Heinz Rühmann: Der prominenteste Opportunist der NS-Zeit

Heinz Rühmann (1946)
Heinrich Wilhelm „Heinz“ Rühmann, geboren am 7. März 1902 in Essen und gestorben am 3. Oktober 1994 in Aufkirchen am Starnberger See, der deutsche Jahrhundertschauspieler – jedoch in einem Jahrhundert, in dem man sich als Deutscher mit der Diktatur der Nationalsozialisten konfrontiert sah. Viele Künstler gingen ins Exil, etwa Bertolt Brecht (1898 – 1956), Max Ernst (1891 – 1976) oder Kurt Tucholsky (1890 – 1935). Andere wurden zu Gehilfen des Regimes, so wie Leni Riefenstahl (1902 – 2003) oder Veit Harlan (1899 – 1964). Und wieder andere arrangierten sich mit den neuen Machthabern und keiner so erfolgreich wie Heinz Rühmann, der deshalb bis heute die vielleicht polarisierendste Figur des deutschen Films ist.
Der aus dem Ruhrpott stammende Rühmann hatte seine ersten Auftritte schon als Kind vor Gästen der Gaststätte seiner Eltern. Nach der Insolvenz des 1913 eröffneten Hotels Handelshof zerbrach die Ehe der Eltern. Der Vater ging nach Berlin und starb dort unter bis heute nicht näher geklärten Umständen – vermutlich beging es Suizid. Heinz‘ Mutter ging mit ihm und seinen beiden Geschwistern kurze Zeit später nach München. Als Jugendlicher bzw. nach heutigen Maßstäben junger Erwachsener gelang es Rühmann beim dritten Anlauf als Schauspielschüler angenommen zu werden. Seine eigentliche Karriere begann er parallel zur professionellen Ausbildung 1920 am Theater in Breslau. Als dort die Leitung wechselte, wurde Rühmann als einziges Ensemblemitglied wegen seiner angeblich mangelnden Begabung nicht übernommen. Er wechselte nach Hannover, später nach Bremen, wo er seinen Durchbruch als „Der Mustergatte“ erzielte – er spielte die Rolle in weit über 2000 Vorstellungen und der Filmadaption von 1937. Nach einem Zerwürfnis mit der Theaterleitung in Bremen folgten harte Jahre, ehe Rühmann Ende der 1920er zum erfolgreichen Theaterschauspieler aufstieg und dann 1930 mit der Rolle des Hans in „Die Drei von der Tankstelle“ seine erste richtige Filmrolle ergatterte und auch seinen sofortigen Durchbruch auf der Leinwand hatte.
Drei Jahre später kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Rühmann äußerte sich selbst nie politisch, war jedoch seit dem 9. August 1924 mit der jüdischen Schauspielerin Maria Bernheim (1897–1957, geb. Herbot) verheiratet. Mit Erlassung der Nürnberger Rassegesetze landete er mit seiner Frau zusammen auf der „Judenliste“ der Reichsfilmkammer, was mit dem Ausschluss aus der Kammer einherging. Das wiederum war gleichbedeutend mit einem Berufsverbot. Jedoch gehörte Rühmann zu einem kleinen Kreis um Propagandaminister Joseph Goebbels (1897 – 1945), der am 6. November 1936 in seinem Tagebuch vermerkte: „Heinz Rühmann klagt uns sein Eheleid mit einer Jüdin. Ich werde ihm helfen. Er verdient es, denn er ist ein ganz großer Schauspieler.“ Zwar wurde Rühmann eine Sondergenehmigung erteilt, doch brachen die Probleme für ihn nicht ab, sodass er sich, als Goebbels weitere Hilfe verweigerte, an Hermann Göring (1893 – 1946) wandte, der ihm riet, sich scheiden zu lassen. Würde seine Frau dann einen Ausländer ehelichen, sei sie vor der Verfolgung sicher. Die ohnehin zerrütte Ehe wurde 1938 geschieden, woraufhin Maria Bernheim eine Scheinehe mit dem schwedischen Schauspieler Rolf von Nauckhoff (1909 – 1968) einging, dem Rühmann angeblich einen Sportwagen spendierte. 1939 wohnte Maria Bernheim Rühmanns Hochzeit mit Schauspielkollegin Hertha Feiler (1916 – 1970), die laut Nürnberger Rassegesetzen als Vierteljüdin eingestuft worden war und auch nur mit Sondergenehmigung als Schauspielerin arbeiten durfte, bei. Feiler und Rühmann hatten sich bei den Dreharbeiten zu Rühmanns erster Regiearbeit „Lauter Lügen“ im Jahr 1938 kennengelernt. 1942 wurde der gemeinsame Sohn Peter Rühmann geboren. Heinz Rühmann unterstützte seine Ex-Frau, auch nachdem sie 1943 ins Exil nach Schweden gegangen war, weiterhin finanziell. Doch letztendlich war die Scheidung für Rühmann, der 1939 wieder in die Reichsfilmkammer aufgenommen wurde, von Vorteil.
