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Startseite > Rechtsextremismus

Der Naumann-Kreis

Der missglückte Versuch von ehemaligen Nazis, in der 1950ern die FDP in Nordrhein-Westfalen zu übernehmen

Immer mehr in Vergessenheit gerät mittlerweile die Tatsache, dass ehemalige Mitglieder der NSDAP in der unmittelbaren Nachkriegszeit, aber auch noch viele Jahrzehnte später in der Politik Deutschlands eine gewichtige Rolle spielten. Eine besondere Gefahr für die junge Bundesrepublik Deutschland war der Versuch ehemaliger NSDAP-Mitglieder unter Führung von Werner Naumann, dem letzten Staatssekretär des NS-Reichspropagandaministers Joseph Goebbels, Anfang der 1950er die FDP zu unterwandern.

Gleich zu Beginn dieses Aufsatzes muss natürlich auf einen gewichtigen Sachverhalt verwiesen werden. Auch wenn dieser Aufsatz sich mit der Verbindung zwischen NSDAP-Mitgliedern und der FDP und ihrem Umfeld beschäftigt, so sei darauf verwiesen, dass viele der Bundestagsparteien nicht davon verschont blieben, ehemalige NSDAP-Mitglieder in ihren Reihen zu haben.

 

Ehemalige NSDAP-Mitglieder mit bundespolitischen Ämtern in der FDP:

Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle erst einmal, welche ehemalige NSDAP-Mitglieder in der FDP zu hohen bundespolitischen Ämtern kamen:

  1. Ernst Achenbach, Mitglied in der NSDAP 1937–1945,
    1957–1976 Mitglied im Bundestag
  2. Joachim Angermeyer, Mitglied in der NSDAP 1941–1945,
    1976–1980 Mitglied im Bundestag
  3. Albrecht Aschoff, Mitglied in der NSDAP 1933–1945,
    1961–1965 Mitglied im Bundestag
  4. Hermann Berg, Mitglied in der NSDAP 1937–1945,
    1955–1957 Mitglied im Bundestag
  5. Ewald Bucher, Mitglied in der NSDAP 1933–1945,
    1962–1965 Bundesminister der Justiz, 1965–1966 Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau
  6. Richard Burckardt, Mitglied in der NSDAP 1940–1945,
    1961–1965 Mitglied im Bundestag
  7. Rolf Dahlgrün, Mitglied in der NSDAP 1933–1945,
    1962–1966 Bundesminister der Finanzen
  8. Robert Dannemann, Mitglied in der NSDAP 1933–1945,
    1945–1955 Mitglied im Bundestag
  9. Hermann Dürr, Mitglied in der NSDAP 1943–1945,
    1957–1965 Mitglied im Bundestag
  10. Josef Effertz, Mitglied in der NSDAP 1933–1945,
    1961–1968 Mitglied im Bundestag
  11. Otto Eisenmann, Mitglied in der NSDAP 1933–1945,
    1957–1965 Mitglied im Bundestag
  12. Josef Ertl, Mitglied in der NSDAP 1943–1945,
    1961–1987 Mitglied im Bundestag, 1969–1983 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten
  13. Margarete Hütter, Mitglied in der NSDAP 1943–1945,
    1943–1953 und 1955–1957 Mitglied im Bundestag
  14. Otto Köhler, Mitglied in der NSDAP 1933–1945,
    1957–1960 Mitglied im Bundestag
  15. Martin Reichmann, Mitglied in der NSDAP 1932–1945,
    1961–1969 Mitglied im Bundestag
  16. Hermann Saam, Mitglied in der NSDAP 1933–1945,
    Mitglied im Bundestag 1965–1969
  17. Walter Scheel, Mitglied in der NSDAP 1941–1945,
    1961–1966 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1969–1974 Bundesminister des Auswärtigen, 1974–1979 Bundespräsident
  18. Hermann Schwann, Mitglied in der NSDAP 1933–1945,
    1953–1957 Mitglied im Bundestag
  19. Artur Stegner, Mitglied in der NSDAP 1931–1945,
    1949–1957 Mitglied im Bundestag
  20. Willi Weyer, Mitglied in der NSDAP 1937–1945,
    1953–1954 Mitglied im Bundestag
  21. Siegfried Zoglmann, Mitglied in der NSDAP 1934–1945,
    1957–1970 Mitglied im Bundestag

Es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass hier noch nicht einmal diejenigen Politiker aufgezählt sind, die bei der FDP in Landesparlamenten oder später im Europaparlament zu Amt und Würden kamen. Diese Auflistung erfolgte deshalb, damit man später nicht sagen kann, der Naumann-Kreis wäre etwas Besonderes, d.h. die einzige Ansammlung von ehemaligen Nationalsozialisten.

 

Wer oder was aber nun der sogenannte Naumann-Kreis?

Bis heute ist nicht klar, wer der Kopf oder die Köpfe des Naumann-Kreises war. In Frage kommen hier:

  1. Ernst Achenbach, Mitglied des Auswärtigen Amtes unter Hitler und nachweislich 1943 für die Verhaftung und Deportation von 2.000 französischen Juden ins Konzentrationslager Majdanek verantwortlich, später: 1950–1958 Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen, 1957–1972 Mitglied des Deutschen Bundestages sowie Mitglied des Europaparlamentes von 1969–1974.

  2. Werner Best, Stellvertreter von Reinhard Heydrich (SS-Obergruppenführer sowie Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, 1941 von Hermann Göring mit der so genannten  „Endlösung der Judenfrage“ beauftragt), in der NS-Zeit: Organisationschef des Sicherheitsdienstes SD sowie leitender Funktionär im Reichssicherheitshauptamt, ab 1940 Leiter der Militärverwaltung im besetzten Frankreich, von 1942 bis 1945 Hitlers Reichsbevollmächtigter in Dänemark; nach Kriegsende: Rechtsberater des FDP-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen (obgleich er nie Mitglied der FDP war) sowie Direktoriumsmitglied der Dachgesellschaft der Stinnesschen Unternehmungen, erst 1989, als er schon auf dem Totenbett lag, wurde das strafrechtliche Hauptverfahren gegen ihn eröffnet.

  3. Werner Naumann, ehemaliger Staatssekretär im NS-Propagandaministerium sowie persönlicher Referent von Joesph Goebbels, nach Kriegsende lebte Naumann unerkannt in Süddeutschland, 1950 dann Geschäftsführer im Dienste der Firma Cominbel seines NS-Freundes Herbert Lucht, welcher wiederum vorher Leiter der Wehrmachtspropaganda in Frankreich war. Da seine Versuche, in der FDP Karriere zu machen, scheiterten, wurde er später Direktor der Busch-Jaeger Metallwerk GmbH in Lüdenscheid. Naumann wurde wie sein Freund Aschenbach nie wegen seiner NS-Vergangenheit angeklagt.

Für den Naumann-Kreis war es zum einen wichtig, dass die ehemaligen NS-Eliten für ihre Kriegsverbrechen im Rahmen einer Art Generalamnestie ein für alle mal entlastet werden würden. Auch ging es diesen Personen, die in der Regel Nationalsozialisten aus der mittleren Führungsebene waren, darum, sich politischen Einfluss zu verschaffen. Die Landesverbände der FDP in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen waren Anfang der 1950er Jahre sehr nationalistisch eingestellt, so dass die neuen Mitglieder (aus dem Naumann-Kreis) im Landesverband Nordrhein-Westfalen der FDP mit offenen Armen empfangen wurden. Bis heute ungeklärt ist die Frage, wie nahe der damalige Vorsitzende der FDP Nordrhein-Westfalen, Friedrich Middlehauve, zu dem Naumann-Kreis stand. Da die folgenden Mitglieder des Naumann-Kreises:

  • Werner Nauman

  • Werner Best

  • Franz Alfred Six

  • Hans Fritzsche

für Middelhauve für den FDP-Bundesparteitag im November 1952 das rechtsnationale „Deutsche Programm“ entwickelten, muss es Verbindungen gegeben haben. Es ist im Übrigen den FDP-Landesverbänden Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg zu verdanken, dass sich nicht das rechtsnationale Programm durchsetzte sondern das von diesen drei Landesverbänden vorgelegte „Liberale Manifest“.

Dass der Naumann-Kreis in keiner Weise demokratisch gesinnt war und das alte NS-Gedankengut in die Entstehungszeit der jungen Bundesrepublik transferieren wollte, lässt sich an den nachfolgenden Äußerungen von Naumann erkennen, die dieser nachweislich am 18. November 1952 bei einem Treffen des Naumann-Kreises in Hamburg tätigte:

„Ob man eine liberale Partei am Ende in eine NS-Kampfgruppe umwandeln kann, möchte ich bezweifeln, wir müssen es aber auf einen Versuch ankommen lassen. … Die Hauptsache ist, den Kontakt zueinander nicht zu verlieren und die Parteien bloß als ein Mittel zum Zweck anzusehen. Es wäre am besten, wenn wir unsere Leute in allen Parteien hätten, was teilweise der Fall ist.“

Auch der Bundes-FDP war vieles bekannt. Kurz vor Jahresende 1952 warnte ein anonymes Rundschreiben in der FDP vor dem Rechtsruck der Partei, und am 3. Januar 1953 trafen sich etwa 30 Vertreter verschiedener Kreisverbände in Köln mit dem FDP-Bundesvorsitzenden Franz Blücher, um ihre „ernste Besorgnis über den Zustrom rechtsradikaler Elemente“ zu diskutieren.

Es ist den Briten zu verdanken, dass der Naumann-Kreis aufgelöst wurde. Dabei hatte der britische Hochkommissar Sir Ivone Kirkpatrick nicht nur die deutschen Behörden sondern auch die damaligen FDP-Politiker Theodor Heuss (damaliger Bundespräsident), Franz Blücher (damaliger Parteivorsitzender) sowie Thomas Dehler (damaliger Bundesjustizminister) über den Naumann-Kreis und deren Vorhaben unterrichtet. Es wirft bis heute kein gutes Licht auf die damaligen bundesdeutschen Behörden, dass diese nicht sofort aktiv wurden, sondern dass in der Nacht vom 15. Januar 1953 die Briten aufgrund der alliierten Vorbehaltsrechte die folgenden führenden Köpfe des Naumann-Kreises in Düsseldorf, Solingen und Hamburg verhafteten:

  1. Dr. Werner Naumann

  2. Paul Zimmermann

  3. Dr. Heinrich Haselmayer

  4. Heinz Siepen

  5. Dr. Karl Scharping

  6. Dr. Gustav Scheel

Unter Berücksichtigung der vorstehend genannten innerparteilichen Vorkommnisse in der FDP ist es mehr als verwunderlich, wenn ausgerechnet der damalige FDP-Bundesjustizminister Dehler den Gekränkten spielte und erklärte: „Es zeugt von keinem großen Vertrauen in die Bundesrepublik, wenn ‚außerdeutsche Geheimdienste‘ hier ‚Unternehmen‘ abwickeln, ‚die eigentlich den Deutschen vorbehalten bleiben sollten.’“

Obgleich einige in der deutschen Öffentlichkeit 1953 angaben, von nichts gewusst zu haben, so ist dies kaum zu glauben. Es sei hier zum Beispiel auf einen Mitte November 1952 in der schwedischen Zeitung „Dagens Nyheter“ erschienenen Artikel verwiesen, in dem es heißt:

„Spiritus rector auf dieser Seite ist der Landtagsabgeordnete Ernst Achenbach (Düsseldorf). In seinem Essener Büro für eine Generalamnestie sind der frühere Reichskommissar in Dänemark, Dr. Werner Best und der frühere SS-Obergruppenführer Professor Franz Alfred Six tätig. Außenpolitisch lehnen die Nazis den Generalvertrag und die Europa-Armee ab, weil sie Deutschland nicht genügend nationale Unabhängigkeit geben. Sie streben ein wiedervereinigtes Deutschland mit eigener Armee an, das im Spannungsfeld zwischen Ost und West die Situation zu Zugeständnissen von beiden Seiten ausnützen könnte. Auf diese Parole hofft man alle Neutralisten und Anhänger des dritten Standpunktes in Deutschland sammeln zu können. Naumann und Konsorten weisen den Antisemitismus als Bestandteil der kommenden Politik ab, denn dieser hat sich als schlechtes Geschäft erwiesen. “

Dies ist eindeutig. Wenn man dies in Schweden wusste und dies dort in einer nicht unbekannten Zeitung kommunizierte, so muss die Frage erlaubt sein, warum man dies alles in Deutschland nicht gewusst haben will.

