seine Reputation weiter untermauerte. Als rassenforscher in der zeit des Nationalsozialismus verfolgte er die Idee, vermeintlich „erbkranken“ Menschen durch eugenische Maßnahmen entgegenzuwirken, was zu einer Verschmelzung von Politik und Wissenschaft führte. Auch in der Akademie wurde damals diskutiert, wie die Erbpathologie auf staatlicher Ebene zur Anwendung kommen könne. Verschuer trieb diese Überlegungen mit großem Eifer voran, ungeachtet der ethischen Implikationen, die sich aus der Rassenpolitik ergaben. Später, nach dem kriegsende, galt er in bestimmten Kreisen dennoch als prominenter Forscher mit ambivalenter Rolle.
Erbpathologie: Eine Spurensuche
Die Erbpathologie erschien in den 1930er-Jahren als Weg, um Ursachen für erbliche Erkrankungen zu finden und diese systematisch zu erforschen. Otmar von Verschuer erkannte das Potenzial dieser Disziplin, um sie in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie zu stellen. Seine Publikationen, die er als Herausgeber der Zeitschrift für erbbiologische Forschung mitgestaltete, verdeutlichen den Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnisse über Erbkrankheiten mit der politischen Forderung nach Selektion und Ausgrenzung zu vereinen. Gerade in der Zeit zwischen 1934 und 1937 entstanden zahlreiche Aufsätze, in denen Verschuer betonte, wie wichtig ein präventiver Umgang mit erbpathologischen Befunden sei. Allerdings vernachlässigten diese Schriften weitgehend die ethischen Bedenken, die mit der Umsetzung solcher Forderungen einhergingen. Auch josef mengele, der spätere lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz, fand bei Verschuer eine gewisse Förderung, was die eng verwobenen Netzwerke dieser Jahre aufzeigt. Im Rahmen der kaiser-wilhelm-gesellschaft wurden denn auch Projekte zu rassenbiologischen Theorien unterstützt, die sich auf Fragen der Eugenik, Erblehre und rassenhygiene stützten. Mit der Zeit gerieten die scheinbar „neutralen“ Forschungsanliegen mehr und mehr in den Dienst der NS-Ideologie, was zu fatalen Folgen führte.
Lehrbuch: Verschuer als Verfasser
Otmar Freiherr von Verschuer war nicht nur Forscher, sondern auch Autor mehrerer Schriften, die im akademischen Bereich weite Verbreitung fanden. Eines seiner wichtigsten Werke entstand in Zusammenarbeit mit anderen Rassenhygienikern in der zeit des Nationalsozialismus und trug maßgeblich zu seiner Reputation bei. In diesem Lehrbuch diskutierte er die theoretischen Grundlagen der menschlichen Erblehre und Eugenik, wobei er die enge Verknüpfung von Politik und Wissenschaft hervorgehob. Er postulierte, dass menschliche Erblehre und Eugenik untrennbar zusammengehörten, wenn ein Staat plane, „kommende Generationen in der Sicht“ einer vermeintlich gesünderen Bevölkerung zu gestalten. Das Buch enthielt zahlreiche Fallbeispiele, in denen sogenannte „erbkranke“ Personen als abschreckendes Beispiel aufgeführt wurden. Hinweise auf die praktischen Konsequenzen dieser Ansichten, wie etwa Zwangssterilisationen, wurden zwar lediglich angedeutet, doch die Richtung war klar ersichtlich. Diese Publikationen, die auch als Sonderdruck oder Beilage für verschiedene Institutionen verbreitet wurden, trugen nicht nur zu Verschuers Anerkennung in Fachkreisen bei, sondern festigten auch die rassenhygienische Ideologie in der Öffentlichkeit. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg blieben sie in einigen Bibliotheken präsent, ehe die kritische Aufarbeitung begann.
Medizinische Praxis: Vom Theoriegebäude zur Anwendung
Verschuer entkam stets dem Vorwurf, er habe persönlich an grausamen Experimenten teilgenommen, doch seine Rolle in der medizinischen praxis zur Zeit des Nationalsozialismus ist durchaus kontrovers. Als Professor für Humangenetik und Mediziner an mehreren renommierten Einrichtungen legte er die Grundsteine für die Anwendung rassenhygienischer Erkenntnisse an konkreten Patienten. Sein Hauptaugenmerk lag auf einer fortschreitenden „Aufklärung“ im Sinne des NS-Staates, die vorsah, alle Bevölkerungsgruppen nach ihrer erblichen Eignung zu taxieren. Gleichzeitig fungierte er als Abteilungsleiter in dem Kaiser-Wilhelm-instituts für Anthropologie, wo er eng mit Josef Mengele in Kontakt stand. Mengele wurde später durch seine Funktion im Konzentrationslager Auschwitz zum Inbegriff ärztlicher Gräueltaten, doch schon zuvor war er in den Vorlesungen von Verschuer und anderen Rassenforschern stark von rassenbiologischen Theorien beeinflusst. Zitate in historischen Quellen zeigen, dass Verschuer in seiner Rolle als „Erbarzt“ den Gedanken verfolgte, die sogenannte „Rassenhygiene an der Universität“ fest zu verankern. Obwohl Otmar von Verschuer nicht direkt in den Lagern praktizierte, unterstützte er die Ausrichtung der Humangenetik, die einzelne Personengruppen ausgrenzen sollte. Dieses Zusammenspiel aus theoretischer Fundierung und praktischer Umsetzung führt bis heute zu einer kontroversen Beurteilung seiner Vita.
