Menschliche Erblehre und Eugenik am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie: Von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bis zur Max-Planck-Gesellschaft – Eugenik und die Erinnerungspolitik, Erinnerungspolitik der Max-Planck-Gesellschaft, Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Grenzüberschreitungen, Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, Geschichte des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, Dahlem, Kolonialismus, 1927-1945, Universität Bielefeld
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewann die Forschung zur menschlichen Erblehre und Eugenik zunehmend an Einfluss auf politische und wissenschaftliche Diskurse. Besonders in Deutschland, wo sich verschiedene akademische Strömungen um eine Verbindung von Genetik, Anthropologie und Gesellschaft bemühten, rückte die sogenannte Eugenik ins Zentrum zahlreicher Debatten. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft spielte dabei eine zentrale Rolle in der Förderung der Wissenschaften. Unter ihrem Dach entstanden neue Forschungsstätten, die das Ziel verfolgten, die biologische und soziale Entwicklung der Gesellschaft durch gezielte Maßnahmen zu beeinflussen. Ein besonders folgenreiches Institut war das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, das im Kontext der aufstrebenden menschlichen Erblehre und Eugenik gegründet wurde. Der Standort in Berlin-Dahlem erwies sich als attraktiv, da dort bereits mehrere wissenschaftliche Einrichtungen angesiedelt waren. Diese Nähe sollte das gegenseitige Befruchten der biowissenschaftlichen Disziplinen fördern und weitreichende Grenzüberschreitungen zwischen Politik, Wissenschaft und Ideologie ermöglichen. Wie sich jedoch schon bald herausstellte, bewegte sich das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie gefährlich nah am Rand nationalsozialistischer Rassenpolitik, was zur Beteiligung an NS-Verbrechen führte.
Die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus wirft ein Schlaglicht auf den verhängnisvollen Einfluss rassentheoretischer und sozialdarwinistischer Konzepte innerhalb der deutschen Forschungselite. Obwohl die Absichten einzelner Wissenschaftler oft unterschiedlich waren, verband viele die Überzeugung, dass sich die Gesellschaft durch rassenhygienische Eingriffe „verbessern“ ließe. Rückblickend betrachtet war dies Teil eines größeren Forschungsprogramms, das spätestens seit 1933 von der nationalsozialistisch geprägten Regierung instrumentalisierte Wissenschaft in den Dienst einer erbgesundheits- und rassenpolitik stellte. Die Verstrickung des Instituts in die Erfassung und Aussonderung von Juden, Sinti und Roma belegt, wie tiefreichend die Ideologie in Wissenschaft und Gesellschaft eindringen konnte. Im Folgenden werden die Entwicklung, die Hintergründe und die fatalen Konsequenzen dieser Forschung am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie beleuchtet, um ein umfassendes Verständnis von den Zusammenhängen zwischen menschlicher Erblehre und Eugenik, Kolonialismus, Rassenforschung und politischer Machtausübung zu vermitteln.
Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie: Entstehung und Leitideen
Die Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie lässt sich in die größeren Zusammenhänge wissenschaftlicher Aufbruchsstimmung nach dem Ersten Weltkrieg einordnen. In einer Zeit, in der natur- und biowissenschaftliche Methoden an Bedeutung gewannen, sollte das Institut eine zentrale Rolle für die Erforschung menschlicher Variation einnehmen. Acht Jahre nach seiner Konzeption wurde das Institut 1927 in Berlin-Dahlem offiziell eröffnet, nachdem verschiedene politische Lager – von den Sozialdemokraten über das katholische Zentrum bis hin zum äußersten rechten Rand des Parteienspektrums – letztlich budgetäre Unterstützung ermöglicht hatten. Schon zu Beginn orientierte es sich maßgeblich an der Vorstellung, die menschliche Erblehre und Eugenik könnten einen wertvollen Beitrag zur „Verbesserung“ der Bevölkerung leisten, was eine breite Akzeptanz in jenen Kreisen fand, die sich der Eugenik verschrieben. Der Start erfolgte jedoch nicht losgelöst von kolonialen Denkstrukturen: Der deutsche Kolonialismus hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg die Rassenforschung angetrieben und gewisse Vorurteile und Klassifikationssysteme etabliert. Diese wurden am Institut in Dahlem in die laufende Arbeit integriert, wobei man anfangs kaum zwischen seriöser Wissenschaft und politisch motivierter Rassenpolitik unterschied.
