Oliver Hirschbiegels filmische Rekonstruktion von Hitlers letzten Tagen nach dem gleichnamigen Essay des Historikers Joachim Fest und den Aufzeichnungen der Hitler-Sekretärin Traudl Junge.

Der Untergang.
Kein deutscher Film sorgt derzeit für soviel Aufsehen wie Bernd Eichingers Produktion „Der Untergang“. Bereits zwei Wochen vor Filmstart lieferte „Der Spiegel“ eine Titelstory und die „BILD-Zeitung“ hat unter Mitwirkung des Publizisten Joachim Fest eine entsprechende Serie ins Leben gerufen.
Seit G. W. Pabsts Film „Der letzte Akt“ hat es im deutschsprachigen Film niemand mehr gewagt, Hitler eine zentrale Rolle in einem Spielfilm einzuräumen – zu groß ist das Bedenken, dieser vielleicht ungeheuerlichsten Person der Weltgeschichte nicht gerecht werden zu können. Nun hat sich Oliver Hirschbiegel trotzdem getraut.
Gerne lassen sich Hirschbiegel, Eichinger und der Rest des Produktionsteams von „Der Untergang“ zitieren, sich geradezu sklavisch an die Quellen gehalten zu haben. Eine wichtige Aussage, die sie nicht nur vor inhaltlicher Kritik schützen soll, sondern auch dem Publikum die Gewissheit vermittelt, einen authentischen, historisch verbürgten Streifen zu sehen über die letzten Tage des Dritten Reichs. Unweigerlich kommt einem die kolportierte Aussage des Papstes zu Mel Gibsons Film „Die Passion Christi“ in den Sinn, die da lautete: „Ja, so muss es gewesen sein“.
Aber glauben sie wirklich, dass Detailtreue genügt, um dem „Untergang des Dritten Reiches“ filmisch gerecht zu werden?
Der Film ist ein solide inszeniertes Kammerspiel, handwerklich gut gemacht, vor allem die Szenen im Führerbunker ziehen den Zuschauer in einen Bann, dem er sich nur schwer entziehen kann. Während Hitler mit seinen Paladinen im Bunker unter der Reichskanzlei eingeschlossen ist, hat die Rote Armee die Hauptstadt bereits eingekesselt. Er träumt unter der Reichskanzlei von Rettung in letzter Sekunde. Armeen, die es faktisch gar nicht mehr gibt, sollen die Russen aufhalten. Hitler fantasiert von einer Allianz mit den Briten und Amerikanern gegen die Bolschewisten und fordert vom deutschen Volk Durchhaltewillen bis zum Letzten. Und die deutsche Generalität wagt bis zuletzt nicht, dem „Führer“ zu widersprechen und auch im privaten Umfeld Hitlers erliegen alle dem unbegreiflichen Bann des Mannes, der von Parkinson und Wahnvorstellungen gezeichnet nur noch ein Schatten seiner selbst ist.
Ohne Frage setzt der Film eine gute Kenntnis des Who-is-Who des Dritten Reiches voraus – für den weniger kenntnisreichen Zuschauer schon eine Zumutung, denn eine Vielzahl von Figuren tritt auf, agiert und verschwindet wieder – nur die wenigsten werden explizit vorgestellt. Viele Zuschauer erahnen sicher meist nur mit Mühe die „Prominenten“ unter ihnen – Himmler, Goebbels, Speer, Bormann, etc. – bei vielen anderen hilft nur die Konsultation historischer Literatur oder der Website des Films.
Die Übersicht kann der Zuschauer somit schnell verlieren, und der minütliche Wechsel von Perspektive, Personal und Schauplatz tut sein Übriges: Lagebesprechung des Führers, Hitlerjungen im Endkampf, Eva Braun beim Rauchen, Hitler und Speer beim Abschiedsgespräch. Zu viele handelnde Figuren, Mangel an Konzentration auf eine (Erzähl-)perspektive und die Bilder rauschen am Zuschauer vorbei. Lediglich Adolf Hitler und seine Sekretärin Traudl Junge sind als tragende Protagonisten angelegt und selbst sie bleiben seltsam passiv. Und die übrigen Charaktere – jeder einen eigenen Film wert – bleiben blass und ohne Tiefe. Daran kann auch die Starbesetzung nichts ändern.