Das Verfahren gegen die Verschwörer wurde im Sommer 1953 vom 2. Ferienstrafsenat des Bundesgerichtshofes eingestellt, ohne dass ein Beschuldigter verurteilt wurde. Die Begründung hierzu lautete: „Das Ziel der Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Führerstaats käme in den Äußerungen der Angeschuldigten nirgends deutlich zum Ausdruck.“ Dieser Sachverhalt wurde später als „Blindheit des Bundesgerichtshofes auf dem rechten Auge“ bezeichnet. Lediglich Bundeskanzler Konrad Adenauer war vor dem Bundesvorstand der CDU klar und eindeutig und erklärte, dass er Naumann am liebsten wegen Hochverrats verurteilen würde und dass er nach wie von der Schuld Naumanns überzeugt sei.

 

Die Mitglieder im Naumann-Kreis:

Nachstehend eine (nicht als abschließend zu verstehende) Auflistung von Personen, die dem Naumann-Kreis angehörten:

1. Gunter d’Alquen, Journalist, Schriftleiter des „Schwarzen Korps“, SS-Standartenführer

2. Werner Best, Stellvertreter von Reinhard Heydrich, SS-Obergruppenführer, Chef des Amtes Verwaltung
bei der Besatzungsbehörde in Frankreich, November 1942 Bevollmächtigter des Deutschen Reiches in
Dänemark (Leiter der Besatzungsbehörde), nach dem Krieg tätig im Anwaltsbüro Achenbach

3. Karl Friedrich Bornemann, geb. 1908, HJ-Gebietsführer Düsseldorf, danach Herausgeber eines „KBI-
Informationsdienstes

4. Wolfgang Diewerge, hoher NS-Propagandist aus dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Intendant des Reichssenders Danzig, später Geschäftsführer der Gesellschaft für Europäische
Wirtschaftspolitik sowie des Internationalen Wirtschaftsclubs

5. Friedrich Karl Florian, Gauleiter von Düsseldorf

6. Hans Fritzsche, zuletzt Leiter der Rundfunkabteilung im Reichsministerium für Volksaufklärung und
Propaganda und im Großdeutschen Rundfunk der „Beauftragte für die politische Gestaltung“, in Nürnberg
angeklagter Hauptkriegsverbrecher

7. Lydia Gottschewski NS-Frauenschaftsfunktionärin

8. Josef Grohé, zuletzt Reichskommissar für die besetzten Gebiete in Belgien und Nordfrankreich

9. Hans-Bernhard von Grünberg, Professor für Staatswissenschaften und letzter Rektor der Universität
Königsberg unter deutscher Herrschaft

10. Heinrich Haselmayer, Alter Kämpfer seit 1927, SA-Mann, Kampfbund für deutsche Kultur in Hamburg,
Führer des NS-Studentenbundes ebenda, beteiligt an der Sterilisierung von nationalsozialistisch definierten
„Erbkranken“

11. Paul Hausser, SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS, der erste Vorsitzende der
Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS

12. Horst Huisgen, HJ-Gebietsführer in Schlesien; Landesgeschäftsführer der FDP in Niedersachsen

13. Heinrich Hunke, Arisierer, Funktionär der Deutschen Bank, nationalsozialistischer Raumplaner und
Großraumstratege, später Ministerialdirigent des Landes Niedersachsen

14. Karl Kaufmann, Gauleiter und Reichsstatthalter von Hamburg

15. Herbert Lucht, Leiter der Außenstelle Wehrmachtpropaganda in Paris

16. Wilhelm Meinberg, Aufsichtsrat bei der Dresdner Bank und Wehrwirtschaftsführer

17. Karl Ott, Staatssekretär und Mitglied des Landtages in Niedersachsen

18. Gustav Adolf Scheel, ehemaliger Reichsstudentenführer und Gauleiter von Salzburg

19. Heinz Siepen, NSDAP-Ortsgruppenleiter und Landrat, Mit-Besitzer der Punktal-Stahlwerke in Solingen

20. Edmund Veesenmeyer,Generalbevollmächtigter in Ungarn, SS-Brigadeführer

Es handelte sich nicht um eine kleine Gruppe ehemaliger NS-Funktionäre und die Gefahr der Infiltration war groß. Leider wurde nie in der Öffentlichkeit bekannt, welch eine große Gefahr für die Demokratie in Deutschland 1953 durch die Briten abgewandt wurde.

Autor: Stefan Loubichi

 

Literatur

Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit – Deutsche
Diplomaten im Dritten Reich und der Bundesrepublik; Blessing, 2010

Norbert Frei: Hitlers Eliten nach 1945; dtv, 2003

Ernst Klee: Persilscheine und falsche Pässe – Wie die Kirchen den Nazis halfen; Fischer Verlag 2013

Ernst Klee: Das Personallexikon zum Dritten Reich – Wer war was vor und nach 1945; Fischer Verlag, 2005

Eva A. Mayring: Control Commission for Germany (British Element) (CCG/BE), in: Wolfgang Benz (Hrsg.):
Deutschland unter alliierter Besatzung 1945–1949/55. Ein Handbuch. Akademie Verlag, Berlin 1999

Kristian Buchna: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP 1945-1953. Oldenbourg Verlag, München 2010

Heiko Buschke: Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer; Campus-Verlag 2003

Erich Stockhorst: 5000 Köpfe. Wer war was im Dritten Reich. Arndt-Verlag, 2000

Karl Höffkes: Hitlers politische Generale – Die Gauleiter des III. Reiches, 1986

 

Internetquellen

http://www.spiegel.de/einestages/naumann-kreis-die-unterwanderung-der-fdp-durch-altnazis-a-951012.html

http://www.zeit.de/2002/23/200223_a-fdp-nazi.xml

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-25657293.html

http://www.zeit.de/2002/23/Deutsches_Programm

http://www.deutschlandfunk.de/die-bekannteste-stimme-des-grossdeutschen-rundfunks.730.de.html?dram:article_id=102839

http://www.landtag-niedersachsen.de/download/29627/bericht_historische_kommission.pdf

Stichworte: Aufarbeitung der NS-Zeit, Rechtsextremismus, Bundesrepublik Deutschland, Naumann-Kreis

Die NPD in den 1960ern – Geschichte und Ideologie

Kaum eine Partei erregte die öffentliche Diskussion in den 60’er Jahren so sehr wie die Nationaldemokratische Partei Deutschlands. Nach dem Verbot der Sozialisti­schen Reichspartei 1952 und der hoffnungslosen Zersplitterung des rechtsextremen Spektrums der deutschen Parteienlandschaft war es einer nationalen Sammlungspartei erstmals wieder gelungen, diese Kräfte zu vereinen und bedeutsame Wahlerfolge zu erringen. Die etablierten Parteien und die durch Studentenunruhen sensibilisierte Öffentlichkeit reagierten heftig gegen die ver­meintliche „rechte Gefahr“, die das demokratische System der Bundesrepublik zu bedrohen schien. Die Zahl der Publikationen über die NPD in den 60ern, insbeson­dere solche, die als Argumentationshilfen zur öffentlichen Auseinandersetzung mit der NPD dienten, macht dies deutlich.

In dieser Arbeit soll nicht nur auf die Geschichte, Entwicklung und Struktur dieser Partei eingegangen werden, sondern auch auf die Frage, welche Ziele und Vor­stellungen sie in den späten 60er Jahren verfolgte. Zu diesem Zweck sollen einer­seits das offizielle Parteiprogramm, anderseits aber vor allem Quellen, die einen tieferen Einblick in die Ideologie der Partei ermöglichen, analysiert werden. Dazu eignen sich besonders das „Politische Lexikon“ der NPD, eine Sammlung von politischen Aussagen zur parteiinternen Schulung, zahlreiche Artikel des Partei­organs „Deutsche Nachrichten“ und schließlich die Reden des NPD-Chefideologen Ernst Anrich.

Obwohl zahlreiche Publikationen nach den 70er Jahren noch Einzelaspekte der NPD bzw. Vergleiche zu neuen rechten Parteien, wie den Republikanern behan­deln, haben die 1969 veröffentlichten Gesamtdarstellungen von Niethammer und Kühnl/Rilling/Sager ihre zentrale Bedeutung zu diesem Thema bis heute behalten. Es sei in diesem Zusammenhang ebenfalls auf die schwere Zugänglichkeit zu Originalquellen hingewiesen, was sich auch darin zeigt, daß in Abhandlungen nach 1970 Verweise auf z.B. das „Politische Lexikon“ kaum mehr vorkommen.