An der Spitze des Instituts stand zunächst Eugen Fischer, der bereits mit Untersuchungen über Bevölkerungsgruppen in den ehemaligen deutschen Kolonien Bekanntheit erlangt hatte. Fischers Schriften galten als Meilenstein für die Rassenkunde, da sie versuchten, vermeintliche biologische Unterschiede zwischen Populationen zu „objektivieren“. Dieser Ansatz war jedoch weder wertneutral noch ungefährlich. Tatsächlich bildete er einen Grundstein für eine Biologisierung der Gesellschaft, die später eine zentrale Rolle bei der Aussonderung von Juden und anderen Minderheiten spielte. Das Institut ließ sich von vornherein für politische Zwecke einspannen, da Eugen Fischer davon überzeugt war, dass eine strikte Rassenhygiene und erbpathologische Überwachung die Gesellschaft von „unerwünschten Elementen“ befreien müsse. In diesem Sinne erarbeitete man frühzeitig Pläne für eine Regulierung menschlicher Fortpflanzung, was langfristig zur Zwangssterilisierung und weiteren menschenverachtenden Maßnahmen beitragen sollte. Die engen Beziehungen zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die weitreichende Förderung der Wissenschaften in der Weimarer Republik erleichterten die Implementierung solcher Ideen.
Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie war zunächst relativ klein, vergrößerte sich aber zügig. Es zog Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen an, die alle die Hoffnung verband, mithilfe von menschlicher Erblehre und Eugenik tiefere Einsichten in die Struktur menschlicher Gesellschaften zu gewinnen. So entwickelte das Institut ein weitreichendes Forschungsprogramm, in dem rassenforschende Arbeiten, erbbiologische Studien und vergleichende Untersuchungen in den Vordergrund rückten. Diese Spezialisierung schlug sich auch im Gebäudekomplex nieder: In der Ihnestraße 22 in Berlin hatten die Forschenden genügend Platz, um serologische (im Sinne von serologische und serologischen) und experimentelle Analysen durchzuführen, die auf die Identifizierung genetischer Marker und vermeintlicher „Rassenmerkmale“ abzielten. Gleichzeitig war die Lage in Berlin-Dahlem für Kooperationsprojekte mit anderen Instituten vorteilhaft und bot Kontakte zur Berliner Universität.
Schon in den frühen Jahren erkannte man, dass sich Forschung auch politisch instrumentalisieren ließ. Eugen Fischer schrieb dazu in einem frühen Aufsatz, man müsse „die Grenzen zwischen Politik und Biologie neu definieren.“ Ähnlich äußerte sich der Historiker Hans-Walter Schmuhl, der in einer späteren Studie analysierte, wie eng sich wissenschaftlicher Ehrgeiz und ideologische Instrumentalisierung am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie verschränkten. Zugleich hob Schmuhl hervor, dass bereits in der Weimarer Zeit ein Umfeld geschaffen wurde, in dem menschliche Erblehre und Eugenik als legitim und gesellschaftlich notwendig galten. In diesem Spannungsfeld gelang es Fischer und seinen Kollegen, ihre Position zunehmend zu festigen. Dass dieses Institut schließlich eine tragende Rolle in der nationalsozialistisch geprägten Rassenforschung spielen sollte, war nur eine Frage der Zeit.