Biologie: Grundlagen und neue Ansätze
In der Biologie jener Zeit war die Genetik eine relativ junge Disziplin, die jedoch sehr schnell politisiert wurde. Verschuer, der sich selbst als Humangenetiker sah, griff auf methodische Ansätze zurück, die auf der klassischen Vererbungslehre beruhten, sie aber mit rassenbiologischen Aspekten anreicherte. Diese Form der „Wissenschaft“ diente in erster Linie der Legitimation staatlicher Maßnahmen, die auf Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen abzielten. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft förderte solche Forschungen, indem sie Einrichtungen wie das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie in Berlin-Dahlem unterstützte. Dort wurden systematische Untersuchungen durchgeführt, bei denen die vermeintliche Überlegenheit bestimmter „Rassen“ betont wurde. Ein kritischer Blick auf diese Entwicklung wurde erst nach dem Kriegsende im Rahmen der Geschichte der Medizin laut, als man begann, die politisch motivierte Ausrichtung der Biologie offenzulegen. Auch die „wissenschaftliche Forschung“ im Bereich der Biologie stand stark in der Kritik, weil sie – unter dem Deckmantel objektiver Erkenntnis – das Weltbild der NS-Machthaber stützte. So erklärt der Historiker Udo Benzenhöfer: „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse jener Zeit müssen stets im Kontext ihrer politischen Aufladung gelesen werden.“ (vgl. Udo Benzenhöfer, 2007). Damit wurde deutlich, wie tiefgreifend die Nähe zwischen Politik und Forschung reichte.
Genetik: Erkenntnisse im Fokus
Die Genetik lieferte in den 1930er-Jahren Instrumente, die zur vermeintlich „rationalen“ Selektion von Menschen missbraucht werden konnten. Otmar freiherr von Verschuer nutzte seine Stellung, um auch innerhalb der neu gegründeten Institute entsprechende Forschungsprojekte anzustoßen. Eines seiner Hauptanliegen bestand darin, genetische Merkmale so zu klassifizieren, dass staatliche Stellen diese Informationen zur Steuerung einer angeblich gesunden Bevölkerungsentwicklung heranziehen konnten. Der rassenbiologische Diskurs, den Verschuer mitgestaltete, schien in seinen Augen einen wichtigen Beitrag zur „Sozialpolitik und Rassenhygiene“ zu liefern. In Wahrheit führte dies zu einer scharfen Unterteilung in „lebenswert“ und „lebensunwert“, was sich später in der rassenhygienischen Praxis widerspiegelte. Gleichzeitig sah er sich selbst nicht als reinen Ideologen, sondern als Wissenschaftler, der – aus seiner Sicht – lediglich die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung erforschte. Doch die sicht der genetik wurde in jenen Jahren verzerrt, da sie zu sehr an die politische Agenda gekoppelt war. Diese Verflechtung war so eng, dass Verschuer selbst bei harmlosen Fragestellungen immer auch politisch-strategische Motive verfolgte. Kritische Stimmen wurden kaum gehört, da das Regime abweichende Positionen konsequent unterdrückte.
Handbuch der Biologie: Ein „wegweisendes“ Werk
In seinem Beitrag für das Handbuch der Biologie stellte Otmar von Verschuer ausgewählte Forschungsresultate zusammen, die das wissenschaftliche Selbstverständnis der damaligen Rassenbiologie widerspiegelten. Er präsentierte dort eine Vielzahl von Studien, welche die vermeintliche Vererbungsdominanz bestimmter körperlicher und geistiger Merkmale belegen sollten. Dieses Handbuch stellte eine Art Kompendium dar, in dem führende Forscher – darunter Verschuer – grundlegende Theorien und Methoden zusammenfassten. Doch das Werk war keineswegs rein akademisch, sondern diente auch als Legitimation für die eugenischen Programme des NS-Staates. Dem kritischen Betrachter von heute fällt auf, wie selektiv die Quellenlage war, die Verschuer und seine Mitstreiter anführten. Sie fokussierten sich vor allem auf jene Befunde, die ins Bild der rassenhygienischen Doktrin passten, während widersprechende Ergebnisse ausgeblendet wurden. Als rassenbiologischen Leitfaden konzipiert, erfreute sich das Handbuch reger Rezeption in den Universitäten, insbesondere unter denjenigen, die an einer systematischen Ausgrenzung bestimmter Gruppen mitwirken wollten. Der ebenfalls dort thematisierte Ansatz der Anthropologie diente der vermeintlichen Erfassung aller körperlich-seelischen Aspekte des Menschen, jedoch stets durch die ideologische Brille einer hierarchisierenden Rassenlehre.
Otmar von Verschuer: Forschungsprofile in der Zeit des Nationalsozialismus
Otmar von Verschuer entwickelte sich in der zeit des Nationalsozialismus zu einer Schlüsselfigur, deren wissenschaftliche Autorität innerhalb des Regimes hohen Stellenwert genoss. Als Dekan der medizinischen fakultät an verschiedenen Hochschulen – unter anderem an der frankfurter Universität – setzte er sich für eine Rassenhygiene an der Universität ein, die sich in Lehrplänen, Forschungsprojekten und Prüfungsinhalten widerspiegelte. Auch wenn Verschuer sich später bemühte, seine Rolle nach 1945 herunterzuspielen, bleiben Dokumente erhalten, die seine aktive Mitwirkung an staatlich geförderten eugenischen Programmen belegen. Dabei gab es eine enge Zusammenarbeit mit dem Reichsinstitut für die Geschichte, das sich mit der Aufarbeitung nationaler Heroen und „Volksgesundheit“ befasste. Während seiner frankfurter zeit lernte er zahlreiche Studenten kennen, die später selbst auf dem Feld der Eugenik und Genetik tätig wurden. Manche seiner Schüler distanzierten sich nach dem Krieg von rassenbiologischen Theorien, während andere die politisierte Wissenschaftslinie beibehielten. Sein persönliches Netzwerk reichte bis in höchste politische Kreise hinein, was ihm auch nach 1942 die Möglichkeit gab, seine Positionen erfolgreich zu verteidigen. Trotz einer teilweisen Neubewertung der Rassenlehre sahen viele Zeitgenossen in Verschuer weiterhin einen Wegbereiter jener Praktiken, die uns heute als menschenverachtend gelten.