Entstehung und Aufbau der NPD

Die Gründung der NPD als einer Partei, die sich dem Alten Nationalismus der Weimarer Republik verpflichtet sah, kam am Anfang der 60er Jahre nicht von un­gefähr. Von den zahlreichen rechtskonservativen Parteien, sofern sie nicht wie die Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten worden waren[1], hatte nur die Deutsche Reichspartei (DRP) eine nennenswerte Bedeutung erlangt. Doch auch sie kämpfte Anfang der 60er Jahre mit Zersplitterungstendenzen und Auflösungs­erscheinungen. Der DRP war es in der Bundestagswahl von 1961, wie in den Jahren zuvor, wieder nicht gelungen, in das Parlament einzuziehen. Die Sezession ihres nationalneutralistischen Flügels nach der gescheiterten Wahl, der sich fortan Deutsche Freiheitspartei nannte, machte ein erneutes Antreten für 1965 aussichtslos.[2] Dem langjährigen Vorsitzenden Adolf von Thadden schwebte deswegen eine Sammlung der nationalen Rechten nach dem Vorbild der „Harzburger Front“ vor, bei der sämtliche Parteien und Gruppierungen der Bundesrepublik eingebunden würden, die den Traditionslinien des „Alten Nationalismus“ folgten. In den nächsten Jahren kam es zu Kooperationen und Wahlbündnissen der DRP mit mehreren rechten Parteien, insbesondere mit dem „Deutschen Block“ und der „Deutschen Partei“ in Bremen. Diese erhielt unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Thielen im Bündnis mit der DRP immerhin einen Stimmanteil von 5,2% in der Landtagswahl von 1963.[3]

Von Thadden und Thielen gelang es schließlich zusammen mit Herbert Beer von der Gesamtdeutschen Partei (GDP) in einer Reihe von Versammlungen die Gründung einer Bündnispartei in die entscheidende Phase zu bringen. Friedrich Thielen wurde mit der Einladung zur Gründungsversammlung der National­demokratischen Partei Deutschlands am 28. November 1964 betraut, nachdem die Partei schon am 14. November ins Vereinsregister eingetragen worden war.[4]

Zur Gründungsversammlung am 28. November 1964 erschienen ca. 700 Delegierte verschiedenster nationalistischer und rechtsextremer Kreise, die es zu überzeugen galt.[5] Die Initiatoren der Parteigründung konnten 473 von ihnen zur Gründung der NPD bzw. zu deren Beitritt überzeugen. Daß die NPD nicht eine umgetaufte DRP sein und eine weitgehende Integrationsfunktion haben sollte, zeigte sich in der Zusammensetzung des Vorstandes: Vorsitzender der neuen Partei wurde Friedrich Thielen, der nach langjähriger CDU-Mitgliedschaft Vorsitzender der Deutschen Partei (DP) in Bremen geworden war und fortan das bürgerliche Aushängeschild der NPD wurde.[6] Der stellvertretende Vorsitzende Wilhelm Gutmann repräsentierte die nationalistische GDP, deren führender Funktionär in Baden-Württemberg er war. Adolf von Thadden, ebenfalls stellvertretender Vorsitzender und Geschäftsführer, vertrat die DRP. Heinrich Faßbender, der sich schon in mehreren Parteien des deutsch-nationalen Spektrums betätigt hatte, wurde der dritte stellvertretende Parteivorsitzende. Im Präsidium der NPD wurde die Mehrheit der Mitglieder von alten Kampfgefährten Thaddens aus der DRP gestellt. Es war gelungen, eine neue Einheitspartei zur Sammlung aller rechtsextremen und nationalkonservativen Kräfte in Deutschland zu bilden.

 

Der Aufstieg zur vierten Politischen Kraft

Die weitere Entwicklungsgeschichte der NPD läßt sich in mehrere Phasen einteilen. Als erste Phase kann man die Zeit von der Gründung bis zum Karlsruher Parteitag im Juni 1966 nennen. In dieser Zeit erfolgte der Aufbau und die Festigung der Parteiorganisation. Erleichtert wurde dies dadurch, daß sich etwa 33-40% der NPD-Mitglieder aus der DRP rekrutierten, deren Erfahrung und Organisationsnetz bei dem Aufbau der Parteistrukturen zum Tragen kam.[7] So gelang es bis zum September 1965 in allen 11 Bundesländern Landesverbände mit 66 Bezirks-, 336 Kreis- und 240 Ortsverbänden aufzubauen, womit die NPD in 70% der Stadt- und Landkreise der Bundesrepublik vertreten war.[8] Unterstützt wurde diese Entwick­lung weiterhin durch die Übertritte von Mitgliedern aus zahlreichen rechts­extremen Kleingruppen, wie z.B. der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD).

1965 trat die NPD erstmals zu den Bundestagswahlen an und erzielte 2,0% der Stimmen, womit das Ergebnis der DRP von 1961 mehr als verdoppelt wurde.[9] Bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft im März 1966 erhielt sie 3,9%[10] und auch bei den bayrischen Kommunalwahlen erreichte sie in bestimmten Gebieten wie z.B. Franken Werte von bis zu 10%[11]. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Zahl der aktiven Parteimitglieder bereits 13700.[12] Zwei Jahre nach ihrer Gründung, im November 1966, hatte die NPD bereits 25000 Mitglieder und 23 Landtags­mandate.[13]

1967 zog die NPD dank eines riesigen Werbeaufwandes in vier weitere Landtage ein.[14] In Bremen erreichte sie 8,8%[15], in Niedersachsen 7,0%[16], in Rheinland-Pfalz 6,9%[17] und Schleswig-Holstein 5,8%[18] der abgegebenen Stimmen. Ein Jahr später erzielte die Partei im April 1968 in Baden-Württemberg mit 9,8% ihr bestes Ergebnis.[19] Zu diesem Zeitpunkt war sie mit 61 Abgeordneten in sieben Landtagen vertreten.[20]

 

Wähler- und Mitgliederstruktur

Während in der Gründungsperiode der NPD sich die Parteimitglieder weitgehend aus der DRP und zahlreichen anderen national-konservativen oder rechtsextremen Gruppen rekrutierten, änderte sich dies mit dem Aufstieg der Partei. Gegen Ende der sechziger Jahre hatte sich die Sozialstruktur der NPD-Wähler an die der Gesell­schaft der Bundesrepublik deutlich angenähert. Es hatte sich gezeigt, daß die Wahlerfolge der Partei auf eine sozial breit gefächerte Wählerschaft zurückgingen. Vor allem in wirtschaftlich schwachen Regionen gewann die Partei Anhänger aus allen Berufsgruppen. Ebenfalls zeigte sich, daß Mitglieder von Berufsgruppen, die von der Wirtschaftskrise der späten 60er Jahre stark betroffen waren, bundesweit mit der NPD sympathisierten.[21] Wähler – unabhängig von der Einkommenshöhe -, die glaubten, es seien allgemein, oder für sie speziell schlechte Zeiten zu erwarten, neigten dazu, den autoritären Lösungsvorschlägen der NPD Gehör zu schenken.[22] In katholischen Bevölkerungskreisen konnte die Partei jedoch nur geringe Erfolge verzeichnen.[23] Dies lag vor allem an der stärkeren religiösen Orientierung der Wähler, die ein Abdriften in das extreme rechte Lager unwahrscheinlich machte.

Die Sozialstruktur der Parteimitglieder läßt sich jedoch differenzierter aufschlüs­seln. Bei diesen bildeten die mittelständischen Berufsgruppen den Kern. Über die Hälfte der Parteimitglieder war dem „alten Mittelstand“, den Selbständigen und dem „neuen Mittelstand“, vor allem Angestellten, zuzurechnen.[24] Doch auch die Arbeiter stellten mit fast einem Drittel einen hohen Anteil an den Partei­mitgliedern.

Bei den Mitgliedern der NPD dominierte die Altersgruppe der 45 bis 60jährigen Männer.[25] Frauen waren mit ca. 10% im Vergleich zur Gesamtbevölkerung unter­repräsentiert.[26] Die stärkste Gruppe der NPD-Mitglieder stellten also Männer aus mittelständischen Berufen, die während des Nationalsozialismus aufgewachsen waren. Diese Charakteristika spielten auch bei der parteiinternen Führungsauswahl eine bedeutende Rolle. Die NPD-Elite setzte sich zu 90% aus Angehörigen des Mittelstandes zusammen, wobei auf Bundesebene der „alte Mittelstand“ und auf Landesebene der „neue Mittelstand“ überwog.[27]

Untersucht man die Zugehörigkeit zur ehemaligen Führung der NSDAP, der SRP, der DRP und anderen rechtsextremistischen Organisationen, so kommt man zu folgendem Ergebnis: 1967 gehörten 35% der Parteimitglieder, 42% der Kreis­funktionäre, 60% der Landtagsabgeordneten, 67% der Funktionäre auf Landes­ebene, 73% der Mitglieder des Parteivorstandes, 91% der Bundesredner und 100% der Gesellschafter der Parteizeitung „Deutsche Nachrichten“ zu dieser Gruppe.[28] Organisationserfahrung in der NSDAP oder einer anderen rechts­extremistischen Organisation waren also neben der Zugehörigkeit zu einer mittel­ständischen Berufsgruppe wichtige Faktoren der innerparteilichen Führungsaus­lese.[29]

Der überwiegend mittelständische Charakter der NPD-Führung machte sie jedoch nicht zu einer typischen Interessenpartei, sondern zeigt, daß sie einen Parteityp mit vorwiegend ideologisch-autoritärer Parteibindung darstellt.[30] Das mittelständische Engagement blieb immer nur ein Mittel der Mobilisierung von Anhängern.

 

Die Ideologie der NPD

Eine Partei, die versucht Mitglieder und Wähler zu mobilisieren, muß versuchen, bestimmte soziale Gruppen anzusprechen und ihnen zu vermitteln, daß ihre Interessen bei ihr am besten aufgehoben sind.[31] Die Konzentration auf eine in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Mittelschicht legte im Fall der NPD den Protest gegen eine moderne, liberale, demokratische und pluralistische Gesell­schaft nahe. Eine obrigkeitsstaatliche, deutsche Tradition versprach, durch Einheit und Geschlossenheit den bedrohten sozialen Status der Mitglieder und Wähler zu sichern. Neben dieser sozialen Tendenz stellt der Sammlungscharakter der Partei ein zweites wichtiges Element dar. Da fast alle Sachfragen in der Partei kontrovers diskutiert wurden, blieb als Ideologie nur der Reflex auf die Erwartungen und Vor­stellungen der möglichen Anhängerschaft. Schlagworte und Ideale mit denen die Parteigänger ähnliche Vorstellungen verbanden, wurden so zu integrativen Elementen, meist ohne Rücksicht auf ein logisch strukturiertes Ideologiegebäude.

Das Parteiprogramm der NPD sowie öffentliche Äußerungen von Partei­funktionären waren stets so gehalten, ein juristisches Vorgehen gegen die Partei zu vermeiden. Das Verbot der SRP hatte die Gefahr einer staatlichen Gegen­reaktion gezeigt. Jedoch läßt sich bei der näheren Betrachtung anderer Quellen, wie z.B. der NPD Parteizeitung „Deutsche Nachrichten“, dem „Politischen Lexikon“ und diversen Parteireden, die eigentliche Ideologie der Partei deutlicher erfassen, als dies allein durch die öffentlichen Verlautbarungen möglich ist.

Gestalter der Parteiideolgie waren vor allem die aus der SRP stammenden Funktionäre unter dem Vize-, später dann Vorsitzenden Adolf von Thadden. Ein weiterer, wesentlicher Gestalter der NPD Ideologie war der Historiker Prof. Dr. Ernst Anrich. Der ehemalige SS-Untersturmführer, Reichsschulungsleiter des NS-Deutschen Studentenbundes und Universitätsprofessor in Straßburg während des Krieges, war nicht nur Mitglied des Parteipräsidiums. Er leitete in der Partei das Amt VI – Politische Bildung – im Bundesvorstand und das Referat Kulturpolitik. [32]

 

Das Parteiprogramm von 1967

1964 wurde auf dem Hannoverschen Parteitag das „Gründungsmanifest“ der NPD verfaßt, das eine Sammlung vager national-konservativer Aussagen zu den Zielen der Partei beinhaltete. Das erste ordentliche Parteiprogramm der NPD folgte erst auf dem dritten Parteitag in Hannover, vom 10.-12. November 1967. Neben einem einführenden Abschnitt über „Grundlagen nationaldemokratischer Politik“, nahm es in Thesen zu 15 Themen Stellung: Demokratie, Staat, Recht; öffentliche Meinungsbildung; Erziehung, Bildung, Schulwesen; Hochschule, Wissenschaft, Forschung; die gegliederte Volkswirtschaft; Steuer- und Finanzpolitik; die deutsche Landwirtschaft; Raumordnung und Verkehr; Mensch und Arbeit; soziale Sicher­heit; Kriegsfolgen und Entschädigungen; Familie, Volksgesundheit; Wehrpolitik und europäische Verteidigung; Deutsche Einheit in Freiheit.[33] Weiterhin wandte sich die NPD in diesem Programm gegen die Kollektivschuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg, die Verfremdung Deutschlands durch kommunistische und amerikanische Einflüsse, den Imperialismus der Großmächte, die Überfremdung der Wirtschaft durch ausländisches Kapital und für die Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1938.[34] Abschließend folgten Forderungen nach der Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Selbstbestimmung, die sich nicht von den damaligen Forderungen der bürgerlichen Parteien unterschieden.