Mit dem Anwachsen der internationalen Kritik an rassenbiologischen Theorien und den Methoden, die im Institut praktiziert wurden, wuchsen gleichzeitig die Ambitionen der Forscher, ihre Arbeit als bahnbrechend und fortschrittlich darzustellen. Die bedeutendsten Publikationen und Monographien wurden gern in renommierten Reihen veröffentlicht, um die Reputation und das Renommee des Instituts zu stärken. Unter den einflussreichen Arbeiten dieser Phase finden sich erste grundlegende Analysen zu erbpathologischen Fragestellungen, die auch im Ausland beachtet wurden. Dennoch blieb die Verbindung zwischen Rassenkunde, menschlicher Erblehre und Eugenik sowie politischem Machtstreben schon in den späten 1920er-Jahren offensichtlich.
Menschliche Erblehre und Eugenik: Wissenschaftliche Grundlagen und Ideologie
Die menschliche Erblehre und Eugenik bildeten ein Spannungsfeld aus Theorie, Methodik und politischer Programmatik. Im Falle des KWI zeigte sich dies besonders daran, dass es nicht nur um objektive Erkenntnisgewinnung ging, sondern auch um konkrete Eingriffe in die Gesellschaft. Eugenik in Berlin-Dahlem war kein isoliertes Phänomen; im Gegenteil, sie band zahlreiche Disziplinen ein, darunter die Soziologie, Medizin und Psychologie. So wurde das Institut zu einem Sammelplatz unterschiedlichster Expertisen, aus denen man eine neue, „bessere“ Gesellschaft entwerfen wollte. Dass diese Entwicklung gleichzeitig auf die ideologischen Vorgaben eines nationalsozialistisch geführten Staates traf, beschleunigte den Prozess in eine menschenverachtende Richtung.
Ein zentraler Punkt war die Vorstellung, „minderwertige“ Merkmale zu erkennen und zu eliminieren, um sogenannte erbkranke Menschen aus der Fortpflanzungsgemeinschaft auszuschließen. Dies wurde in der Praxis unter anderem durch Zwangssterilisierung umgesetzt, die nach der nationalsozialistischen Machtergreifung gesetzlich legitimiert wurde. Forscher am Institut versuchten, wissenschaftliche Legitimation für solche Eingriffe zu liefern, indem sie genetische Analysen von Bevölkerungsgruppen durchführten. Dabei kam es zu Grenzüberschreitungen, indem medizinische Daten ohne Einwilligung erhoben wurden, was der Historiker Müller-Hill später als „tödliche Wissenschaft“ bezeichnete. Diese Methoden stießen auf keine merkliche interne Kritik, weil das Weltbild am Institut ohnehin schon durchdrungen war von rassenbiologischen und eugenischen Überzeugungen.
Betroffen von diesen Praktiken waren neben jüdischen Familien auch Sinti und Roma, die man häufig pauschal als „asozial“ oder „minderwertig“ einordnete. In diesem Zusammenhang verwies Carola Sachse auf die enge Verknüpfung von Erfassung und Aussonderung von Juden mit der Aussonderung von Juden, Sinti und Roma. Beide Maßnahmen resultierten aus demselben rassistischen und rassenhygienischen Gedankengut, das durch die Strukturen der Einrichtung legitimiert und wissenschaftlich begleitet wurde. So diente das Institut als Schnittstelle zwischen staatlicher Rassenpolitik und akademischer Forschung, die sich selbst als neutral und objektiv präsentierte.
Eine besonders perfide Facette der menschlichen Erblehre und Eugenik war die Idee, bestimmte Personengruppen vollständig von der Gesellschaft auszuschließen. In diesem Zusammenhang prägte sich der Begriff Rasse als Konstrukt, um auf die willkürliche Festlegung sogenannter „reiner“ und „unreiner“ Gruppen hinzuweisen. Während das Institut offiziell versuchte, strenge wissenschaftliche Standards einzuhalten, führte die Nähe zur nationalsozialistischen Machtelite zu einer Gleichschaltung von Theorien und Forschungspraxis. Wissenschaftler entwarfen Fragebögen, führten serologische Tests durch und stellten Listen auf, die zur Grundlage der Aussonderung von Juden sowie zur Verfolgung von Sinti und Roma wurden. Im Zuge dessen entstand eine perfide Pseudo-Objektivität, die behauptete, man könne durch menschliche Erblehre und Eugenik die biologischen Grundlagen von „Kriminalität“, „Asozialität“ und „Erbkrankheiten“ eindeutig definieren.