1937: Politische und fachliche Rahmenbedingungen
Im Jahr 1937 befand sich Deutschland in einer Phase, in der rassenhygienische Maßnahmen immer stärker institutionalisiert wurden. Otmar von Verschuer war zu dieser Zeit bereits ein angesehener Abteilungsleiter, dessen Forschungsergebnisse in politischen Kreisen Beachtung fanden. Gleichzeitig verschärfte sich die staatliche Kontrolle über medizinische Einrichtungen, was sich in einer Intensivierung der Zusammenarbeit von Ministerien und Forschungslabors äußerte. Verschuer hatte nun die Gelegenheit, seine Theorien zur vererbungsbiologischen Zwillingsforschung unter besonders günstigen Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln. Diese Zwillingsforschung galt als idealer Weg, um genetische Einflüsse von Umwelteinflüssen zu trennen und so angeblich „reine“ Aussagen über Erbeigenschaften zu treffen. Obwohl es an methodisch fundierten Erhebungen oft mangelte, nutzte Verschuer dieses Feld, um seine Position als führender Wissenschaftler zu behaupten. Zeitgleich nahm der politische Druck auf kritische Stimmen zu, sodass sich kaum noch Widerstand formierte. In diesem Klima konnte Verschuer seine Vorhaben nahezu ungehindert umsetzen, zumal er als dekan die Auswahl des wissenschaftlichen Personals mitbestimmte.
Humangenetik: Zwischen Ideologie und Wissenschaft
Die Humangenetik stand in jenen Jahren an einer Schnittstelle zwischen aufkommender moderner Forschung und ideologisch geprägter rassenbiologischer Theorie. Otmar von Verschuer erkannte, dass dieser Zweig – richtig angewandt – dem nationalsozialistischen Staat wertvolle Argumente für die Verfolgung sogenannter „Minderwertiger“ liefern konnte. Als Professor für Humangenetik betonte er öffentlich die Bedeutung genetischer Reinheit für das deutsche Volk, was seine Forschungen in der Öffentlichkeit äußerst relevant machte. Zwar beanspruchte er wissenschaftliche Objektivität für sich, doch war seine Arbeit durchdrungen von völkischen Ideen und Rassenkategorien. 1935 setzte er sich dafür ein, dass Gesetze zur Zwangssterilisation auf Grundlage humangenetischer Gutachten legitimiert wurden, ohne jedoch die menschlichen Schicksale zu berücksichtigen. Kritiker warfen ihm vor, er habe die Wissenschaft für politische Ziele instrumentalisiert, doch Verschuer blieb in seiner Argumentation unbeirrt. In späteren Jahren versuchte er, diese Verstrickungen zu relativieren, indem er sich auf die rein fachliche Seite seiner Arbeit berief. Doch Dokumente aus Archiven sowie der Teilnachlaß des Rassenhygienikers Prof. Otmar Freiherr von Verschuer belegen, wie eng die Verbindung zwischen Ideologie und Forschung tatsächlich war.
1935: Neue Perspektiven für Forschung und Karriere
Das Jahr 1935 markierte für Otmar von Verschuer einen entscheidenden Aufstieg in wissenschaftlichen und politischen Kreisen. Durch seine Beteiligung an Projekten zur Erblehre und Eugenik konnte er sich als wichtiger Ansprechpartner für staatliche Stellen etablieren, die an einer Implementierung eugenischer Maßnahmen interessiert waren. Seine Publikationen aus dieser Zeit machten deutlich, dass er sich nicht nur als Theoretiker, sondern auch als praktischer Wegbereiter sah. In enger Abstimmung mit anderen Rassenforschern verfeinerte er die Methoden der Anthropologie, sodass sie im Sinne der NS-Ideologie anwendbar wurden. Verschuer erhielt zusätzliche Mittel, um Studien durchzuführen, die später als Grundlage rassistischer Aussonderungsprozesse dienten. Indem er sein Lehrbuch und weitere Schriften verbreitete, gelang es ihm, ein Netzwerk aus Gleichgesinnten aufzubauen. Dies verschaffte ihm einflussreiche Positionen in verschiedenen Gremien, die maßgeblich an der Weiterentwicklung rassenhygienischer Programme beteiligt waren. Rückblickend erweist sich 1935 daher als Meilenstein, an dem seine Karriere eine neue Stufe erreichte und die Verzahnung von Wissenschaft und Politik weiter vertieft wurde.