Weitergehende rechtsextreme Forderungen waren in dem Programm jedoch nicht auszumachen. Im Gegenteil bekannte sich die Partei offen zur parlamentarischen Demokratie. Jedoch wurde ebenfalls die Einführung von Volksbegehren und die Stärkung der Stellung des Bundespräsidenten gefordert. Dieser sollte ähnlich dem Weimarer Reichspräsidenten direkt vom Volk gewählt und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet werden. Zusammen mit der Abschaffung des konstruktiven Mißtrauensvotums könnten dann Regierungen ohne parlamentari­sche Mehrheit, nur noch auf die Autorität des Bundespräsidenten gestützt, regieren.[35] Die Volksbegehren sollten der NPD eine bessere Beeinflussung der Politik durch Propaganda und Demagogie ermöglichen.[36] Diese Forderungen liefen somit auf eine Schwächung des Parlamentes hinaus.

Programmatische Aussagen zu wirtschaftlichen Grundfragen blieben aber dürftig und kamen nicht über allgemeine Leerformeln hinaus. Eine diesbezügliche Festle­gung hätte Teile der potentiellen Wähler verprellt und die Möglichkeit einer offenen, breit streuenden Werbung beeinträchtigt.[37] Angesichts des Verbots der SRP im Jahre 1952 diente das Programm vor allem der Propaganda und war darauf gerichtet, den volksparteilichen und national-konservativen Eindruck öffentlichkeitswirksam zu verstärken.[38]

Leitgedanken im ersten Parteiprogramm der NPD waren somit: Starke Betonung nationaler Gedanken in der Wirtschafts-, Erziehungs-, Verteidigungs- und Außen­politik; Fremdenfeindlichkeit; Agrarromantik; Antiliberalismus; Antipluralismus; Aggressivität gegenüber der bestehenden demokratischen Gesellschaftsordnung.[39] Damit hatte die NPD Ideen aufgegriffen, die seit der Weimarer Republik in Parteien wie der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und der NSDAP verbreitet gewesen waren, ohne sich jedoch mit einer dieser Parteien zu identifizieren.

Das Programm war jedoch letztlich so gehalten, daß es zwar reichlich politische, jedoch kaum rechtliche Angriffspunkte bot. Auf dem Papier des Parteiprogramms offenbarte sich die NPD auf den ersten Blick als eine demokratische, bürgernahe und konservative Partei, die in keinem offenen Konflikt zu den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Ordnung stand, jedoch auch keine klare politische Linie erkennen ließ.

Günter Grass faßte anläßlich der Wahlen zum Bayrischen Landtag 1966 diese Situation in der Frage zusammen:

„Hat die NPD ein Programm? Sie ist für die Todesstrafe und gegen Gastarbeiter. Sie stellt Ansprüche auf Gebiete, in denen, wie es heißt, das deutsche Volk seit Jahrhunderten gewachsen ist. Sie ist einfach schlicht gegen Entwicklungshilfe. Ist das ein Programm?“[40]

 

„Politisches Lexikon“, „Deutsche Nachrichten“ und Parteireden

Da die eigentlichen Ziele der NPD doch weitaus radikaler waren, als dies im Partei­programm publiziert wurde, konnten diese nur an anderen Stellen zum Ausdruck kommen. Das 1967 erschienene „Politische Lexikon“ und die Parteizeitung „Deutsche Nachrichten“ übernahmen vorrangig diese Aufgabe. Das vierbändige Lexikon präsentierte auf 248 Blättern mit je einem Stichwort als jederzeit erweiterungsfähige Loseblattsammlung die Parteiideologie nach dem Muster von Frage und Antwort.[41] Die verbindlich formulierten Artikel dienten der Schulung von Funktionären und als Argumentationshilfe für politische Diskussionen. Verfaßt wurde es in weiten Teilen von dem Journalisten Dieter Vollmer, der 1950-52 stellvertretender Chefredakteur der in Buenos Aires erscheinenden neonazistischen Zeitschrift „Der Weg“ gewesen war.[42]

Die „Deutschen Nachrichten“ (DN) der NPD erfüllten als offizielles Parteiorgan der NPD eine bedeutende propagandistische Aufgabe. Als Nachfolger der DRP-Publikation „Reichsruf“ wurden sie nicht nur über den Zeitschriftenhandel vertrie­ben, sondern auch in hoher Zahl kostenlos an Interessierte verteilt. 1966 erreichten die DN mit über 45000 wöchentlichen Exemplaren ihren höchsten Auf­lagenstand.[43] Die starke Verzahnung der Redaktion mit dem Parteivorstand garantierte jederzeit eine hohe Deckung der Publikationen mit der offiziellen Parteimeinung.

Die ideologische Zielsetzung des Lexikons kann an mehreren zentralen Leitsätzen festgemacht werden, die das Werk weitgehend bestimmen. Im einzelnen sind das: Kulturkritischer Dogmatismus, Ethnozentrismus, national orientierte Politik, Autarkismus und ein nationalistisches Geschichtsbild.[44]

Obwohl sich die NPD zum Grundgesetz und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannte, vertrat sie dennoch die These, daß wirkliche Demokratie in der Bundesrepublik niemals realisiert worden wäre, „da den Volksmassen die zum Regieren erforderlichen Kenntnisse, der Überblick über das politische Geschehen und auch die nötige Besonnenheit naturgemäß fehlten“[45]. Das System der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik wird jedoch mit einem genau entgegengesetzten Argument kritisiert. Bei diesem hätte der Bürger nur noch ein Mitspracherecht bei Wahlen, werde durch die öffentliche Meinungsbildung entmündigt und sei volksfernen Berufsparlamentariern ausgeliefert. Demokrati­sche Mehrheitsentscheidungen wurden grundsätzlich mit dem Hinweis auf unter­schiedliche Urteilsfähigkeiten der Menschen in Zweifel gezogen. Letztlich wurde mit dieser Argumentation das zentrale Konzept der repräsentativen Demokratie angegriffen, nämlich die Tatsache, daß gerade wegen der Unabwägbarkeit einzelner Stimmen, jede Stimme das gleiche Gewicht haben muß. Die skizzierte Karikatur des Mehrheitsprinzips diente ausschließlich dazu, demokratische Parteien zu diffamieren. In einer Rede auf dem Karlsruher Parteitag von 1966 führte Ernst Anrich zum Thema Demokratie aus, daß „in einer sogenannten Demokratie das Volk nur als Addition der einzelnen Individuen, nur als Gesellschaft aufgefaßt wird und die Volkssouveränität nicht aus der Hoheit des Volkstums und der Volks­gemeinschaft verstanden, sondern mit der Souveränität einer Menge verwechselt wird“.[46] Im Gegensatz dazu habe der absolutistische Staat seine Verfassungs­aufgabe gut gelöst. Auch eine Diktatur könne eine gute Verfassung sein, wenn der Diktator eine „besondere Reife“ besitzt.[47]

Im „Politischen Lexikon“ werden liberale Werte und kulturelle Entwicklung grundsätzlich skeptisch beurteilt. Humanismus wird als politisches Instrument im Kampf gegen die Autorität und als geistiges Gerüst einer „neuen Linken“ bezeichnet.[48] Der Gedanke wird unter dem Stichwort „Revolution“ fortgeführt, wo dargelegt wird, daß sich das Bedürfnis breiter Volksschichten nach starker Führung und volksgerechter Politik äußert, wenn liberale und soziale Tendenzen zu lebensfremden Dogmen erstarren.[49] Die Distanz der NPD zur Urteilsfähigkeit der Masse und damit zum demokratischen Mehrheitsprinzip zeigt sich auch in der negativen Bewertung des Pluralismus. Liberalismus und Pluralismus seien durch eine staatsnegierende Tendenz gekennzeichnet und führten den Staat bis an die Grenze des Anarchismus.[50]

Die auf solchen Überlegungen basierende ideale Staatsform konnte laut NPD ein idealisierter Führerstaat sein. Ernst Anrich konzipierte in seinem Grundsatzreferat auf dem Karlsruher Parteitag von 1966 einen „Völkischen Kollektivismus“ aus dem ein Staat resultiert, der eine absolute Souveränität darstellt[51]: Die Kraft der menschlichen Gemeinschaft sei das Volkstum, ohne das der Mensch nicht in der Lage sei, sich selbst zu beweisen und zu bewähren. Der Staat als Urform des Lebens habe von seinem Wesen her absolute Einordnungs- und Befehlsgewalt über den einzelnen und nicht durch demokratischen Konsens. Der Mensch sei zwar frei, aber im historisch-kulturellen Organisationsgefüge des Volkstums der Welt verantwortlich. [52] Würde er sich vom Volkstum abwenden, so würden Libera­lismus und Marxismus die Kraft des Volkstums negieren. In diesem Zusammen­hang kann auch die Forderung nach einer Stärkung der Stellung des Bundes­präsidenten verstanden werden.

Von dieser Position ausgehend wurde versucht, mittels Propaganda ein Protest­potential der Bevölkerung zu erfassen. Unberührt von der realen gesellschaftlichen Situation wurde in Veröffentlichungen und Reden die Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung heraufbeschworen. Die NPD sah die innere Sicherheit durch Verbrechen aller Art, Terrorismus und Drogenhandel bedroht, zu deren Bekämpfung die Polizei nicht mehr ausreichen würde.[53] Sie präsentierte sich dabei als Kraft, die endlich wieder Recht und Ordnung durch hartes Durchgreifen herstellen wollte. Mit Aneinanderreihungen von Reizsätzen wurde vor allem in den „Deutschen Nachrichten“ das nahe Ende der staatlichen Ordnung prognostiziert. So schrieb der Vorsitzende der NPD und Schriftleiter der DN v. Thadden dazu:

„Ein Staat, der nur in der Lage ist, Steuern zu kassieren, um sie mit preistreibender Wirkung wieder auszugeben, ein Staat, der sich nur als Relais­station zwischen rivalisierenden Gruppeninteressen begreift, ein Staat, der offenkundig außerstande ist, mit konjunkturellen Schwierigkeiten fertig zu werden, ein Staat, der unfähig ist, seine Verwaltung den Notwendigkeiten von heute anzupassen, ein Staat, der sich im Bereich der Außenpolitik offen­kundig als hilflos erweist, ein solcher Staat wird eines Tages scheitern, weil er eben keinen Rückhalt in der Bevölkerung hat.“[54]