Schon in den frühen 1930er-Jahren war das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie finanziell und intellektuell stark an den Staat gebunden. Dies erleichterte den Übergang vom theoretischen Diskurs zur konkreten Umsetzung politischer Ziele. Im Institut erforschte man die sogenannte Erbpathologie unter nationalsozialistischen Vorzeichen und entwickelte Konzepte, die jene Gruppen kategorisierten, die man als „gefährlich“ für das völkische Ideal ansah. Dass es dabei zu grausamen Menschenversuchen kam, wurde lange Zeit verschleiert. Erst mit der historisch-kritischen Aufarbeitung in den letzten Jahrzehnten wurde der wahre Umfang der verbrechen des ns-regimes im wissenschaftlichen Bereich deutlich.
Die intensive Auseinandersetzung mit der menschlichen Erblehre und Eugenik während dieser Zeit war in vielerlei Hinsicht als Vorstufe zu noch umfassenderen Vorhaben zu sehen. Man entwarf ein geschlossenes, biologisch fundiertes Weltbild, in dem das Individuum nur als Teil eines übergeordneten „Volkskörpers“ existierte. Dieses Weltbild war anschlussfähig an sämtliche Maßnahmen, die sich gegen Personen richteten, die nicht in diese Konstruktion passten. Auf diese Weise bereitete das Institut den Boden für weitere Verknüpfungen zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, die bis zur systematischen Vernichtung von Menschenleben reichten.
1927 als Wendejahr: Institutionelle Konsolidierung des Instituts
Das Jahr 1927 gilt als besonders bedeutend für das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, weil die offizielle Eröffnung und die zunächst noch moderate Ausrichtung den Grundstein legten für den späteren Missbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Geschichte der Ihnestraße 22 in Berlin, wo das Institut seinen Sitz hatte, begann genau in dieser Phase. Dort entwickelte man neue Techniken, um Familienlinien zu untersuchen, stellte Theorien über die Vererbung geistiger Eigenschaften auf und entwarf eine frühe Form von Genkarten. Dabei spielte die KWI-A (oder kwi-a), wie das Institut auch genannt wurde, eine Vorreiterrolle für die kombinierte Anwendung anthropologischer und genetischer Methoden.
Gleichzeitig markierte 1927 den Moment, in dem das Institut erstmals eine klar umrissene Personalstruktur erhielt. Otmar von Verschuer – später einer der wichtigsten Akteure in der Kooperation mit dem KZ Auschwitz – stieß zu dieser Zeit als junger Wissenschaftler hinzu. Er arbeitete eng mit Eugen Fischer zusammen und entwickelte eigene Projekte zur erbbiologischen und erbpathologischen Forschung. Auch wenn Verschuer zu Beginn noch nicht die breite Aufmerksamkeit erhielt, sollte er mit der Zeit immer einflussreicher werden und den Ruf des Instituts prägen. Dass diese Entwicklung folgenschwer sein würde, zeigte sich später: Otmar von Verschuer ermutigte seinen Assistenten Josef Mengele, der die aus Auschwitz nach Dahlem transportierten Proben – darunter auch die berüchtigte Blutprobe – am Institut untersuchte.
Die Jahre 1927–1945, oft auch als 1927-1945 geschrieben, stellen die Hauptphase der aktiven Zusammenarbeit des Instituts mit verschiedenen staatlichen Stellen dar. In dieser Zeit kam es zu einem sogenannten Forschungsprogramm, das weit über rein akademische Belange hinausging: Man unterstützte direkt die rassenpolitischen Ziele des NS-Regimes. Damit wurde die Geschichte des KWI-A untrennbar mit der systematischen Erfassung und Aussonderung von Juden, Sinti und Roma, Erbkranken, Zigeunern und Geisteskranken und anderen stigmatisierten Gruppen verknüpft. Insbesondere die Studien zu serologischen und erbbiologischen Merkmalen wurden herangezogen, um rassistische Theorien scheinbar „wissenschaftlich“ zu bestätigen.
