
Seit dem 21. März 2014 betrachtet Russland die Halbinsel Krim als Teil des eigenen Staatsgebietes. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Um das politische Geschehen auf der Krim im Jahr 2014 abschließend verstehen und beurteilen zu können, ist ein Blick auf die geographische Lage und die Geschichte der seit Jahrtausenden stark umkämpften Region unerlässlich.
Die Halbinsel Krim ist mit einer Gesamtfläche von 26.844 km² umgeben vom nördlichen schwarzen Meer. Lediglich die Ostküste grenzt an das Asowsche Meer. Eine Verbindung zum Festland hat die Krim nur im Norden über die Landenge von Perekop. Auf der Krim selbst herrschen unterschiedlichste klimatische Bedingungen. Im Norden befindet sich eine von Wasserarmut geprägte, karge Steppe. In der Landesmitte das Krimgebirge, ein Bergmassiv mit Erhebungen bis über 1500 m. Der Süden schließlich – auf einem Breitengrad mit Frankreich gelegen – ist ein fruchtbarer Landesteil mit mediterranem Klima. Und gerade diese Vielfältigkeit brachte der Krim ihren Status als Zankapfel verschiedenster Nationen und Religionen ein. Zudem ist die Halbinsel Krim für Russland, dessen Fläche zu einem Fünftel in der arktischen Region liegt, ein strategisch wichtiger Zugang zu einem warmen Meer, dessen Häfen nie zufrieren.
Bereits besiedelt durch verschiedenste ethnische Gruppen, ist die Einnahme der Krim durch die Mongolen im 13. Jahrhundert der erste bedeutsame Einschnitt in der Landesgeschichte. Im Laufe der nächsten drei Jahrhunderte setzen sich auf der Halbinsel die Tataren durch, bis Katharina die Große im Jahr 1783 die Krim erstmals an das russische Reich angliedert. Im ersten Krimkrieg (1853 bis 1856) stellt sich Russland gegen das Osmanische Reich, Großbritannien und Frankreich. Russland verliert den Krieg. Auch in der Folgezeit darf die Krim noch lange nicht zur Ruhe kommen. Erwähnt seien hier:
- die russische Revolution (1905 bis 1907)
- die Oktoberrevolution (1917)
- die Erhebung zur autonomen sozialistischen Sowjetrepublik (1921)
- die Besetzung durch die faschistische Wehrmacht (1941)
- die von Stalin angeordnete „Säuberungswelle“, in der er Minderheiten deportieren ließ (1944).
Den Grundstein für die Annexion der Krim im Jahr 2014 legt der Kommunist und gebürtige Ukrainer Nikita Chruschtschow unwissentlich im Jahr 1954. Das damalige Staatsoberhaupt der Sowjetunion begeht aus Wladimir Putins heutiger Sicht einen großen Fehler. Zur Feier des 300. Jahrestages des Vertrages von Perejaslaw verschenkt er mit einer großzügigen Geste die Krim an die damalige ukrainische Sowjetrepublik. Aus damaliger Sicht ein nachvollziehbares Handeln, schließlich hatte im Vertrag von Perejaslaw 1654 die Kosakenführung einen Eid auf Zar Alexei Michailowitsch geleistet und ihm ewige Treue geschworen. Die Ukraine, und somit auch die Krim, ist fester Bestandteil des russischen Imperiums (UdSSR) und soll dies auch bleiben.
Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wird die Ukraine aber systematisch ausgebeutet. Russland exportiert Getreide aus der Ukraine im großen Stil, während im Land die Menschen verhungern. Nach 1945 wird die Ukraine zusätzlich Dreh- und Angelpunkt der russischen Rüstungsindustrie. Die Armut aber bleibt. Die Reaktorexplosion in Tschernobyl 1986 erschüttert die Welt und wirft die Ukraine wirtschaftlich um Jahrzehnte zurück. Auch die wirtschaftliche Lage der UdSSR ist mehr als katastrophal. Jedoch gibt es einen Hoffnungsschimmer, denn Michail Gorbatschow ist zu diesem Zeitpunkt bereits in Moskau an der Macht. Er steht innerhalb des kommunistischen Regimes für Reformen, Transparenz und Offenheit. Aber auch diese Ära findet ein jähes Ende. Eine Ironie des Schicksals? Michail Gorbatschow befindet sich am 19. August 1991 im Urlaub auf der Krim, als Altkommunisten in der UdSSR einen Putsch gegen ihn anzetteln und ihn dort festsetzen. Sein Amt als Generalsekretär der UdSSR muss er Ende 1991 aufgeben, die UdSSR zerfällt.