Doch Bruno Ganz spielt seine Rolle als Hitler wacker, ein anderer Schauspieler hätte die heiklen Ambivalenzen der Figur Hitlers wohl kaum so gut spielen können. Bei einer Person, die krank und von ungeheurer psychologischer Anstrengung gezeichnet auf seine Rettung wartet, können keine großen psychologischen Nuancen mehr erwartet werden. Auch nicht von Hitler in seinen letzten Tagen. Dennoch spielt Ganz ihn als Menschen stellenweise so gut, dass sich viele Zuschauer bei der – sehr deutschen Frage – ertappen werden, ob man mit Hitler denn Mitleid haben darf.
Hinsichtlich dieser Frage verspielt der Film seine größte Chance bei der Darstellung des Selbstmords Hitlers oder besser gesagt bei dessen Nicht-Darstellung: Die Türen schließen sich, wenn Hitler und Eva Braun sich zum Selbstmord zurückziehen. Man hört die Schüsse, den sterbenden oder toten Hitler jedoch bekommt man nicht zu sehen. Der Zuschauer kann dieser filmischen Zurückhaltung nur mit Unverständnis begegnen. Warum werden Hitler (und im übrigen auch Goebbels) soviel Pietät gezollt und das während an vielen anderen Stellen des Filmes hingegen zahlreich und blutig vor der Kamera gestorben wird?
Der Mangel an authentischen Quellen oder Zeugen kann der Grund für Hirschbiegels Zurückhaltung bei Hitlers Tod nicht sein, denn die ebenfalls unbezeugte Szene, in der Corinna Harfouch als Magda Goebbels ihre Kinder vergiftet, wird dem Zuschauer mit einem dramaturgischen Pathos und minutenlanger Detailgenauigkeit präsentiert – unschuldige deutsche Kinder als Opfer der ideologischen Verblendung ihrer Eltern. Der Zuschauer schaudert bei dem letzten Zucken jedes der kleinen Körper und vergisst dabei fast das gleichzeitige, tausendfach blutige Sterben oben auf den Straßen Berlins.
Detailversessen ist der Film, ohne dass es ihm gelingt, die Details jedoch mit der nötigen Stringenz zu einer überzeugenden Rekonstruktion der letzten Tage des Dritten Reichs zusammenzufügen. Kritiker wie Wim Wenders werfen dem Film mit Recht einen Mangel an Haltung vor – nicht den fehlenden moralischen Zeigefinger, sondern eine fehlende wahrnehmbare erzählerische Stellungnahme zu dem Geschehenen und vor allem zum im „Untergang“ Gezeigten.
Kern der Kritik ist nicht die Frage: „Darf man Hitler als Mensch zeigen?“ Als Mensch und nicht als Dämon oder Karikatur, sondern als vollständige Persönlichkeit? Diese Frage ist wohl legitim. Die Wirkung eines Films jedoch, der sich im Wesentlichen darauf beschränkt die Führungsriege des Dritten Reiches als Menschen in einer Art Opferrolle vorzuführen und den ungeheuerlichen Kontext lediglich als Fußnote in den Abspann des Filmes zu verbannen, muss zumindest fragwürdig bleiben.
Es ist die noch lebende Traudl Junge, die im Epilog des Films mit einer kurzen Interviewsequenz herhalten muss, um den Kontext nachzureichen oder besser gesagt das kurze Geständnis, dass auch sie damals schon hätte wissen können von den Schrecken des Regimes. Abschließend legt der Film noch nach mit einem Abspann, der die Verbrechen des nationalsozialistischen Terrorregimes zusammenfasst und dann das Publikum über die weiteren Schicksale der Protagonisten des Führerbunkers aufklärt. Viele von ihnen haben ihren Frieden in der demokratischen Nachkriegsgesellschaft gefunden. Damit wird der Zuschauer etwas ratlos entlassen mit dieser fast verstörenden Botschaft von Hitler und seinem Regime, das auch zu ihrer weiteren Mystifizierung beitragen kann.
Autorin: Julia Radke
Originaltitel: | Der Untergang, (D, 2004) |
Regie: | Oliver Hirschbiegel |
Darsteller: | Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Juliane Köhler, Corinna Harfouch, Heino Ferch |
FSK: | ab 12 Jahre |
Länge: | 155 Min. |
Kinostart: | 16.09.2004 |
Website: | www.deruntergang.de |