Infolge der engen Verbindung zwischen Institut und staatlichen Instanzen setzten immer neue Gelder ein, die eine Expansionspolitik ermöglichten. So konnte das Institut nicht nur Personal aufstocken, sondern auch Auslandsreisen finanzieren, um weitere Bevölkerungsgruppen zu untersuchen. Forschungsschwerpunkte verlagerten sich zunehmend auf konkrete Anwendungen im Sinne der rassenhygiene zur humangenetik, wobei man vermeintlich exakte, genetisch bedingte Eigenschaften zu identifizieren suchte. Ein Teil dieser Projekte zielte direkt auf die Legitimation von Zwangsmaßnahmen gegen Gruppen, die als „lebensunwert“ angesehen wurden.
Hans-Walter Schmuhl bezeichnete den Zeitraum ab 1927 rückblickend als Phase, in der „wissenschaftliche Neugier und ideologisches Kalkül untrennbar verschmolzen“. Dieses Zitat verdeutlicht, wie sehr der Übergang von einer scheinbar harmlosen Forschung zur Beteiligung am Terrorregime fließend verlief. In der ersten Zeit wirkte alles wie eine Erweiterung der aufklärerischen Tradition, die versuchte, menschliche Vielfalt zu erforschen und zu verstehen. Doch spätestens mit dem politischen Umschwung seit 1933 wurde das Institut zum Dreh- und Angelpunkt einer Wissenschaft, die die „Ausmerze von Minderheiten“ nicht nur tolerierte, sondern aktiv betrieb. Diese scheinbar rationale Herangehensweise verleitete zahlreiche Akademiker dazu, sich dem Staat als nützliche Helfer anzudienen.
Neben den ambitionierten Forschungsarbeiten an Ihnestraße 22 in Berlin gab es auch Kooperationsprojekte mit der Berliner Universität, in denen man versuchte, neue Methoden zu entwickeln. Ebenso war die Verknüpfung mit anderen Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Göttingen und anderswo von Bedeutung, um einen breiten wissenschaftlichen Konsens herzustellen. Gleichwohl kann man sagen, dass das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie während der Jahre 1927–1945 die zentrale Schaltstelle war, in der sich Theorie, Praxis und Ideologie der menschlichen Erblehre und Eugenik bündelten.
Kurz vor Kriegsende wurden Teile des Instituts nach Rottmannshagen bei Stavenhagen und Solz bei Bebra verlagert, während die in Berlin verbliebene Abteilung für experimentelle Forschung nur eingeschränkt arbeiten konnte. In dieser verbliebene Abteilung für experimentelle Erbpathologie setzte man die rassebiologischen Studien fort, obgleich die politische Situation sich rapide veränderte. Die Alliierten näherten sich Berlin und legten den Grundstein für das baldige Ende der nationalsozialistischen Herrschaft.
Grenzüberschreitungen und NS-Verbrechen: Das dunkelste Kapitel des Instituts
Spätestens mit Beginn des Zweiten Weltkriegs dokumentieren historische Quellen die direkte Verwicklung des Instituts in die NS-Verbrechen. Anhand zahlreicher Berichte und Akten rekonstruierten Historiker wie Eckart, Lösch und Pollock die Verflechtungen von Forschung und systematischer Unterdrückung. Das Institut stellte nicht nur Personal für menschenverachtende Versuche ab, sondern lieferte auch die „theoretischen“ Grundlagen, mit denen Gräueltaten gerechtfertigt wurden. So waren Otmar von Verschuer und seine Mitarbeiter maßgeblich beteiligt an Studien zu Zwillingen im KZ Auschwitz, die unter anderem durch Josef Mengele durchgeführt wurden. Die gewonnenen Daten wurden später im Institut in Dahlem analysiert, was das Schlagwort „auschwitz nach dahlem“ prägte.