Zwillingsforschung: Theorien, Methoden und Folgen
Die Zwillingsforschung war ein zentrales Feld, in dem Otmar von Verschuer international Bekanntheit erlangte. Er betrachtete Zwillinge als ideales Untersuchungsobjekt, um den Einfluss von Erbanlagen auf physische und psychische Merkmale zu klären. In diesem Bereich arbeitete er zeitweise mit Josef Mengele zusammen, der als Lagerarzt in Auschwitz später zur tragischen Symbolfigur medizinischen Missbrauchs wurde. Schon in den 1930er-Jahren legten sie gemeinsame Vorstudien an, bei denen Daten ausgewertet wurden, ohne die individuellen Schicksale der untersuchten Menschen hinreichend zu berücksichtigen. Kritik kam damals nur vereinzelt auf, weil das Regime jede Form der Infragestellung rassenhygienischer „Forschung“ unterband. Für Verschuer und Mengele wurde die Zwillingsforschung zu einem Türöffner, der den Machthabern eine scheinbar wissenschaftliche Grundlage für ihre Rassenpolitik zu liefern schien. Als Humangenetiker verknüpfte Verschuer diese Studien mit seinen eugenischen Vorstellungen, wonach „minderwertige Erbanlagen“ frühzeitig ermittelt und ausgeschaltet werden müssten. Diese Ideen fanden nicht nur Anklang im nationalsozialistischen Deutschland, sondern wurden nach dem Krieg auch international mit Skepsis diskutiert. Dennoch versuchte Verschuer bis in die 1950er hinein, seine Rolle als seriöser Wissenschaftler zu verteidigen und die moralische Verantwortung für die Folgen zu relativieren.
1934: Historische Dimensionen
Bereits 1934 war abzusehen, dass die Nationalsozialisten ihre rassenhygienischen Pläne weiter ausbauen würden. In diesem Jahr griffen politische Institutionen verstärkt auf Experten wie Verschuer zurück, um ihre Maßnahmen auch wissenschaftlich zu untermauern. Die Anthropologie diente als Mittel, um Menschengruppen nach willkürlichen Kriterien zu klassifizieren. Verschuer beteiligte sich an Konferenzen, in denen Strategien zur systematischen Ausgrenzung „erbkranker“ Personen erörtert wurden. Obwohl manches aus heutiger Sicht widersprüchlich erscheint, gelang es Verschuer, seine Arbeiten als streng wissenschaftlich darzustellen. Er baute Brücken zwischen Ideologie und Forschung, indem er behauptete, seine Ergebnisse würden letztlich der gesamten Gesellschaft nutzen. Dieser Schulterschluss zwischen politischer Macht und akademischer Legitimierung ermöglichte es, schrittweise immer radikalere Maßnahmen zu ergreifen. 1934 wird somit zu einem wichtigen Bezugsjahr, das verdeutlicht, wie früh Verschuer in die politischen Mechanismen eingebunden war. Sein Renommee als Mediziner und Forscher stieg zu dieser Zeit bereits beträchtlich an, was ihm später in der Öffentlichkeit einen gewissen Schutz vor Kritik verschaffte.
Erbarzt: Ethik und Verantwortung
Der Begriff „Erbarzt“ galt in der NS-Zeit als Auszeichnung für jene Mediziner, die sich durch besondere rassenhygienische Kompetenz hervorhoben. Verschuer wurde von manchen Zeitgenossen tatsächlich als „Erbarzt“ bezeichnet, weil er seine humangenetischen Erkenntnisse als Grundlage für staatliches Handeln empfahl. In diesem Selbstverständnis lag eine deutliche Grenzüberschreitung, denn der Arztberuf war nun nicht mehr bloß Heilberuf, sondern Instrument einer ideologisch motivierten Aussonderungspolitik. Verschuer versuchte zwar stets, sich als Wissenschaftler zu definieren, doch sein ethischer Kompass geriet ins Wanken, da er individuelle Menschenleben hinter dem vermeintlichen „Volkswohl“ zurückstellte. Eine Reihe von Dokumenten zeigt, dass er medizinische praxis und Wissenschaft untrennbar mit der rassenhygienischen Ausrichtung verschmolz. Nach dem Krieg gab es Stimmen, die ihn rehabilitieren wollten, da er selbst keine nachweisbaren Menschenversuche wie Mengele durchführte. Dennoch blieb sein Beitrag zur Etablierung menschenverachtender Ideologien unbestritten. Die Rolle des „Erbarztes“ war somit weniger eine medizinische Kategorisierung als eine politische Funktion, in der sich Wissenschaft und Herrschaftsanspruch verbanden. Dieses Spannungsverhältnis illustriert exemplarisch, wie leicht ethische Grundsätze im Sog der nationalsozialistischen Doktrin aufgegeben wurden.
1936: Stationen einer Karriere
1936 setzte Otmar von Verschuer seine Laufbahn fort, indem er weitere Lehr- und Forschungsaufträge an verschiedenen Universitäten wahrnahm. Sein Renommee als deutscher Mediziner wuchs beständig, zumal er sich in Publikationen und Vorträgen als Wegbereiter einer neuen, vermeintlich modernen Wissenschaft darstellte. Zugleich festigte sich die Zusammenarbeit mit Behörden, etwa indem er Gutachten zur Erbbiologie und Rassenhygiene lieferte. Er engagierte sich in Fachgesellschaften, die den Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft fördern sollten, jedoch unter dem Vorzeichen der NS-Rassenideologie standen. Auch innerhalb des deutschen Ärztevereinsbund und verband der ärzte gewann er an Einfluss, da seine Argumente für eine strikte Selektion von „Erbkranken“ auf offene Ohren stießen. Verschuer hatte somit eine Schlüsselposition inne, welche die Verquickung von Forschung und Politik unterstrich. In Verhören nach dem Krieg betonte er hingegen die rein wissenschaftliche Natur seiner Arbeit. Doch Akten belegen, dass er seine Position ab 1936 gezielt nutzte, um politische Entscheidungen über erbhygienische Gesetze zu beeinflussen. Diese doppelte Rolle – Wissenschaftler und politischer Akteur – ist kennzeichnend für seine Karriere in dieser Zeit.