1938 erwarb Heinz Rühmann im Zuge der Arisierung eine Landhaus-Villa in Berlin (Am Kleinen Wannsee 15) sehr günstig von Helene Jandorf (1902 – 1965, geb. Lehmann), der Witwe des jüdischen KaDeWe-Gründers Abraham Adolf Jandorf (1870 – 1932), landläufig auch „Kaufhauskönig“ genannt. Helene Lehmann war vor der Hochzeit zum Judentum konvertiert und nach der Machtergreifung vor den Nazis nach Den Haag geflohen, was sie nötigte, die Villa billig abzustoßen. Rühmann profitierte also finanziell von der Judenverfolgung.
Aber welche Rolle hatte Rühmann als Künstler für das Regime? Anders als andere Filmgrößen spielte er nie Hauptrollen in richtigen Propagandafilmen, obgleich „Quax, der Bruchpilot“, in dem Rühmann einen gutmütigen, fast naiven Flieger spielte, von manchen als indirekte Propaganda für die Luftwaffe und die militärische Pilotenausbildung gesehen wird. Die Grundausbildung zum Abwehrflieger absolvierte auch Rühmann, er wurde jedoch nie zur Wehrmacht eingezogen. Er war als Schauspieler für das Regime zu wertvoll, hoben seine oftmals seichten Komödien doch die Stimmung daheim im Reich. In genau dieser Funktion wurde er auch wahrgenommen. Die Propaganda war wenn sehr subtil und damit ganz auf Goebbels Linie. Politische Bezüge sucht man in den meisten Rühmann-Filmen aus der NS-Zeit vergebens. Der Hitler-Gruß taucht in all seinen Filmen sogar nur in einem Einzigen, „Der Gasmann“ von 1941, auf. In diesem Film von Carl Froelich (1875 – 1953), der nicht nur Regisseur, sondern auch Präsidenten der Reichsfilmkammer war, spielte Rühmann den Gasableser Hermann Knittel, der der Auslandsspionage verdächtigt wird. In einer Szene droht ihm in seiner Funktion als Gasableser eine zahlungsunwillige Frau mit ihren Parteikontakten, woraufhin Knittel ironisch mit einem „Na, dann – Heil Hitler!“ antwortet, was jedoch in späteren Fassungen nachsynchronisiert und durch „Die hat’s nötig“ ersetzt wurde. In späteren Szenen, in denen der Gruß unironisch verwendet wird, blieb er aber im Film enthalten.
Als im Frühjahr 1940 die Wehrmacht in Dänemark und Norwegen einmarschierte, befürchtete das Ehepaar Rühmann, sie könnten als „Stimmungsmacher“ missbraucht werden, weshalb sie zahlreiche Briefe an ihre dänischen Freunde schrieben, um diesen Eindruck im Keim zu ersticken. Darauf denunzierte man Rühmann bei Goebbels mit dem Vorwurf, er wolle mit seiner Frau nach Dänemark auswandern. Goebbels ließ den Vorwurf durch Fritz Hippler (1909 – 2002) untersuchen. Der Produzent des antisemitischen Propagandafilms „Der ewige Jude“ war zu diesem Zeitpunkt Leiter der Filmabteilung im Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung und sollte später zum Reichsfilmintendanten aufsteigen. Goebbels notierte in seinem Tagebuch am 10. April 1940: „Kleinigkeiten: Rühmann hat sich positiv erklärt.“
Wie viele Prominente im Deutschen Reich erhielt Rühmann teilweise jährliche Sonderzahlungen aus Hitlers Geheimfonds in einer Höhe zwischen 20.000 und 60.000 Reichsmark.