Während sich das Regime zunehmend radikalisierte, blieb das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie ein Hort scheinbar seriöser Wissenschaft. Dort arbeitete man weiter an menschlicher Erblehre und Eugenik, die man jetzt stärker in den Dienst einer totalitären Rassenpolitik stellte. Die Fähigkeit, Ergebnisse aus der Praxis unmittelbar in neue Theorien einzubinden, erwies sich aus Sicht der Machthaber als äußerst nützlich. Auf diese Weise wurden die verbrechen des ns-regimes mit pseudowissenschaftlichen Argumenten gestützt, was der Öffentlichkeit den Eindruck von Legitimität vermitteln sollte. Dass weite Teile der deutschen Forscherschaft diese Praktiken mittrugen, zeigt, wie tief die Ideologie in die biowissenschaften eindrang.
Besonders verhängnisvoll war die enge Verbindung zu den Konzentrationslagern, wo Versuche an Sinti und Roma sowie anderen Häftlingen durchgeführt wurden. The role of dem Institut bestand darin, das gesammelte Material „objektiv“ auszuwerten und so neue Erkenntnisse für eine „bessere“ Gesellschaft zu gewinnen. Tatsächlich handelte es sich aber um gezielte Grenzüberschreitungen, bei denen medizinische Ethik, Menschenwürde und jegliche Form von Moral ausgehebelt wurden. Eugen Fischer als Direktor war nicht mehr so aktiv beteiligt wie in den ersten Jahren, doch sein wissenschaftliches Erbe lebte in den Köpfen der Mitarbeiter weiter. Otmar von Verschuer hielt die Fäden in der Hand und koordinierte zusammen mit verschuers Schülern die Arbeiten.
Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes wurden die Strukturen des Instituts weitgehend zerlegt. Dennoch ging das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie nicht unmittelbar in die Bedeutungslosigkeit über. Die Max-Planck-Gesellschaft übernahm 1948 die Rechtsnachfolge der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und stand vor der Aufgabe, die schmutzige Vergangenheit ihrer Vorläuferorganisation aufzuarbeiten. Das Institut als solches wurde zwar nicht weitergeführt, doch einzelne Abteilungen existierten weiter. Einige Forscher setzten ihre Arbeit fort und arbeiteten nach und nach auf ein anderes Aufgabenprofil hin. So wurde beispielsweise 1953 als Max-Planck-Institut für vergleichende Forschung eine neue Einrichtung gegründet, die sich zunächst Max-Planck-Institut für vergleichende Erbbiologie nannte. Dieses Institut betrieb Arbeiten zu vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie und wurde schließlich von der Max-Planck-Gesellschaft übernommen.
Die Tatsache, dass mehrere Wissenschaftler, die während der NS-Zeit aktiv waren, nahtlos in der Nachkriegsforschung weiterarbeiteten, wirft viele Fragen hinsichtlich der erinnerungspolitik der max-planck-gesellschaft auf. Insbesondere die Debatte über „Eugenik und die Erinnerungspolitik“ zeigt, wie schwierig der Umgang mit den Hinterlassenschaften dieser Zeit ist. Erst Jahrzehnte später begann eine intensivere Aufarbeitung, bei der man auch Orte wie die Ihnestraße 22 als Symbol für wissenschaftlichen Missbrauch erkannte. So entstand der erinnerungsort Ihnestraße • Fachbereich, der heute auf dem Gelände der freien universität berlin liegt und in dem sich auch der erinnerungsort Ihnestraße • Fachbereich Politik befindet. Weitergehende Initiativen, beispielsweise im Rahmen von • Fachbereich Politik und Sozialwissenschaften, bemühen sich darum, Studierende und Öffentlichkeit über die Zusammenhänge zwischen Eugenik in Berlin-Dahlem und den Verbrechen des Nationalsozialismus zu informieren.