Eugenik: Theorien und Umsetzung
Die Eugenik, häufig auch als Rassenhygiene bezeichnet, war ein zentrales Element in Verschuers Schaffen. Er verstand sie als eine konsequente Erweiterung der klassischen Erblehre, um die „Volksgesundheit“ zu verbessern und „minderwertige“ Erbanlagen auszusondern. Die Umsetzung in staatliche Programme wurde ihm zufolge durch die wissenschaftliche Forschung gerechtfertigt, die er und seine Kollegen vorantrieben. Doch die Praxis eugenischer Maßnahmen, wie Zwangssterilisationen oder Euthanasiemaßnahmen, offenbarte, in welchem Maß ethische Grundsätze verletzt wurden. Verschuer selbst arbeitete unermüdlich daran, die Bedeutung solcher Maßnahmen für kommende Generationen in der sicht einer gesunden Gesellschaft zu propagieren. Dieser Schritt von der Theorie zur Anwendung stellt einen markanten Bruch mit dem humanistischen Kern des Arztberufs dar. Dass Verschuer und andere rassenforscher dies dennoch forcierten, verdeutlicht die Macht der Ideologie, in der sich Wissenschaftler verfangen können. Erst nach dem Krieg setzte eine breitere Reflexion ein, in der man begriff, wie stark die Eugenik in Deutschland politisiert und missbraucht worden war.
Erblehre: Die wissenschaftlichen Grundlagen
„Erblehre“ war der zentrale Begriff, um den Verschuer seine gesamten Überlegungen spannte. Von der mendelschen Genetik ausgehend, erweiterte er das Konzept um rassenbiologische Aspekte, die dem NS-Staat als Legitimation für eine hierarchische Einteilung von Bevölkerungsgruppen dienten. Sein Einfluss auf die rassenbiologischen Diskurse war so groß, dass viele seiner Zeitgenossen ihn als führenden Experten ansahen. Im nationalsozialistischen Deutschland verfasste er Aufsätze und hielt Vorträge, die seine Sichtweise, wissenschaftliche Forschung diene dem Gemeinwohl, untermauern sollten. In Wirklichkeit trug er jedoch maßgeblich dazu bei, verheerende politische Entscheidungen „wissenschaftlich“ zu fundieren. Die Erblehre geriet so in den Sog der Rassenpolitik, wobei die Grenzen zwischen Objektivität und Ideologie verwischten. Bereits 1927 hatte er sich in einschlägigen Kreisen etabliert und gab an, die Prinzipien der Vererbung würden staatliches Handeln anleiten müssen. Die Folgen dieser Verquickung zeigen sich in den Jahren bis zum kriegsende, als zahlreiche Menschen Opfer der rassenhygienischen Praxis wurden. Somit ist die Erblehre im Fall Verschuer weit mehr als nur ein wissenschaftliches Konzept, sondern Ausdruck einer moralisch problematischen Haltung.
Frhr: Zur Rolle des Adelsprädikats
Die Bezeichnung „Frhr“ (Freiherr) im Namen Otmar Freiherr von Verschuer verweist auf seinen adligen Hintergrund. Dieses Prädikat erleichterte ihm in konservativen Kreisen den Zugang zu entscheidungsrelevanten Positionen, da ihm damit ein gesellschaftliches Renommee zugutekam, das über die rein fachliche Ebene hinausging. Gerade in der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Standesbewusstsein oft betont, um eine vermeintliche Traditionslinie zu „altem deutschen Adel“ herzustellen. Verschuer nutzte diese Symbolkraft geschickt, um politisches und akademisches Kapital zu schlagen. Auf Empfängen und in akademischen Gremien wirkte das Prädikat vertrauensbildend und ermöglichte rasch enge Kontakte zu Schlüsselfiguren des Regimes. Zugleich vermittelte ihm sein Status ein Gefühl, im Dienste einer höheren „Mission“ zu stehen, bei der seine Herkunft und seine Forschung eine Art Synthese eingingen. Dieses Selbstbild, so belegen Briefe und Dokumente, trug dazu bei, dass er sein Tun vielfach moralisch rechtfertigte. Dennoch macht es seine Verantwortung nicht kleiner, da er in vollem Bewusstsein agierte, die politische Ideologie der Rassenhygiene zu unterstützen. Der Titel „Frhr“ ist hier lediglich ein Element im Geflecht von Macht und Wissenschaft, das seine Karriere beförderte.
Schulze: Ein zeitgenössischer Beobachter?
In Dokumenten aus den 1930er-Jahren taucht immer wieder der Name Schulze auf, der offenbar ein zeitgenössischer Beobachter von Verschuers Forschungsarbeiten war. Dietmar Schulze, wie er später identifiziert wurde, äußerte sich teilweise kritisch über die Methoden, die im Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie angewendet wurden. In seinen Aufzeichnungen, die als Beilage in Archiven kursieren, zweifelte er an der methodischen Sauberkeit mancher Versuche, besonders in Bezug auf die Zwillingsforschung. Obwohl Schulze anfangs innerhalb der Institution arbeitete, schien er über die Zeit eine kritischere Haltung einzunehmen, möglicherweise auch aus Angst, selbst in politische Konflikte zu geraten. Spätere Berichte deuten an, dass er schließlich das Land verließ oder sich zumindest in die wissenschaftliche Isolation zurückzog. Seine vorsichtigen Einwände gingen in der Hochphase des Nationalsozialismus jedoch weitgehend unter. Erst in der Nachkriegszeit kam die Rolle von Schulze ansatzweise ans Licht, als Teile seiner Dokumentation auftauchten. Heute bietet sein Personenlexikon einen Einblick in die Fragen, die sich einige Zeitgenossen über die fragwürdigen Methoden und Ideologien Verschuers stellten.
