Tilman Tarach: Der ewige Sündenbock. Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt. Kopenhagen – Freiburg – Zürich 2009
Was hat der Freund des Reichsführers SS Heinrich Himmler, der Großmufti von Jerusalem Hajj Muhammad Amin el-Husseini, mit dem heutigen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis zu tun? Nun, Husseini hatte sich nicht nur von 1941 bis Kriegsende als persönlicher Gast Adolf Hitlers in Berlin aufgehalten und initiierte die Bildung muslimischer SS-Divisionen auf dem Balkan. Er hielt nicht nur Ansprachen an die Imame der muslimischen SS-Divisionen, in denen er 1944 die gemeinsamen „geistigen und materiellen Interessen“ des Islam – zumindest des Islam in seinem Verständnis – und der NS-Ideologie betonte: das Führerprinzip, die Gehorsamspflicht, das Prinzip von Blut und Ehre, die Verherrlichung der Gemeinschaft und der Arbeit, den Kult um Mutterschaft und Familie und nicht zuletzt die Bekämpfung der „jüdischen Gefahr“. Der Großmufti von Jerusalem war auch der oberste islamische Rechtsgelehrte in der gesamten Region Palästina und fungierte als geistiger Kopf und späterer Mentor der „Palästinensischen Befreiungsbewegung.“. Den UN-Teilungsplan vom 29. November 1947 (UN-Resolution 181), welcher die Gründung eines jüdischen und eines palästinensischen Staates vorsah, lehnte er ab und trägt deshalb die Verantwortung dafür, dass es 1947/48 nicht zur Gründung eines palästinensischen Staates kam – mit den bekannten Folgen Krieg, Flucht und Dauerkonflikt bis heute.
Doch noch 2002 bezeichnete Palästinenser-Führer Yassir Arafat, der bis heute von großen Teilen nicht nur der politischen Linken verehrt wird, den verstorbenen Großmufti als „unseren Helden“. Bis dato atmet die Charta der PLO den Geist des Großmuftis und propagiert die palästinensische Nationalhymne das „Verlangen meines Blutes nach meinem Land und Heim“, keine nur romantisierende arglose Liedzeile, sondern durch die Verfünffachung der Zahl der palästinensischen Flüchtlinge im letzten halben Jahrhundert und ihrem Beharren auf das uneingeschränkte „Rückkehrrecht“ eine Forderung mit enormer politischer Sprengkraft. Verfünffachung der Flüchtlingszahl seit 1949 deshalb, weil die UN etwas möglich machte, was in der Welt einzigartig ist: die Erblichkeit des Flüchtlingsstatus durch Kinder, Enkel und Urenkel.
Der Autor Tilman Tarach, promovierter Jurist, legt eine faktenreiche, dezidiert belegte und zudem, falls man das bei diesem Thema sagen kann, spannend geschrieben Studie vor, die aufräumt mit den romantisierenden Klischees von palästinensischen Opfern und deren Befreiungskampf auf der einen – der guten – und den israelischen Unterdrückern, ja Tätern, auf der anderen – der bösen – Seite. Nicht die USA, wie immer wieder behauptet wird, beförderten die Gründung Israels und lieferten ihm Waffen, als es gleich nach seiner Staatsgründung 1948 von arabischen Nachbarstaaten überfallen wurde, sondern die Sowjetunion. Und bis heute pflegen die USA nicht nur zum israelischen Staat, sondern ebenso zu den palästinensischen Organisationen, deren Sicherheitskräfte auch vom amerikanischen Geheimdienst CIA geschult wurden, gute Beziehungen.