Zum Thema Volk und Nation finden sich rassenideologische Reminiszenzen natio­nalsozialistischer Ideologie. Formuliert wurden sie vor allem von dem NPD-Chefideologen Ernst Anrich der im Zuge seines Referates „Mensch – Volk – Staat – Demokratie“ vor dem Karlsruher Parteitag 1966 verkündete: „Die Grundartung und Gemeinschaft Menschheit entsproß nicht einer völlig gleichen Art und Gemeinschaft, sondern in großen getrennten Räumen in Unterarten und Unter­gemeinschaften, in Rassen mit verschiedenen leiblichen und geistigen Stilanlagen …“[55] Der Volksbegriff steht nach Anrich im engen Zusammenhang mit der Geschichte. Diese war nach seinen Vorstellungen „der Ausdruck dessen, daß wieder ein biologischer Organismus besonderer Artung und Keimkraft vorhanden ist, aus dem im geistigen Widerspiel bestimmt geartete und in sich geschlossene Menschen hervortreten. Einen solchen Organismus nennen wir Volk, seine eigen­tümliche Artkraft das Volkstum.“[56]

Solch einseitig biologistische und auch rassistische Definitionen finden sich im „Politischen Lexikon“ wieder. Für das Lexikon bedeutet Volk „die aus einem oder mehreren Stämmen erwachsene, von gemeinsamer Geschichte und gemeinsamen Lebensraum geprägte Kultur- und Lebensgemeinschaft, die sich eine wesens­mäßige staatliche Form schafft und damit bewußt zur Nation wird“.[57] Eine Vermischung der Rassen wird grundsätzlich abgelehnt, das Rassenprinzip zum „Schlüssel der Weltgeschichte“ erklärt und eine bewußte Rassenpolitik gefordert.[58] Man meint durch die „Minderung der natürlichen Auslese“ und die „Geburtenbeschränkung“ eine „Erbverschlechterung in Europa“ festzustellen, welche die „Gefahr eines Absinkens der Kulturhöhe und eine Umschichtung des Volkes“ bewirke.[59] Das „Politische Lexikon“ warnt an vielen Stellen vor einer Über­fremdung Deutschlands und Europas. So wird z.B. England die Masseneinwanderung von Farbigen vorgeworfen, die „von der Mehrheit der Engländer durchaus abgelehnt wird und schließlich zur Zerstörung des britischen Volks­charakters führen muß“[60]. Auch Frankreich wird angegriffen: „Andrerseits aber ignoriert der Französische Staatsnationalismus de Gaulles die biologischen Voraus­setzungen einer Nation und fördert z.B. die farbige Masseneinwanderung nach Frankreich offensichtlich mit dem Ziel einer quantitativen Stärkung des Staats­volkes“[61].

Diese Einstellungen setzen sich in den Aussagen des „Politischen Lexikons“ über ethnische Minderheiten und andere Nationalitäten fort. Entwicklungshilfe wird dort als überflüssig bezeichnet mit der Begründung: „Kennzeichnend für die Mentalität der besonders kinderreichen Völker Asiens und Afrikas“ sei eine „kontemplative Schicksalsergebenheit“ und eine „angeborene seelische Konstitution, die mit der angebotenen Hilfe nichts anzufangen weiß“[62]. In den Musterreden der Partei kommt dieser Rassismus noch deutlicher zum Vorschein. Den „Negern“ wird unterstellt, kein Volks-, sondern höchstens ein Stammes­bewußtsein zu haben und nutzlos Entwicklungshilfe zu beziehen.[63]

Entsprechend diesen Ansichten von Volk und Rasse werden auch antisemitische Dogmen vertreten, die in vielen Fällen an nationalsozialistische Propaganda heranreichen. So wird den unter „Gastvölkern“ lebenden Juden vorgeworfen, „teils bewußt, teils unbewußt den religiösen Auserwähltheitsanspruch auf das politische, kulturelle und wirtschaftliche Leben ihrer Umgebung zu übertragen“ und somit die Kontrolle über die „Gastvölker“ zu übernehmen.[64] Zur Verteidigung des Holocaust wird folglich die These der jüdischen Weltverschwörung aufgegriffen mit der Behauptung, der Antisemitismus der Nationalsozialisten habe auf dem Verdacht beruht, „daß das russische Judentum sowie jüdische Bank­häuser in Amerika bei der Entstehung des Bolschewismus eine entscheidende Rolle gespielt hätten“[65]. Eine weitere Verschärfung des nationalsozialistischen Anti­semitismus „brachte die unbegründete Kriegstreiberei der Vereinigten Staaten, die man weitgehend auf den Einfluß jüdischer Berater Roosevelts zurückführte“[66]. Dem jüdischen Weltkongreß wird die Rolle einer „Gesinnungspolizei“ unterstellt, „die sich schon mehrfach in die Angelegenheiten verschiedener Länder, vor allem Deutschlands und Österreichs“ eingemischt hätte.[67] Das nationalistische Geschichtsbild der NPD spricht dabei die deutsche Bevölkerung pauschal vom Vorwurf des Antisemitismus frei.[68] Weiterhin wird behauptet, „ein Befehl zur planmäßigen Ausrottung der jüdischen Bevölkerung“ wäre bislang nicht nach­gewiesen.[69] Daneben wird die Ermordung von Juden mit der Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa verglichen und somit relativiert.[70]

Zentrale Hinweise zur Ideologie der NPD erhält man, wenn man ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus betrachtet. Dieser wird nicht pauschal verteidigt, aber einer grundsätzlichen, positiven Bewertung der deutschen Vergangenheit unter­geordnet. Das „Politische Lexikon“ bezeichnet den Nationalsozialismus als Versuch, „die vier Grundelemente menschlichen Lebens, nämlich die biologischen Elemente der Arterhaltung, das ökonomische der Artversorgung, das politische der Regelung des Zusammenlebens und das religiöse zur letzten Sinndeutung des Lebens, miteinander in Einklang zu bringen“.[71] Unter Vorbehalt wird eingeräumt, daß „vielfach menschliche Unzulänglichkeiten in der Parteiführung und ein Mangel an Maß zu verhängnisvollen Überspitzungen“ geführt haben.[72] In diesem Kontext wird die Kriegsschuld, die ohnehin „von den Siegermächten propagandistisch entstellt“[73] war, auf einen Defensivkrieg gegen Provokationen Englands und Frankreichs umgedeutet.

Da Deutschland so von Kriegsschuld befreit und die Verbrechen des National­sozialismus als bedauerliche Auswüchse eines an sich guten Systems dargestellt wurden, ergab sich als Konsequenz die Kritik an den Alliierten, die Deutschland mit den Nürnberger Prozessen[74] und politischen Reformen ein „Super-Versailles“[75] bereitet hatten. Die demokratischen Reeducation-Bemühungen waren somit eine unnötige „Charakterwäsche“ und hatten eine „tiefgehende Verfremdung des Denkens und Fühlens zur Folge gehabt“[76].

Das Streben nach nationaler wirtschaftlicher Autarkie ist ein weiterer zentraler Punkt der NPD-Ideologie. Hierbei spielten nicht nur agrarromantische, sondern auch revisionistische Tendenzen eine Rolle. Langfristiges Ziel war die Erweiterung der Bundesrepublik bis zu einer der früheren Ausdehnungen des Dritten Reiches.[77] Dem voraus sollte eine wirtschaftliche und somit auch politische Autarkie gehen. Speziell bei dem in dieser Frage wichtigen Thema Landwirtschaft wurde gewarnt, daß ohne gesunde Landwirtschaft jedes Volk zum Spielball der Interessen und der Politik fremder Mächte würde.[78] Zusammen mit der agrarromantischen Vorstel­lung, die Landwirtschaft hätte eine „natürliche Vorrangstellung“ wird zu diesem Zweck sogar eine vorrangige Subventionierung der Landwirtschaft gefordert. Dies sei die Voraussetzung zur Entfaltung politischer Kraft, die das deutsche Volk zur Überwindung seiner wirtschaftlichen Notlage dringend braucht.[79]

Aber nicht nur in der Landwirtschaft sollte Deutschland seine Autarkiebestrebungen verstärken. Gerade die „Kapitalüberfremdung in der deutschen Volkswirtschaft“[80] durch amerikanische Investitionen schien in den Augen der NPD eine wirtschaftliche Eroberung Deutschlands einzuleiten. Den USA wird offen vorgeworfen, die „völlige Herrschaft über die Schlüsselindustrien in Europa“ gewinnen zu wollen und damit Deutschland für immer in wirtschaftlicher und politischer Abhängigkeit zu halten.[81]

Als letztes, tragendes Element der NPD-Ideologie hat sich auch der Anti­kommunismus der Partei erwiesen. Diese aus der NS-Zeit herrührende Einstellung hatte sich mit dem Fortschreiten des Kalten Krieges als wichtige Integrations­plattform erwiesen. Sie ermöglichte umfassende innen- und außenpolitische Kritik der Regierungspolitik. Auch wenn im Zuge des Kalten Krieges Antikommunismus in den 60er Jahren weit verbreitet war, so hat er doch bei der NPD eine groteske Komponente. Im Zuge einer extremen Ausweitung des Begriffs wurde der Anti­kommunismus vor allem ein innenpolitisches Kampfmittel gegen liberale, gewerkschaftliche und antiautoritäre Elemente.[82] DGB, SPD, APO aber auch Einzel­personen wurde zu wichtigen Schrittmachern des Kommunismus erklärt.[83] Gewerkschaften wurden als gefährlich charakterisiert, da sie die Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft gefährdeten, indem sie ihn für ihre Ideologie einspännen. Dem DGB wurde diesbezüglich vorgeworfen, er strebe nach „diktatorischer Alleinherrschaft“[84], der DAG die „Zersetzung der Arbeitsmoral“[85]. Gegen den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der die NPD beson­ders hart bekämpfte, forderte man ein Verbot und die Verfolgung der Rädels­führer.[86] Prominentestes Opfer war der Schriftsteller Günter Grass, dem unter dem Titel „Kultur-Maoisten“, von dem NPD Vorsitzenden v. Thadden, in den „Deutschen Nachrichten“ vorgeworfen wurde:

„Die literarischen Zerrbilder des SPD-Blechtrommlers schädigen die seelische Gesundheit unseres Volkes und schwächen seine Widerstandskräfte gegen die bolschewistische Infiltration.“[87]

Die Ideologie der NPD in den 60er Jahren ist in ihrer Gesamtheit schwer einzuordnen. Sie bestand im wesentlichen aus einer Anzahl von Aussagen zu kontroversen Themen der Zeit und dem Wiederaufgreifen von rechtsextremen Ideen der Weimarer und NS-Zeit. Kulturpessimismus, Rassismus, Nationalismus und Antikommunismus sollten als integrative Faktoren wirken und einer breiten Bevölkerungsschicht eine Identifikation mit der NPD ermöglichen. Doch nicht nur viele Angriffspunkte bei diesen Themen, sondern auch die Vorstellungen von einem völkischen Kollektivismus und idealisierten Führerstaat legten die Frage nahe, ob die Partei noch auf dem Boden des Grundgesetzes stand.

 

NPD – Verbot oder Tolerierung

Das Grundgesetz gibt dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, über die Verfassungswidrigkeit von Parteien zu entscheiden.[88] Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat haben das Recht, einen entsprechenden Antrag zu stellen. In der Bundesrepublik Deutschland wurden bislang zwei Parteien verboten: 1952 die Sozialistische Reichspartei und 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands. Ein wichtiges Kriterium für die Verbote war die Feststellung des Bundesverfassungs­gerichtes, beide Parteien hätten versucht, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu zerstören.