Forschungsbeiträge und Kontroversen
Der Name Dietmar ist in den historischen Quellen nicht immer eindeutig zuzuordnen, weshalb lange Zeit Richard Koch unbekannt war, wie die wahre Identität des Forschers lautete. Manche Hinweise deuten darauf hin, dass Dietmar Schulze zeitweilig unter einem Pseudonym publizierte, um Repressionen zu entgehen. In jedem Fall war er jemand, der den Weg von Verschuer kritisch begleitete und einzelne Artikel verfasste, in denen er pseudowissenschaftliche Methoden in Frage stellte. Zugleich existierten zu jener Zeit Bestrebungen, kritische Stimmen vollständig zum Schweigen zu bringen, indem man sie sozial isolierte oder mit Berufsverboten belegte. Die Kontroversen rund um Dietmars Stellung zeigten exemplarisch, wie eng Wissenschaft und Politik verflochten waren. Später, nach 1951, tauchten in privaten Archiven Hinweise auf, die Dietmar in direkten Kontakt mit Otmar von Verschuer brachten. Ein Sonderdruck von Dietmars Arbeiten wurde wohl zunächst vernichtet, doch Teile davon blieben erhalten und belegten, dass er manche eugenischen Schlussfolgerungen für unethisch hielt. Das Schicksal dieser Person verdeutlicht, wie riskant es war, dem Mainstream der rassenbiologischen Forschung zu widersprechen.
Richard Koch und Diskurse in der Fachwelt
Parallel zu Verschuer gab es weitere Forscherpersönlichkeiten, die sich innerhalb der Fachwelt positionierten. Richard Koch unbekannt ist ein Hinweis darauf, dass nicht alle Wissenschaftler in der Zeit des Nationalsozialismus dieselbe Sicht vertraten. Zwar ist deren Biografie oft nur bruchstückhaft überliefert, doch ihre Existenz verweist auf interne Debatten. Manche dieser Debatten drehten sich um methodische Fragen, andere um die Grenze zwischen wissenschaftlicher Forschung und politischer Instrumentalisierung. Kochs Rolle ist unklar, doch offenbar war er Teil jener Kreise, die mit Verschuers rassenbiologischen Schlussfolgerungen nicht vollständig übereinstimmten. Nach 1937 wurden kritische Stimmen jedoch weiter zurückgedrängt, sodass die Hegemonie der rassenhygienischen Ideologie kaum noch infrage gestellt werden konnte. Erst in der Nachkriegszeit kamen Dokumente ans Licht, die zeigten, dass es durchaus interne Diskurse gab – wenngleich sie nie die offizielle Linie erschütterten. Ob Kochs Wirken tatsächliche Konsequenzen hatte, lässt sich heute schwer einschätzen, da viele Unterlagen verlorengingen. Dennoch ist er ein Symbol für die unterdrückte Vielfalt an Positionen, die in jenen Jahren existierte.
Veröffentlichungen und Dokumente
Verschuer nutzte das Instrument der Beilage zu Fachzeitschriften und Sammelpublikationen, um seine Thesen möglichst breit zu streuen. Diese Form der Publikation sorgte dafür, dass seine Aufsätze – oft nur wenige Seiten lang – als Sonderdruck einer größeren Leserschaft zugänglich wurden. Tatsächlich verteilte man solche Beilagen nicht nur an Universitätsbibliotheken, sondern teils auch an medizinische Praxis-Einrichtungen, um die Ärzteschaft zu erreichen. So konnten sich die Ansichten eines Rassenhygienikers in der zeit des Nationalsozialismus rasch verbreiten, ohne dass es explizite Kritik gab. Die Beilage diente quasi als offizielle Bestätigung, dass die vorgestellten Theorien wissenschaftlich fundiert und politisch erwünscht seien. Erst viel später erkannt man die einseitige Ausrichtung dieser Dokumente, die kaum Raum für abweichende Positionen ließ. In einigen Archiven liegen heute noch Exemplare dieser Beilagen, die einen Einblick geben, wie entschieden Verschuer und seine Kollegen ihre Vorstellungen propagierten. Immer wieder beriefen sie sich auf die angeblichen Erfolge der Zwillingsforschung und der Erbpathologie, um ihre Agenda zu bekräftigen. Solche Veröffentlichungen hatten erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung im Medizin- und Wissenschaftsbetrieb der NS-Zeit.
Dietmar Schulze: Einschätzungen und Kontroversen
Dietmar Schulze taucht in späteren Untersuchungen zur Geschichte der Medizin wieder auf, unter anderem in der hessische Biografie, wo er als Kritiker des radikalen Rassenhygiene-Kurses Erwähnung findet. Er veröffentlichte unter Pseudonym Artikel in verschiedenen Zeitschriften, wobei er auf methodische Ungenauigkeiten in Verschuers Arbeiten hinwies. Interessanterweise war Schulze selbst nicht frei von zeittypischen Vorurteilen, doch er beanstandete den Mangel an überprüfbaren Daten in den eugenischen Studien. Seine Schriften sind zum Teil in einem Teilnachlaß des Rassenhygienikers enthalten, der in Archiven zugänglich ist. Gerade dadurch lässt sich heute rekonstruieren, wie vehement Schulze gewisse Fragestellungen verfolgte. Dabei entstand zuweilen ein Briefwechsel mit Otmar, der Schulze für seine offenen Zweifel tadelte. Einige Historiker sehen Schulze als „Mahner von innen“, der allerdings kaum Gehör fand, da die obersten Etagen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Verschuers Ansichten teilten. So blieb Schulze letztlich ein eher randständiger Akteur, dessen mutige Argumente jedoch heute eine wichtige Quelle für das Verständnis der damaligen Kontroversen sind.