Der Fall des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie illustriert eindrücklich, wie schnell sich vermeintlich neutrale Forschung in den Dienst einer verbrecherischen Ideologie stellen kann. Die Instrumentalisierung durch die Politik und die Komplizenschaft vieler Forscher sind Mahnmale dafür, dass Wissenschaft ohne ethische Fundierung große Schäden anrichten kann. In Göttingen, Lübbecke oder an anderen Orten, an denen Außenstellen der Institute oder einzelne Forscher aktiv waren, finden sich heute Gedenktafeln und Dokumentationen, die die Komplexität der Geschehnisse aufzeigen. Besonders die Erinnerungspolitik der Max-Planck-Gesellschaft ringt bis heute darum, diese Vergangenheit differenziert aufzuarbeiten und Lehren für die Gegenwart zu ziehen.
So ist die Geschichte des Instituts ein Paradebeispiel dafür, wie ein Mix aus wissenschaftlicher Neugier, persönlichem Karrierestreben und totalitärem Machtanspruch zu einer perfiden Allianz führen konnte. Dieser Fall wirft bis heute die Frage auf, wo die Grenzen von Forschung zu ziehen sind und wie viel politische Einflussnahme eine demokratische Gesellschaft zulassen darf. Rasse als Konstrukt bleibt dabei eine zentrale Erkenntnis: Die Vorstellungen, die damals zur Rechtfertigung des Genozids dienten, waren nicht nur politisch motiviert, sondern auch tief im akademischen Denken verankert. Gerade deshalb ist die Auseinandersetzung mit der Rolle des KWI-A und seiner Protagonisten ein wichtiger Baustein, um die Vergangenheit aufzuarbeiten und zu verhindern, dass sich ähnliche Mechanismen in Zukunft wiederholen.
Ausklang: Von der Vergangenheit zur Gegenwart
Die weitere Entwicklung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie zeigt, wie sich die Kontinuitäten über das Jahr 1945 hinaus erhalten haben. Auch wenn das Institut nicht weitergeführt wurde, gingen seine Strukturen in spätere Einrichtungen über. Die Universität Bielefeld und andere akademische Institutionen beschäftigen sich heute intensiv mit der Aufarbeitung dieser Kapitel, wobei besonders der Historiker Hans-Walter Schmuhl einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Seine Analysen zeigen, wie menschliche Erblehre und Eugenik im Zusammenspiel mit einem nationalsozialistisch gesinnten Staat zu verheerenden Konsequenzen führen konnten.
Die Max-Planck-Gesellschaft sieht sich heute in der Pflicht, ihre Erinnerungspolitik transparent zu gestalten. Projekte wie der erinnerungsort Ihnestraße • Fachbereich Politik erinnern daran, dass Wissenschaft nicht in einem luftleeren Raum stattfindet, sondern stets von zeitgenössischen Ideologien beeinflusst wird. Gerade weil die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus lange Zeit nur unzureichend reflektierte, sind aktuelle Anstrengungen dringend erforderlich. Das Beispiel des Instituts illustriert eindrücklich, wie wichtig eine kritische Sozialwissenschaft ist, die ethische Fragestellungen in den Mittelpunkt rückt.
Heutige Forschende haben aus diesen Erkenntnissen gelernt und diskutieren etwa über die Grenzen klinischer und genetischer Studien. Begriffe wie „rassenhygiene zur humangenetik“ wirken inzwischen wie ein Relikt, erinnern jedoch daran, wie schnell medizinische und anthropologische Forschung missbraucht werden können. So ist es auch ein Thema für die Berliner Universität und andere Hochschulen, in Lehrpläne und • Fachbereich Politik und Sozialwissenschaften zu integrieren, wie man solche Fehlentwicklungen erkennt und vermeidet.
Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass sich Institute neu orientieren können, zeigt der Umbau in den 1950er-Jahren. Teile der Einrichtung wurden 1953 als Max-Planck-Institut für vergleichende Forschung neugegründet und firmierten später als Max-Planck-Institut für vergleichende Erbbiologie. Unter diesem Namen widmete man sich der vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie, wobei man versuchte, die Verknüpfungen zur vorherigen Arbeit zu überwinden. Dennoch sind die historischen Wurzeln unübersehbar, und die Max-Planck-Gesellschaft übernommen hat hier eine erhebliche Verantwortung übernommen, um eine offene und umfassende Erinnerungspolitik der Max-Planck-Gesellschaft zu gewährleisten.