Mit dem Einzug der NPD in mehrere Landesparlamente hatte sich eine sensibilisierte Öffentlichkeit zunehmend mit der neuen Partei auseinandergesetzt. Die bürgerlichen Parteien, Gewerkschaften, Verbände, aber auch zahlreiche private Initiativen begannen verstärkt, die NPD zu bekämpfen. Seit 1967 versuchten führende SPD-Politiker sowie Gewerkschaften die Bundesregierung für einen NPD-Verbotsantrag zu gewinnen.[89] Aber auch das Ausland beobachtete mißtrauisch die Aktivitäten der NPD und die Reaktion der Regierung auf diese. Die ausländische Presse fürchtete ein Wiedererwachen des Nationalsozialismus und Bundeskanzler Kiesinger um seine Glaubwürdigkeit im Ausland.[90] Ungeachtet der relativ geringen Stimmenanteile der Partei wurden personelle, methodische und programmatische Parallelen zwischen NPD und NSDAP herausgestellt und die grundsätzliche Fähigkeit der Deutschen zur Demokratie bezweifelt.[91] Im Frühjahr 1968 wurde publik, daß Innenminister Benda Belastungsmaterial für einen Verbotsantrag sammeln ließ. Im September erfolgte die Ankündigung, die Bundesregierung werde nun über einen Antrag entscheiden. Es folgten heftige Diskussionen, bei denen die SPD den Verbotsantrag unterstützte, die CDU/CSU jedoch eine politische Auseinandersetzung mit der NPD favorisierte.[92] Das von Benda in Auftrag gegebene Rechtsgutachten nannte vier zentrale Punkte, die ein Verbot rechtfertigen würden: Die NPD stünde dem Gedanken der Völker­verständigung fern; sie räumte Staatsrechten und staatlicher Machtausübung absoluten Vorrang vor Bürgerrechten ein; sie propagiere eine Ausstattung des Bundespräsidenten mit nahezu diktatorischen Vollmachten; in der Partei seien rassistische Gedanken im Umlauf.[93]

Der langwierige Streit in der Regierung um den Antrag brachte jedoch erste Aus­wirkungen für die NPD. Parteiaustritte häuften sich und schließlich folgten auch erste Forderungen nach einem Verbotsantrag aus den Reihen der NPD, um die Lage endlich zu klären.

Die Bundesregierung verzichtete schließlich auf einen Verbotsantrag aus mehreren politischen Erwägungen. Das Bundesverfassungsgericht hätte ohnehin nicht mehr vor den Bundestagswahlen 1969 über den Verbotsantrag entscheiden können. Weiterhin war das von Innenminister Benda gesammelte Belastungsmaterial nicht so stichhaltig, daß ein Verbot garantiert schien. Es blieb somit die Gefahr, daß die NPD aus dem Verfahren gestärkt und mit großem Zulauf heraus­gekommen wäre. Das Problem einer zunehmend stärker werdenden rechts­extremistischen Partei sollte sich jedoch bald von selbst erledigen.

 

Abstieg und Auflösungserscheinungen der NPD

Bei der Bundestagswahl 1969 erlitt die Partei eine erschütternde Niederlage. Das große Ziel des Einzuges in den Bundestag, das nach den vorausgegangenen Wahlerfolgen nicht nur von der NPD erwartet wurde, scheiterte an einem Stimmenanteil von nur 4,3%.[94] Der immense Werbeaufwand hatte sich nicht ausgezahlt und Parteischulden von 1,8 Millionen DM verursacht.[95] Es hatte sich gezeigt, daß das Wählerpotential der NPD überwiegend aus Protestwählern bestanden hatte. Eine fünfwöchige Deutschlandfahrt Thaddens, die von einer beispiellosen Tumultdichte begleitet war, hatte das national-konservative Image der NPD weitgehend zerstört.[96] Wo immer der Vorsitzende auftrat, war es zu schweren Zusammenstößen zwischen linksgerichteten Demonstranten und dem für sein gewalttätiges Vorgehen berüchtigten NPD-Ordnerdienst gekommen. Die monatelange Verbotsdiskussion hatte ebenso Wirkung gezeigt, wie die Anti-NPD-Kampagnen in Gewerkschaften und Medien. Zuletzt hatte der Bundestags­präsident v. Hassel in seiner Ansprache am Vorabend der Wahl ausdrücklich vor der NPD gewarnt.[97]

Mit dem seit 1968 einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung, aber auch mit der Bildung der sozialliberalen Koalition 1969, entfielen wichtige wirtschaftliche und politische Voraussetzungen für die Gewinnung von Protestwählern. Diese konnten ihre politische Heimat wieder bei CDU/CSU finden, die nach einem Rechtsruck die Ostpolitik und innenpolitischen Reformpläne der SPD/FDP Regierung offen bekämpfte. Damit hatte sich auch die Verbotsdiskussion erübrigt, da der Zenit des NPD-Erfolges offensichtlich überschritten war.

Das auf dem 4. Parteitag (14./15. Februar 1970) verabschiedete „Wertheimer Manifest“, in dem sich die Partei zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannte und sowohl Kriegsverbrechen als auch den Krieg als Mittel der Politik ablehnte, war keine Hilfe, sich gegenüber den Unionsparteien zu profilieren.[98] Obwohl sich die NPD darin von vielen ideologischen Dogmen trennte, sank die Mitgliederzahl, die 1969 mit 28000 ihren Höhepunkt erreicht hatte, im folgenden Jahr um 7000.[99]

Alle Pläne in den folgenden Jahren, sich als konservativ orientierte Kraft im Kampf gegen die Politik der Bundesregierung zu konsolidieren, scheiterten. Innerparteiliche Strömungen, die z.T. für bewaffneten Aktionismus plädierten, erstarkten und führten zu fortdauernden Konflikten mit dem Parteivorstand. Aufgrund fortlaufender Austritte, Richtungskämpfen und Zersplitterungstendenzen trat der Vorsitzende Adolf von Thadden auf dem Parteitag von Holzminden im November 1971 zurück.[100] Obwohl ein Konsens gefunden wurde, den bisherigen Parteikurs fortzusetzen, verließen die Gegner des neuen Vorsitzenden Martin Mußgnug die Partei und schlossen sich mehrheitlich der im Jahr darauf gegründeten Aktion Neue Rechte (ANR) an. Die Zahl der Mitglieder sank nochmals von 18300 (1971) auf 14500 (1972).[101]

1970/71 tauchten im Umkreis der NPD erste bewaffnete Aktionsgruppen auf, deren Mitglieder überwiegend mit dem Kurs der Partei nicht einverstanden waren. Insbesondere Mitglieder des berüchtigten „NPD-Ordnerdienstes“ fanden hier eine neue Heimat. Diese bewaffnete Ordnungstruppe hatte nach einer Vielzahl von gewalttätigen Ausschreitungen aufgelöst werden müssen, als der Bundesbeauftragte für den Ordnerdienst, Klaus Kolley, im Zuge des Bundeswahlkampfes 1969 zwei Demonstranten angeschossen hatte.[102]

Die vorgezogene Bundestagswahl von 1972, in der die NPD nur 0,5%[103] erhielt, verschärfte die Dissoziationsprozesse der Partei. Die große politische Polarisierung im Wahlkampf entzog der NPD ihre soziale Basis. Das 1970 festgelegte Konzept einer bürgerlich konservativen Alternative hatte nicht ausreichend Möglichkeit zur Abgrenzung gegen CDU/CSU geboten. Versuche von NPD-Suborganisationen, sich mit umweltpolitischen und rechtsextremen Aussagen zu profilieren, scheiterten ebenfalls. Der weitere Abstieg der Partei in die Bedeutungslosigkeit war vorgezeichnet. Die 14500 Mitglieder der Partei halbierten sich bis 1980 nochmals.[104]

Um aus der politischen Bedeutungslosigkeit auszubrechen, gingen die Nationaldemokraten 1987 ein Bündnis mit der Deutschen Volksunion (DVU) ein. Es wurde eine neue, von der NPD unterstützte Rechtspartei mit dem Namen DVU – Liste D gegründet. Obwohl sich rasch Erfolge zeigten, wie z.B. das Erreichen von fünf Prozent bei der Bremer Bürgerschaftswahl am 13.9.1987, scheiterte das Bündnis der Parteien, als 1990 die von Gerhard Frey zugesagte finanzielle Unterstützung der NPD entfiel.[105]

Seit Anfang 1991 kam es jedoch wieder zu einer Annäherung der beiden rechten Parteien. Bei der Bremer Bürgerschaftswahl am 29. September 1990 unterstützte die NPD wieder die DVU und gewann über die gemeinsame Liste zwei Bürgerschaftssitze. Nach diesem Erfolg wurden auch Absprachen für die Landtagswahl im Frühjahr 1992 getroffen. Es wurde vereinbart, daß die DVU in Schleswig-Holstein und die NPD in Baden-Württemberg jeweils mit der Unterstützung des nicht kandidierenden Bündnispartners antreten solle. Das Ergebnis dieses Abkommen entsprach jedoch nur zum Teil den Erwartungen. Während die DVU im Norden Deutschlands mit 6,6% ins Landesparlament einzog, scheiterte die NPD im Süden kläglich mit 0,9%.[106]

Bei der Kommunalwahl am 7.3.1993 in Hessen geriet die NPD in den positiven Sog der Republikaner und konnte sich gegenüber 1989 in den kreisfreien Städten und kreisangehörigen Gemeinden um 11 auf 35 Sitze verbessern.[107] Dennoch war dies kein Auftakt zu einer Renaissance der NPD. Die partiellen Wahlerfolge lagen vielmehr darin begründet, daß zum einen der allgemeine Trend für die nationale Rechte günstig stand und zum andern NPD und Republikaner nie gegeneinander kandidierten.

 


Schlußbetrachtung

Nachdem die Sozialistische Reichspartei (SRP) durch das Bundesverfassungsgericht 1952 verboten worden war, dauerte es zwölf Jahre, bis in der Bundesrepublik eine neue Sammlungsbewegung konservativer und nationaler Kräfte entstand und beachtliche Wahlerfolge bei Landtags- und Kommunalwahlen erzielte. Organisiert war sie in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDP).

Die NPD war ursprünglich der Zusammenschluß mehrerer rechter und rechtsradikaler Parteien und knüpfte somit an ähnliche Fusionsversuche während der 50er und frühen 60er Jahre an. Die Sammlungspartei sollte die zahlreichen kleinen Gruppierungen vor einem endgültigen Scheitern bewahren. Der Aufbau erfolgte weitgehend durch die DRP. Mit den ersten Wahlerfolgen überwand die Partei jedoch den Status eines Wahlbündnisses und wurde zunehmend zu einer geschlossenen Partei.

Dieses Konzept war von der Gründung der Partei bis zur Bundestagswahl 1969 durchaus erfolgreich. Die Partei konnte auf die organisatorischen Strukturen der DRP zurückgreifen, und der Verzicht auf politisch-programmatische Konturen ermöglichte die größtmögliche Integrationsfähigkeit am rechten Rand des politischen Spektrums. Doch nicht nur nationalistische und antibolschewistische Parolen ebneten der Partei den Weg zu ihren Wahlerfolgen. Die Wirtschaftskrise mit ihren Folgen für den Mittelstand und die Arbeit sowie die Große Koalition zwischen Unionsparteien und Sozialdemokratie bildeten die Voraussetzungen für ein großes Reservoir an Protestwählern.