Deutscher Ärztevereinsbund und Verband: Medizinische Netzwerke
Der deutsche Ärztevereinsbund und verband spielte in den 1930er- und 1940er-Jahren eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Verbreitung rassenhygienischer Ideen. Otmar von Verschuer nutzte seine Mitgliedschaft in diesen Gremien, um Kontakte zu knüpfen und seine Theorien als medizinisch notwendig zu präsentieren. Auch andere einflussreiche Ärzte waren überzeugt, dass die staatliche Kontrolle über „erbkranke“ Personen eine Form des Fortschritts darstelle. In Versammlungen des Ärztevereinsbundes entstanden Resolutionen, die eine staatliche Reglementierung von Fortpflanzung befürworteten. Verschuer machte sich hier zum Sprachrohr, indem er seine eigenen Forschungsergebnisse ins Feld führte. Kritische Stimmen wurden meistens mundtot gemacht, indem man ihnen vorwarf, nicht patriotisch zu denken oder wissenschaftlich inkompetent zu sein. Dieses Netzwerk trug erheblich dazu bei, dass Rassenhygiene als legitimer Zweig der Medizin etabliert wurde, sowohl in der Öffentlichkeit als auch an den Universitäten. Erst nach dem Ende der NS-Herrschaft befassten sich einige Mitglieder kritisch mit ihrer Rolle in diesem Verband, während andere sich jeglicher Verantwortung entzogen. Die Unterlagen der Gremien zeigen, wie eng wissenschaftliche forschung, Politik und Standesorganisationen verzahnt waren.
Ärztevereinsbund und Verband der Ärzte: Organisationen im Wandel
Der ärztevereinsbund und verband der ärzte erfuhr unter dem NS-Regime einen starken ideologischen Umbau. Otmar von Verschuer nahm an mehreren Fachtagungen teil, die sich mit „Erbkrankheiten“ und möglichen Selektionsmaßnahmen befassten. Zwar gab es intern unterschiedliche Ansichten, doch das offizielle Profil der Organisation orientierte sich deutlich an den nationalsozialistischen Vorgaben. Verschuer war sich des politischen Rückhalts bewusst und nutzte ihn, um seine Konzepte der erbbiologie und rassenhygiene weiter auszuweiten. Es entstand ein enges Geflecht aus ärztlichen Vereinigungen, Forschungseinrichtungen und Regierungsstellen, das rassenpolitische Ideale als Kernaufgabe der Medizin definierte. Durch diese Vernetzung konnten neue Gesetze und Verordnungen schneller umgesetzt werden, da die medizinische Autorität scheinbar hinter ihnen stand. Ärzte, die sich dieser Vereinnahmung widersetzten, hatten es schwer, beruflich Fuß zu fassen, da sie von den dominierenden Netzwerken ausgeschlossen wurden. Dieser Prozess des ideologischen Gleichschritts ist ein zentraler Punkt, um Verschuers Erfolg und Einfluss zu verstehen. Nach 1945 versuchten viele Ärzte, sich von diesen Machenschaften zu distanzieren, doch die Spuren in Dokumenten bleiben bis heute erhalten.
Verband der Ärzte Deutschlands: Strukturen und Ideologien
Der verband der ärzte deutschlands war ein weiterer wichtiger Baustein in der nationalsozialistischen Durchdringung des Gesundheitswesens. Auch hier zog Verschuer im Hintergrund die Fäden, indem er sich auf seine wissenschaftlichen Publikationen berief. So floss die rassenhygienische Perspektive zunehmend in die Beschlüsse ein, die dieser Verband fasste. Man gründete Fachkommissionen, in denen Verschuer und andere Gleichgesinnte ihre Theorien weiter verbreiten konnten. Das Ziel bestand darin, alle Mediziner in eine gemeinsame Linie zu bringen, die im Sinne der NS-Rassenpolitik handelte. Die enge Kooperation mit staatlichen Stellen manifestierte sich in einer Reihe von Richtlinien, die Ärzte bei ihrer Arbeit befolgen mussten. Diese Regulierungen reichten von Ehebegutachtungen über Zwangssterilisation bis hin zur Überwachung „verdächtiger“ Personen. Zwar wirkte Otmar von Verschuer eher als Ideengeber denn als Vollstrecker, doch sein Einfluss auf die Strukturen und Ideologien war beträchtlich. Dieser Umstand macht deutlich, weshalb Verschuer trotz späterer Bemühungen, seine Vergangenheit zu verschleiern, als zentrale Gestalt des rassenhygienischen Establishments betrachtet wird.
Deutschen Ärzteblatt: Publikationen und Propaganda
Das deutschen Ärzteblatt war in jenen Jahren eine wichtige Plattform für medizinische Fachdiskurse, die jedoch zunehmend von Propaganda durchsetzt wurde. Otmar von Verschuer schrieb dort Artikel, in denen er seine Forschungsergebnisse vorstellte und sie zugleich mit politischen Forderungen verknüpfte. Auch andere Befürworter der rassenhygienischen Ideologie kamen zu Wort, was die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema deutlich erschwerte. Das Ärzteblatt verbreitete Informationen über vermeintliche Erfolge der Eugenik und stellte sie als Fortschritt für die Gesellschaft dar. In Wirklichkeit diente es als verlängerter Arm der Politik, um die Ärzteschaft auf die NS-Linie einzuschwören. Ein Zitat des Historikers Benno Müller-Hill fasst diesen Mechanismus treffend zusammen: „Das Deutsche Ärzteblatt wurde zum Sprachrohr einer Wissenschaft, die ihre Unabhängigkeit aufgab, um Macht und Anerkennung zu gewinnen.“ (vgl. Benno Müller-Hill, 1989). Verschuer nutzte diese Publikationsmöglichkeit, um sein Image als führender Wissenschaftler zu pflegen, ohne sich der ethischen Kritik stellen zu müssen. Nach 1945 reagierten die Herausgeber der Zeitschrift mit Distanzierungen von den Inhalten der NS-Zeit, doch die Rolle, die das Ärzteblatt in Verschuers Aufstieg spielte, blieb nicht unbemerkt.