Tarach führt aus, wie das Bild vom unverhältnismäßig aggressiven Okkupanten Israel in unseren Medien geschürt wird. Da werden schon mal Bilder angeblicher palästinensischer Opfer israelischer Sicherheitskräfte millionenfach verbreitet, bei denen es sich wie beim Fall des amerikanisch-jüdischen Studenten Tuvia Grossmann um einen vom palästinensischen Mob halb zu Tode geprügelten jüdischen Menschen handelt, der im letzten Moment von einem israelischen Polizisten gerettet wird, der den Peinigern, von denen auf dem Foto keiner gezeigt wird, mit Prügel droht. Die Raketenangriffe auf jüdische Siedlungen werden tendenziell als nicht ernst zu nehmende Attacken mit selbst gebastelten Flugkörpern verharmlost, die Attentate palästinensischer Selbstmordkommandos als individuelle Verzweiflungstaten charakterisiert. Nicht ins Bild passende Informationen zum angeblich unverhältnismäßig aggressiven Besatzer Israel werden verschwiegen, so die Tatsache, dass sich die Zahl der Judenmorde während der Hochphase der Friedensverhandlungen in den 90er Jahren erhöhte und nach dem Ende der Regierungszeit Rabin/Peres wieder sank. Der Rückzug der Israelis aus dem Libanon im Mai 2000 wurde von palästinensischen Fanatikern eindeutig als Schwäche ausgelegt. Es folgte die „Al-Aksa-Intifada“, in welcher über 1000 Israelis durch Anschläge getötet und über 7000 verletzt wurden. Und nach dem Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen im Sommer 2005 schlugen alleine in die israelische Kleinstadt Sderot bis Herbst 2008 zweitausend Raketen ein, die zwar „nur“ ein Dutzend Menschen töteten, aber Hunderte verletzten, darunter Verkrüppelte, denen Beine und Arme abgerissen wurden.
Eine besondere Stärke des Autors stellt seine Erörterung des (Schein-)Gegensatzes von Antisemitismus und Antizionismus dar. Die in der deutschen Öffentlichkeit gezeigte Abscheu gegenüber dem Holocaust erscheint grenzenlos, die Solidarität mit den unter Hitler getöteten Juden unübertrefflich und jede Schmiererei an einem jüdischen Grabstein wird auf das Schärfste geächtet. Anders sieht es mit der Haltung gegenüber den lebenden Juden im Staat Israel aus. Der Zionismus als Bestreben einen wehrhaften jüdischen Staat zu gründen und zu bewahren wird beargwöhnt. Dabei geht es nicht um sachliche und legitime Kritik an israelischen Besatzungs- oder Militärmaßnahmen. Es geht darum, dass das Recht auf einen jüdischen Staat bestritten und diesem das Modell eines arabisch-jüdischen Staates Israel entgegengestellt wird, ohne zu thematisieren, dass schon heute zwanzig Prozent der israelischen Staatsbürger Araber sind und die „Rückkehr“ von Millionen palästinensischen Flüchtlingen im Kontext feindlich gesonnener Nachbarn den Staat Israel zur Implosion bringen könnte.
Wie feindselig die Stimmungsmache im arabisch-palästinensischen Umfeld gegen Israel ist, zeigt die gegenwärtige Propaganda mit den sogenannten „Protokollen der Weisen von Zion“, einer vom zaristischen Geheimdienst Ende des 19. Jahrhunderts fabrizierten plumpen Fälschung, die sich als Dokument eines angeblichen jüdischen Geheimplans zur Erlangung der Weltherrschaft präsentiert. Nicht nur, dass die Charta der Hamas heute in ihrem Artikel 32 behauptet: „Der zionistische Plan ist grenzenlos (…) Ihr Plan ist in den ‚Protokollen der Weisen von Zion’ verankert.“ Auch mit EU-Geldern finanzierte palästinensische Schulbücher bezeichnen die „Protokolle der Weisen von Zion“ als historische Tatsache. Das Mitglied des palästinensischen Exekutivrates Sheik Dr. Ahmad Bahar verkündete am 4.8.2006 im palästinensischen Fernsehen: „Die Protokolle der Weisen von Zion rufen zur Ermordung von Kindern, Frauen und Männern auf.“ Und eine populäre 20teilige in Syrien produzierte und in den letzten Jahren in vielen Ländern des Nahen Ostens ausgestrahlte Fernsehserie präsentiert die angeblichen „Protokolle“ in Gestalt klassischer antisemitischer Ritualmordlegenden, nach der Juden moslemische und christliche Kinder töten, um deren Blut für das Pessachfest zu genießen.
Der Rezensent verhehlt nicht, dass ihn die von Tilman Tarach überzeugend dargestellte Verbindung von Antisemitismus und Antizionismus mit Stoßrichtung gegen das heutige Israel fassungslos macht. Die Lektüre des Buches stellt ein wichtiges Korrektiv gegen gängige Klischees, Vorurteile und Stereotypen zur Beurteilung des israelisch-palästinensischen Konflikts dar.
Autor: Wigbert Benz
Tilman Tarach: Der ewige Sündenbock. Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt. Edition Telok. Kopenhagen – Freiburg – Zürich 2009, 300 Seiten, 19,80 €.