Trotz all dieser Fakten war die NPD in den 60er Jahren keine legal operierende Nachfolgepartei der NSDAP. Parteistruktur und -ideologie wiesen gegen Ende der 60er Jahre mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten auf. Dennoch war die NPD nicht irgendeine Partei rechts von der Union. Gegen Ende der 60er Jahre richtete sich die Kritik zahlloser Parteien, Gewerkschaften, Verbände und privater Initiativen gegen die Partei, die in einem stark von Polemik bestimmten Klima als wiedererstanden Geist der NSDAP gefürchtet wurde. Das Spektrum der Auseinandersetzung reichte von sachlicher Aufklärung, über gewalttätige Protestaktionen bis zur öffentlich geführten Diskussion über ein Verbot der Partei.

Eine Parteiideologie gab es weder in systematischer, noch konsolidierter Form. Sie bestand weitgehend aus Reflexen auf die Ressentiments der in Aussicht genommenen Bezugsgruppen.[108] Ziel war es, die heimatlose Rechte, NS-Mitläufer, Vertriebene, Soldaten, mittelständische Selbständige, Bauern und Facharbeiter zu mobilisieren. Verbindendes Element waren emotionale Aussagen zu Reizworten wie Kriegsschuld, Ordnung etc. sowie zu atmosphärischen Begriffen wie Einheit, Stärke, Treue etc.[109] Diese diffuse Art des Protestes machte es möglich, daß die verschiedensten Gruppen sich mit der NPD identifizierten, ohne daß ihre widersprüchlichen Interessen verletzt wurden.[110] Allenfalls der „Völkische Kollektivismus“ als Alternative zu Liberalismus und Marxismus kann als Ansatz einer geschlossenen Ideologie gesehen werden. Jedoch spielte dieser Punkt für die Wahlerfolge der Partei nur eine untergeordnete Rolle.

Obwohl nie rechtsverbindlich geklärt wurde, ob die Partei mit ihrer Ideologie den Boden des Grundgesetzes verließ, lassen sich bei näherer Betrachtung von Parteireden, den „Deutschen Nachrichten“ und dem „Politischen Lexikon“ dennoch einige Grundsätze erkennen, deren verfassungsfeindliche Tendenzen offensichtlich erscheinen. Zum einen war dies die Veränderung des sozialen Bewußtseins in Richtung einer Volkseinheit, die, von autoritären Verhaltensnormen geleitet, nur am kollektiven Nutzen der Nation ausgerichtet ist. Von dieser deutschen Volkseinheit ausgehend bestanden starke ausländerfeindliche und antisemitische Tendenzen, die in einem tiefen Mißtrauen insbesondere gegenüber afrikanischen Völkern gipfelten. Zum anderen herrschte ein ausgeprägter Antikommunismus vor, der, extrem erweitert, zum Kampf gegen jegliche liberale und pluralistische Elemente eingesetzt wurde. Zuletzt wird die Ausdehnung der Bundesrepublik auf die Vorkriegsgrenzen gefordert, um die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche, politische, völkische und militärische Autarkie zu gewinnen.[111]

Es ist nicht anzunehmen, daß diese Ideologieelemente in ihrer Gesamtheit allen Mitgliedern, geschweige denn der gesamten Wählerschaft bekannt waren. Im Zuge der politischen Arbeit wurden diese Elemente, die sich darüber hinaus in vielen Punkten logisch widersprachen, einzeln und der jeweiligen Situation angemessen, vorgetragen. Es waren überwiegend konservativ orientierte Protestwähler, welche der NPD ihre Wahlerfolge ermöglichten. Dies zeigte sich schließlich mit der Bundestagswahl 1969.

Die Bedingungen des Erfolges schwanden mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem Ende der Großen Koalition. Die oppositionellen Unionsparteien nahmen jetzt viele politische Standpunkte der NPD für sich in Anspruch. Die NPD wurde nach heftigen Krisen zu einer rechten Splitterpartei, die trotz ihrer Bedeutungslosigkeit noch heute existiert.

Es läßt sich jedoch abschließend sagen, daß die starken Reaktionen der Öffentlichkeit Teil eines demokratischen Prozesses und damit durchaus gerechtfertigt waren. Die NPD hatte mit ihren großen Erfolgen Ende der 60er Jahre in der deutschen Öffentlichkeit eine Rückbesinnung auf die Grundwerte einer freiheitlichen Demokratie entfacht. Gerade die zahllosen Versuche politischer und pädagogischer Auseinandersetzung, nicht nur durch Parteien und Verbände, sondern auch durch private Initiativen, zeigte, daß die Gesellschaft Abwehrkräfte besitzt, um solchen Gefahren zu begegnen.[112]

Autor: Stefan Mannes

 


Literatur

Backes, Uwe: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1993.

Behrend, Katharina: NPD – REP. Die Rolle nationalistischer Bewegungen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel von NPD und Republikaner im historischen Vergleich, Regensburg 1996.

Dorn, Wolfram: NPD – Neuer Anfang eines furchtbaren Endes?, Köln 1969.

Dudek, Peter / Jaschke, Hans-Gerd: Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Bd. 1, Opladen 1984.

Eichler, Willi: Einheit und Freiheit im Programm der NPD, in: APuZ, B15/69: 3-13.

Elchlepp, Dietrich / Heiner, Hans-Joachim: Zur Auseinandersetzung mit der NPD, München 1969.

Fascher, Eckhard: Modernisierter Rechtsextremismus ? Ein Vergleich der Parteigründungsprozesse der NPD und der Republikaner in den sechziger und achziger Jahren, Berlin 1994.

Fromm, Rainer: Am rechten Rand: Lexikon des Rechtsradikalismus, Marburg 1994.

Kevenhörster, Paul: Zur Ideolgie der NPD. Eine Auswertung des „Politischen Lexikons“, in: Gebauer, Bernhard: Analysen und Dokumente zur Auseinandersetzung mit der NPD, Eichholz 1969.

Kühnl, Reihnhard / Ahrweiler, G. / Maessen, M. u.a.: Die NPD. Struktur, Programm und Ideologie einer neofaschistischen Partei, Berlin 1967.

Laue, Sabine: Die NPD unter dem Viermächtestatus Berlins – Verhandlungsmasse zwischen den Großmächten, Egelsbach 1993.

Niethammer, Lutz: Angepaßter Faschismus. Politische Praxis der NPD, Frankfurt/Main 1969.

 

Anmerkungen

[1] Die 1949 als DRP-Abspaltung gegründete Sozialistische Reichspartei betrieb offen die parteiförmige Rekonstruktion der NSDAP und wurde deshalb 1952 verboten. Vgl. Detlev Peukert / Frank Bajohr: Rechtsradikalismus in Deutschland. Zwei historische Beiträge, Hamburg 1990: 40.

[2] Vgl. Horst Schmollinger: Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, in: Stöss, Richard (Hrsg.): Parteien Handbuch der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Opladen 1984: 1923.

[3] Vgl. Manfred Rowold: Im Schatten der Macht. Nicht-etablierte Kleinparteien, in: Alf Mintzel / Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1990: 319.

[4] Vgl. Schmollinger in Handbuch : 1925.

[5] Vgl. Reihnhard Kühnl / G. Ahrweiler / M. Maessen u.a.: Die NPD. Struktur, Programm und Ideologie einer neofaschistischen Partei, Berlin 1967: 24.

[6] Vgl. Kühnl: 25.

[7] Vgl. ebd.: 28.

[8] Vgl. ebd.: 29.

[9] Vgl. Uwe Backes: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1993: 80.

[10] Vgl. Gerhard Ritter, Merith Niehuss: Wahlen in Deutschland 1946-1991, München 1991: 160.

[11] Vgl. Backes: 80.

[12] Vgl. ebd.: 81.

[13] Vgl. Peter Dudek, Hans-Gerd Jaschke: Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Bd. 1, Opladen 1984: 286.

[14] Im Zuge der Landtagswahlkämpfe 1967 hatte die NPD 8,3 Millionen Wahlzeitungen und 4 Millionen Flugblätter verteilt. Vgl. Bundesministerium des Inneren: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik im Jahre 1967, in: APuZ, B15/68: 21.

[15] Vgl. Ritter: 164.

[16] Vgl. ebd.: 162.

[17] Vgl. ebd.: 170.

[18] Vgl. ebd.: 158.

[19] Vgl. Ritter: 172.

[20] Vgl. Eckhard Fascher: Modernisierter Rechtsextremismus? Ein Vergleich der Parteigründungsprozesse der NPD und der Republikaner in den sechziger und achziger Jahren, Berlin 1994: 50.

[21] Vgl. Schmollinger: 1981.

[22] Vgl. Lutz Niethammer: Angepaßter Faschismus. Politische Praxis der NPD, Frankfurt/Main 1969: 23.

[23] Vgl. Rechtsextremismus in der Bundesrepublik im Jahre 1967: 24.

[24] Vgl. Schmollinger: 1981.

[25] Vgl. Niethammer: 236.

[26] Vgl. Schmollinger: 1982.

[27] Vgl. Niethammer: 249.

[28] Vgl. Rechtsextremismus in der Bundesrepublik im Jahre 1967:12.

[29] Vgl. Schmollinger: 1984.

[30] Vgl. Niethammer: 266.

[31] Vgl. Kühnl: 89.

[32] Vgl. Dietrich Elchlepp, Hans-Joachim Heiner: Zur Auseinandersetzung mit der NPD, München 1969: 89.

[33] Vgl. Rainer Kunz, Herbert Maier, Theo Stammen: Programme der politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, dritte überarbeitete Auflage, München 1979: 464-472.

[34] Vgl. Kunz: 464-472.

[35] Vgl. Fascher: 153.

[36] Vgl. ebd.

[37] Vgl. Niethammer: 258.

[38] Vgl. Dudek: 300.

[39] Vgl. Sabine Laue: Die NPD unter dem Viermächtestatus Berlins – Verhandlungsmasse zwischen den Großmächten, Egelsbach 1993: 25.

[40] Zitiert bei: Willi Eichler: Einheit und Freiheit im Programm der NPD, in: APuZ, B15/69: 13.

[41] Vgl. Dudek: 305.

[42] Vgl. Paul Kevenhörster: Zur Ideologie der NPD. Eine Auswertung des „Politischen Lexikons“, in: Gebauer, Bernhard: Analysen und Dokumente zur Auseinandersetzung mit der NPD, Eichholz 1969: 7.

[43] Vgl. Schmollinger: 1987.

[44] Vgl. Kevenhörster: 7.

[45] Vgl. DN – Verlagsgesellschaft: Politisches Lexikon, Hannover 1966, Stichwort „Demokratie“.

[46] Vgl. Ernst Anrichs Grundsatzreferat „Mensch – Volk – Staat – Demokratie“ auf dem Karlsruher Parteitag von 1966, Auszüge, in: Kühnl: 241.

[47] Vgl. ebd.: 242-243.

[48] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Humanismus“.

[49] Vgl. ebd., Stichwort „Revolution“.

[50] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Mehrheitsprinzip“ und „Pluralismus“.