Aufgrund dieser Geschehnisse ist es nicht weiter verwunderlich, dass 90 Prozent der Ukrainer nach dem Zusammenbruch der UdSSR in einem Referendum für die Unabhängigkeit der Ukraine stimmen. 1991 soll also das Schlüsseljahr für den Konflikt um die Krim werden, denn nun ist es offiziell: die Krim gehört der unabhängigen Republik Ukraine. Innerhalb der nächsten Jahre legt aber die Krim selbst Autonomiebestrebungen an den Tag, dann steht wieder die Angliederung an Russland im Raum. Es kehrt keine Ruhe ein. Die Bevölkerung spaltet sich in zwei Lager.
Die Unabhängigkeit der Ukraine vermag es auch in den Folgejahren nicht, die bestehenden Probleme zu lösen. Die Kluft zwischen arm und reich wird sogar noch größer. Oligarchen übernehmen das Diktat und kontrollieren Rohstoffe, Industrie und Medien und leider auch die Justiz. 2004 eskaliert die Lage das erste Mal in der „Orangenen Revolution“. Auf Kiews Hauptplatz, dem Maidan, protestieren die Ukrainer zu Hunderttausenden gegen eine manipulierte Wahl. Viktor Janukowitsch, die „Oligarchen-Marionette“, ist damals an der Macht. Neuwahlen werden angeordnet. Die Ukrainer setzen große Hoffnungen in ihren selbst gewählten Präsidenten Viktor Juschtschenko. Diese zerschlagen sich 2009, als Janukowitsch wieder das Ruder übernimmt. Durch viele Krisen auch wirtschaftlich geschwächt, beginnt nun Moskau unverhohlen zu drohen. Staatsoberhaupt ist zu diesem Zeitpunkt Putins Freund, Dmitri Medwedew. Die Führung macht ihren Standpunkt klar: Die Ukraine gehört zu Russland.
2012 wird Wladimir Putin wieder Staatsoberhaupt in Moskau. Janukowitsch lehnt 2013 jegliche Annäherung an die EU ab, während die ukrainische Bevölkerung pro-europäisch denkt. Es kommt zu monatelangen, gewaltsamen Protesten auf dem Maidan. Im Februar 2014 wird die Lage so prekär, dass Janukowitsch fliehen muss.
Auch auf der Krim gehen die gespaltenen Lager auf die Straße, es kommt zu heftigen, gewalttätigen Auseinandersetzungen, bis am 27. Februar 2014 plötzlich bewaffnete Streitkräfte beginnen, die Krim zu besetzen. Als „grüne Männchen“ werden die Soldaten zunächst verspottet, denn sie tragen keine Erkennungszeichen – weder Flagge noch Rang sind ersichtlich. Es sind russische Soldaten, die von Putin auf die Krim gesandt wurden, um in der Rolle von „einheimischen Freiheitskämpfern“ die Halbinsel zu übernehmen. Die Aktion, die wie aus dem Lehrbuch des russischen Geheimdienstes zu sein scheint ist erfolgreich. Der Westen ist überrascht und sieht machtlos zu.
In der Hauptstadt Simferopol wird schon bald darauf die russische Flagge gehisst und die Ereignisse überschlagen sich. Ein militärisch kontrolliertes Parlament wählt ohne Volksbeteiligung Sergej Aksjonov zum Regierungschef. Das Parlament unter Aksjonov beschließt am 06. März 2014 eigenmächtig die Annexion der Krim an Russland. Ein gegen internationales Recht verstoßendes Referendum am 16. März 2014 soll der Öffentlichkeit eine demokratische Volksabstimmung vorgaukeln. Letztlich handelt es sich auch hierbei um einen weiteren militärisch kontrollierten Akt, der die völkerrechtswidrige Angliederung an Russland ermöglichen soll. Seit der Ratifizierung des Beitrittsvertrages am 18. März 2014 betrachtet Russland die Krim nun als Teil seines Staatsgebietes. Internationale Bemühungen, die Annexion als völkerrechtswidrig und für ungültig erklären zu lassen, ändern bis heute nichts daran, dass die Krim de facto unter russischer Herrschaft steht.
Autor: Michael Schmidt