Es war seitens der UFA üblich, alljährlich einen „Geburtstagsfilm“ für Goebbels anzufertigen. 1940 übernahm Heinz Rühmann die Regie und zeigte darin den Tagesablauf der Goebbels-Kinder, ließ sie auch in Trachten auftreten. Goebbels zeigte sich in seinem Tagebuch gerührt über den Film. Alle Kinder wurden in der Nacht vom 1. Mai 1945 von ihrer Mutter Magda Goebbels (1901 – 1945) im Führerbunker mit Zyankali vergiftet.
Der einzige Film Rühmanns, der wirklich für Probleme mit Teilen der NS-Führung sorgte, ist ausgerechnet der, der als sein wohl größter Klassiker anzusehen ist: „Die Feuerzangenbowle“, die zweite und zugleich werkgetreuste Verfilmung des gleichnamigen Romans von Heinrich Spoerl (1887 – 1955) aus dem Jahre 1933. Goebbels und Rühmann wenig wohlgesonnene Kreise der NSDAP, allen voran Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust (1883 – 1945), wollten ein Aufführungsverbot des Films erzielen. Rust missfiel vor allem die negative Darstellung des Lehrpersonals im Film und der damit einhergehende antiautoritäre Grundtenor. Der Film verdankt seinen Kinostart 1944 Rühmanns guten Beziehungen zu Göring, auf dessen Befehl Rühmann den Film persönlich für eine Privatvorführung ins Führerhauptquartier Wolfsschanze brachte. Göring erwirkte eine Aufhebung des Aufführungsverbots durch Adolf Hitler (1889 – 1945) selbst.
Im März 1945 erreichte die Rote Armee Berlin. Das Grundstück des Ehepaars Rühmann wurde zur Hauptkampflinie (HKL), weshalb Heinz Rühmann und Hertha Feiler flüchten mussten. Die Villa wurde während der Kämpfe beschossen, sodass sie bis auf die Grundmauern niederbrannte. Das Ehepaar musste bis Kriegsende neunmal von einer Notunterkunft in eine andere fliehen.
Kurz nach Kriegsende sollen die Sowjets bereits auf Rühmann bezüglich des Wiederaufbaus des deutschen Films zugekommen sein. Am 28. März 1946 stellte man im Rahmen der Entnazifizierung fest, dass „keine Bedenken gegen eine weitere künstlerische Betätigung des Herrn Rühmann“ bestünden. Dennoch war Rühmanns Ruf zunächst durch sein Arrangement mit dem Regime angekratzt. Es war der Regisseur Helmut Käutner (1908 – 1980), der Rühmann sein Comeback verschaffte, zunächst in „Keine Angst vor großen Tieren“ im Jahre 1953, aber mehr noch durch „Der Hauptmann von Köpenick“ drei Jahre später. Die Verfilmung von Carl Zuckmayers (1896 – 1977) Drama über den Coup des Betrügers Friedrich Wilhelm Voigt (1849 – 1922) rehabilitierte Rühmann mitunter, weil die Produzenten, die Käutner zur Besetzung Rühmanns überreden konnte, beide jüdische Verfolgte des NS-Regimes waren: Gyula Trebitsch (1914 – 2005) und Walter Koppel (1906 – 1982). Weitere wichtige Filme von Rühmanns Nachkriegskarriere waren die Pater-Brown-Adaption „Das schwarze Schaf“ und „Er kann’s nicht lassen“, die Krimikomödie „Max, der Taschendieb“, „Hokuspokus oder: Wie lasse ich meinen Mann verschwinden…?“ und die Romanverfilmung „Der brave Soldat Schwejk“. Rühmanns wohl profilierteste ernste Rolle war aber die des Oblt. Dr. Hans Matthäi in „Es geschah am hellichten Tag“. Der Film basierte auf einer Idee von Friedrich Dürrenmatt (1921 – 1990), der jedoch mit dem Ende des Films nicht ganz glücklich war, so dass er auf dessen Basis den Roman „Das Versprechen“ schrieb, der den Fokus vom Verbrechen auf den Ermittler lenkt.
Heinz Rühmann starb am 3. Oktober 1994 im Alter von 92 Jahren.