Kommende Generationen in der Sicht: Langzeitwirkungen
Verschuer begründete seine rassenhygienischen Forschungen oft damit, dass sie kommenden generationen in der sicht einer verbesserten Volksgesundheit dienen sollten. Diese Argumentation stellte das Wohl zukünftiger Kinder über die Rechte lebender Individuen, die nach den Prinzipien der Eugenik ausgegrenzt oder sterilisiert werden konnten. Der Verweis auf die Zukunft wirkte auf manche Zeitgenossen überzeugend, da die Ideologie einer „besseren“ Erbmasse als altruistische Vision propagiert wurde. Insofern fand Verschuers Arbeit Zuspruch über akademische und politische Kreise hinaus, da auch viele Laien auf eine Erlösung von Erbkrankheiten hofften. Doch diese Hoffnung beruhte auf pseudowissenschaftlichen Annahmen, die individuelle Schicksale ignorierten. Im Nachhinein ist klar, dass die realen Folgen jener Ideen katastrophal waren, da sie Zwangsmaßnahmen legitimierten und ein Klima des Misstrauens befeuerten. Dennoch ist es wichtig, das Narrativ zu verstehen, das Verschuer bediente: Die Sicht der Genetik, die alles rein biologisch erklären wollte, bot eine scheinbar rationale Grundlage für diese sozialpolitischen Interventionen. Erst nach 1951 begann eine kritische Hinterfragung, in der erkannt wurde, wie fragwürdig jene Heilsversprechen waren.
Sicht der Genetik: Perspektiven und Deutungen
Die sicht der Genetik war während der NS-Zeit stark durch ideologische Vorgaben geprägt. Otmar von Verschuer galt als Vordenker, der wissenschaftliche Methoden im Gewand objektiver Forschung präsentierte, während er zugleich eindeutig politische Ziele verfolgte. Dieses Spannungsfeld zwischen „unabhängiger“ Wissenschaft und totalitärer Ideologie gehört zu den zentralen Lehren aus Verschuers Biografie. Es zeigt, dass Fachdisziplinen wie die Genetik niemals immun gegen politische Einflüsse sind und dass sich Erkenntnisse missbrauchen lassen, wenn ethische und kritische Instanzen fehlen. In einem Sonderdruck, der später wieder auftauchte, erläuterte Verschuer detailliert, welche vermeintlich „höherwertigen“ Eigenschaften zu erhalten seien. Dadurch wurde klar, wie subtil er seine Ansprüche verpackte, indem er stets behauptete, rein sachlich vorzugehen. Doch die Forschung war keineswegs ergebnisoffen, sondern sollte eine vorgegebene Ideologie bestätigen. So verweist die Geschichte des NS-Staats exemplarisch auf die Notwendigkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse stets einer ethischen Prüfung zu unterziehen. Gerade die Genetik, die mit menschlichen Grundfragen operiert, zeigt, welch fatale Konsequenzen eine Politisierung haben kann. Aus diesem Grund bleibt Verschuers Werk bis heute ein eindrückliches Mahnmal.
Sammlungen und Archive
Nach 1945 wurde vieles, was Otmar von Verschuer publiziert hatte, in den Archiven gesammelt und teilweise als sonderdruck erhalten. Besonders in der universität münster, wo Verschuer zeitweise wirkte, finden sich Dokumente, die sein Mitwirken im NS-Staat belegen. Auch in Berlin-Dahlem existieren Bestände, in denen Korrespondenzen und Forschungsergebnisse archiviert sind. Forschende wie Holfelder (Münster 2008) haben gezeigt, wie wichtig diese Materialien sind, um die Verstrickungen von Wissenschaft und Ideologie aufzudecken. Immer wieder tauchen neue Belege auf, die die enge Zusammenarbeit zwischen Verschuer, Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie und staatlichen Stellen beleuchten. Manche dieser Schriften wurden nach 1951 vernichtet oder gingen verloren, doch ein Teil des Materials blieb erhalten und dient der heutigen Aufarbeitung. Das reichsinstitut für die geschichte und weitere Einrichtungen übernahmen nach dem Zweiten Weltkrieg Teile von Verschuers Nachlass, sodass ein Puzzle von Quellen entsteht, das laufend ergänzt wird. So bleibt die Auseinandersetzung mit Verschuer und seinem Netzwerk eine Aufgabe für die Geschichtswissenschaft und die kritische Medizinethik, die nach wie vor wichtige Erkenntnisse aus diesen Dokumenten zieht.
Literatur
Benzenhöfer U, Forschung und Ideologie, Frankfurt a. M. 2007
Müller-Hill B, Tödliche Wissenschaft, Heidelberg 1989
Holfelder A, Die Archive der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Münster 2008
Weingart P, Kroll J, Bayertz K, Rasse, Blut und Gene, Frankfurt a. M. 1988
Proctor R, Racial Hygiene: Medicine Under the Nazis, Cambridge 1988
Klee E, Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt a. M. 1997
Schmidt U, Medical Ethics and Nazism, London 2002
Ullrich V, Die Geschichte des neuen Deutschlands, Berlin 2001
Schafft, G, From Racism to Genocide, Lincoln 2004
Dietmar Schulze, Personenlexikon und kritische Stimmen, Berlin 1951
Internetlink: http://www.lagis-hessen.de (LAGIS – Hessische Biografie)