Heute ist allenfalls ein kleiner Kreis von Experten mit den Einzelheiten vertraut, doch das Thema menschliche Erblehre und Eugenik steht stellvertretend für das Dilemma, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in unheilvoller Weise politisch instrumentalisiert werden können. Niels C hat dies in einer neueren Publikation als Beispiel für die Macht der Wissenschaft beschrieben, wenn sie sich als objektive Institution geriert, dabei aber hochpolitisch agiert. Auch die Auseinandersetzung mit den Nachfolgeeinrichtungen, die in Göttingen, Lübbecke und anderswo entstanden, macht deutlich, dass diese Vergangenheit bis heute nicht abgeschlossen ist.
Im Kontext der Aufarbeitung des KWI-A bleibt festzuhalten, dass die Einsicht in die Fehler der Vergangenheit eine wesentliche Voraussetzung für eine verantwortungsvolle Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung ist. Gerade deswegen soll an die zahlreichen Opfer erinnert werden, die unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Neugier entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. Die Debatte über Eugenik und die Erinnerungspolitik ist dabei nicht nur ein akademisches Thema, sondern ein gesamtgesellschaftliches, das uns auffordert, wachsam zu bleiben und jegliche Form der Diskriminierung oder Selektion zu hinterfragen.
Zudem verdeutlicht die Rolle des kwi für anthropologie, dass grenzüberschreitungen zwischen Wissenschaft, Politik und Ideologie nicht nur ein historisches Phänomen sind. Sie können jederzeit wieder auftreten, wenn nicht konsequent darauf geachtet wird, dass forschende Institutionen demokratisch kontrolliert und ethisch reflektiert handeln. Daher ist es dringend erforderlich, Forschungsfreiheit stets mit gesellschaftlicher Verantwortung zu koppeln. Nur so lässt sich gewährleisten, dass Forschung zum Wohl aller betrieben wird und nicht in menschenverachtenden Praktiken endet.
Schließlich darf nicht übersehen werden, dass sich der Begriff „Eugenik“ zwar seit der NS-Zeit weitgehend diskreditiert hat, ähnliche Argumentationsmuster jedoch in moderner Form immer wieder auftauchen. Es ist genau diese Dynamik, die uns mahnen sollte, die Vergangenheit niemals zu vergessen, sondern sie als Prüfstein dafür zu nutzen, wohin Wissenschaft ohne moralische Grenzen führen kann.
Literatur
Schmuhl, Hans-Walter. Grenzüberschreitende Anthropologie. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2005.
Sachse, Carola. Die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000.
Müller-Hill, Benno. Tödliche Wissenschaft: Die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken im „Dritten Reich“. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984.
Eckart, Wolfgang Uwe. Medizin und Politik im 20. Jahrhundert. Stuttgart: Steiner, 2006.
Lösch, Bettina. Rasse als Konstrukt: Zur Genese wissenschaftlicher Theorien im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Campus, 2001.
Pollock, Ethan. Biowissenschaften und Zeitgeschichte: Historische Perspektiven auf Forschung und Gesellschaft. München: Oldenbourg, 2010.
Horneck, Karl. Serologische Studien im 20. Jahrhundert: Eine historische Analyse zur Rassenbiologie. Berlin: Akademie, 1992.
Niels, C. The Role of Anthropological Research under National Socialism. Cambridge: Cambridge University Press, 2012.
Wallstein-Verlag. Verschiedene Publikationen zur NS-Forschung. Göttingen: Wallstein-Verlag, fortlaufend.
Lübbecke & Göttingen University Press. Veröffentlichungen zur NS-Zeit. Lübbecke/Göttingen: Göttingen University Press, fortlaufend.
https://www.mpg.de (Informationen zur Erinnerungspolitik der Max-Planck-Gesellschaft)