[51] Vgl. Ernst Anrichs Grundsatzreferat „Mensch – Volk – Staat – Demokratie“ auf dem Karlsruher Parteitag von 1966, zitiert bei Schmidt:14.

[52] Vgl. Vgl. Ernst Anrichs Grundsatzreferat „Mensch – Volk – Staat – Demokratie“ auf dem Karlsruher Parteitag von 1966, zitiert bei Schmidt: 14.

[53] Vgl. Fascher: 152.

[54] DN, 16, 5, 67. Zitiert in: Hansjörg Mauch: Zur Ideologie der NPD – dargestellt an Hand einer quantitativen systematischen Inhaltsanalyse der Deutschen Nachrichten, in: Wildemann, Rudolf (Hrsg.): Sozialwissenschaftliches Jahrbuch für Politik, Bd. 2, München 1971: 611-612.

[55] Zitiert in: Giselher Schmidt: Ideologie und Propaganda der NPD, in: APuZ, B7/68: 10. Anrich hatte ein in weiten Teilen identisches Referat unter dem Titel „Volk und Staat als Grundlage des Reiches“ bei der Reichsgründungsfeier in der Bonner Universität am 18.1.1934 gehalten.

[56] Zitiert in: Schmidt: 11.

[57] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Volk“.

[58] Vgl. ebd., Stichwort „Rassenpolitik“.

[59] Vgl. ebd., Stichwort „Bevölkerungspolitik“.

[60] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Großbritannien“.

[61] Vgl. ebd., Stichwort „Frankreich“.

[62] Vgl. ebd., Stichwort „Entwicklungshilfe“.

[63] Vgl. Schmidt: 6.

[64] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Judentum“.

[65] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Antisemitismus“.

[66] Vgl. ebd., Stichwort „Endlösung der Judenfrage“.

[67] Vgl. ebd., Stichwort „Judentum“.

[68] Vgl. ebd., Stichwort „Antisemitismus“.

[69] Vgl. ebd., Stichwort „Endlösung der Judenfrage“.

[70] Vgl. ebd., Stichwort „Genocidium“.

[71] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Nationalsozialismus“.

[72] Vgl. ebd., Stichwort „Nationalsozialismus“.

[73] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Kriegsschuld“.

[74] Die Nürnberger Prozesse werden in einem Atemzug mit den Prozessen vor dem Volksgerichtshof als Prototypen von Schauprozessen bezeichnet. Vgl. Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Schauprozesse“.

[75] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Völkerverständigung“.

[76] Vgl. ebd., Stichwort „Konzentrationslager“.

[77] Vgl. Niethammer: 270.

[78] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Landwirtschaft“.

[79] Vgl. Bauern klagen an! Entschließung des 1. NPD-Agrarkongresses zur Lage der deutschen Landwirtschaft, DN vom 4.11.1966, Quellenabdruck in: Karl-Joachim Kierey: Die „Deutschen Nachrichten“ (DN) – Kurzanalyse, in: Gebauer, Bernhard: Analysen und Dokumente zur Auseinandersetzung mit der NPD, Eichholz 1969: 49.

[80] Vgl. Politisches Lexikon, Stichwort „Volkswirtschaft“.

[81] Vgl. Amerikas trojanische Pferde. Der Dollarimperialismus unterwandert Europas Wirtschaft, DN vom 24.11.1967, Quellenabdruck in: Kierey: 35.

[82] Vgl. Niethammer: 270.

[83] Vgl. ebd.: 248.

[84] Vgl. Der DGB strebt jetzt nach diktatorischer Alleinherrschaft, DN vom 1.12.1967, Quellenabdruck in: Kierey: 52.

[85] Vgl. DAG zersetzt die Arbeitsmoral. Arbeitszeitverlängerung durch Zuspätkommen, DN vom 15.11.1968, Quellenabdruck in: Kierey: 53-54.

[86] Vgl. Fascher: 152.

[87] Vgl. Kultur-Maoisten, DN vom 1.3.1968, Quellenabdruck in: Kierey: 55.

[88] Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 21 Abs. 2., Bonn 1996.

[89] Vgl. Laue: 31.

[90] Vgl. Kühnl: 200ff. Der Autor zitiert mehrere ausländische Tageszeitungen aus westlichen und östlichen Staaten.

[91] Vgl. Hans Bachem: Radikale Parteien im demokratischen System. Bedingungen für Erfolg oder Mißerfolg, in: APuZ, B49/67: 3.

[92] Vgl. Wolfram Dorn: NPD – Neuer Anfang eines furchtbaren Endes?, Köln 1969: 81

[93] Vgl. Dorn.: 80.

[94] Vgl. Ritter: 114.

[95] Vgl. Katharina Behrend: NPD – REP. Die Rolle nationalistischer Bewegungen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel von NPD und Republikaner im historischen Vergleich, Regensburg 1996: 97.

[96] Vgl. ebd.: 95.

[97] Vgl. Behrend: 97.

[98] Vgl. Dudek, Bd. 2, Dokumente: 100-101.

[99] Vgl. Backes: 81.

[100] Vgl. Schmollinger: 1928.

[101] Vgl. Backes: 81.

[102] Vgl. Schmollinger: 1937.

[103] Vgl. Ritter: 113.

[104] Vgl. Backes: 81.

[105] Vgl. Rainer Fromm: Am rechten Rand: Lexikon des Rechtsradikalismus, Marburg 1994: 124.

[106] Vgl. Fromm: 124.

[107] Vgl. Behrend: 98.

[108] Vgl. Niethammer: 262.

[109] Vgl. ebd.: 262-263.

[110] Vgl. Mauch: 626.

[111] Vgl. Niethammer: 270.

[112] Vgl. Rechtsextremismus in der Bundesrepublik im Jahre 1967: 39.

Stichworte: Rechtsextremismus, Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)

Stille Hilfe – Eine „Hilfsorganisation“ für NS-Mörder

Die „Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte“ wurde 1951 von Helene Elisabeth Prinzessin von Isenburg gegründet. Es handelt sich um eine Organisation, die vor allem in der Unterstützung von NS-Mördern engagierte, leider erst jedoch sehr spät der Öffentlichkeit und nur rudimentär bekannt wurde. Das Erschreckende an der Hilfsorganisation war jedoch neben ihrer nicht nachzuvollziehenden Intention auch der Umstand, welche Personen sich in oder für diese Organisation engagierten. Zumindest bis 2011 war die Organisation immer noch sehr aktiv. Wie aktiv diese Organisation bis in unsere Gegenwart war/ist, zeigte sich unter anderem im Fall Anton Malloth.

 

DER FALL ANTON MALLOTH – DIE STILLE HILFE WIRD DER ÖFFENTLICHKEIT BEKANNT

Anton Malloth (geboren 1912) war von 1940 bis 1945 Aufseher im GeStaPo – Gefängnis Theresienstadt. Im September 1948 wurde er von einem tschechoslowakischen Gericht in Litoměřice zu Tode verurteilt, nachdem durch Zeugenaussagen bewiesen wurde, dass er nahezu 100 Menschen zu Tode geprügelt hat. Von 1948 bis 1988 lebte er in Meran / Italien, wobei ihm interessanter Weise vom deutschen Konsulat in Mailand trotz mehrere Auslieferungsgesuche deutscher und österreichischer Behörden der deutsche Pass verlängert wurde. 1988 besorgte ihm dann Gudrun Burwitz, eine Tochter Heinrich Himmlers im Auftrag der oben genannten Organisation „Stille Hilfe“ ein Zimmer in einem Pullacher Seniorenheim gehobenen Niveaus. Erst am 15. Dezember 2000 wurde Malloth [dann im Alter von 88 Jahren und 52 Jahre nach dem Urteil des tschechoslowakischen Gerichtes in Litoměřice] von der Staatsanwaltschaft München angeklagt und am 30. Mai 2001 vom Landgericht München I wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Allein schon an diesem Fall kann ersehen werden, um welche Art von Organisation es sich bei der „Stillen Hilfe“ handelt. Kehren wir aber nun zu den Anfängen der Stillen Hilfe zurück:

 

DIE GRÜNDERIN UND DER „ERFOLG“ DES JAHRES 1951 :

Die Organisation wurde 1951 von Helene Elisabeth Prinzessin von Isenberg (6.4.1900 – 24.1.1974) gegründet. Vergegenwärtigen wir uns erst einmal, um welche Person es sich hier handelt:

Prinzessin von Isenburg wuchs in einer stark katholisch sozialisierten Familie auf. Am 30.04. 1930 heiratete sie Wilhelm Prinz von Isenburg und Büdingen (1903–1956), welcher 1937 Professor für Sippen- und Familienforschung wurde und die Rassenideologie des Nationalsozialismus vertrat (Interessanter Weise wurde er 1946 seines Amtes enthoben, aber im Folgejahr wieder in sein Amt wieder eingesetzt). Prinzessin von Isenburg selbst wurde von der NSDAP als „politisch zuverlässig“ eingestuft.

Bekannt wurde sie als „Mutter der Landsberger“. Was hatte es aber mit dem Begriff „Landsberger“ auf sich? 1947 richtete die US-Militärverwaltung in Landsberg das Kriegsverbrechergefängnis Landsberg ein. Die Stadt Landsberg wurde unter anderem deshalb ausgewählt, weil 1923 Adolf Hitler dort knapp 9 Monate Festungshaft verbüßte und auch die Nazi-Größen Rudolf Heß, Julius Streicher sowie Gregor Strasser dort inhaftiert waren. Fast alle in den Nürnberger Nachfolgeprozessen angeklagten und verurteilten Beschuldigten saßen im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg ein, wobei dort bis 1951 288 Todesurteile vollstreckt wurden.

Mit Schriftsatz vom 4. November 1950 wandte sich Prinzessin von Isenburg wie folgt an Papst Pius XII: „Ich kenne jeden, um den es geht. Niemand kann mehr von Schuld und Verbrechen reden, der in ihre Seelen geschaut hat… Es bittet Dich, heiliger Vater, ganz im Vertrauen, die Mutter der Landsberger.“ Am 10. November 1950 versprach der ohnehin sehr umstrittene Papst Pius XII. Prinzessin von Isenburg, „dass von Rom aus alles getan wird, um den Landsbergern das Leben zu retten.“

 Prinzessin von Isenburg war dann wohl Mitinitiatorin der Aktion „Weihnachten in Landsberg“ des Jahres 1950, mit der versucht wurde, Druck auf den amerikanischen Hohen Kommissar John McCloy mittels Protestbriefen auszuüben.

Fakt ist, dass John McCloy am 31.01.1951 seine endgültige Entscheidung über die Gnadengesuche von 89 deutschen Kriegsverbrechern bekannt gab, die in Landsberg verweilten. Fünf der insgesamt fünfzehn Todesurteile wurden bestätigt, von denen die meisten gegen Mitglieder der Einsatzgruppen wegen Tötung tausender Juden in Osteuropa verhängt worden waren. Auch fünf weiteren Wehrmachtsoffizieren, die der Erschießung von Geiseln und Kriegsgefangenen in der damaligen Sowjetunion und auf dem Balkan angeklagt worden waren, wurden nicht begnadigt. In weiteren 79 Fällen änderte John McCloy seine Meinung. Aufgrund der Anrechnung von Untersuchungshaft und guter Führung führten die Urteilsminderungen zur sofortigen Entlassung von über 30 Gefangenen, darunter auch die sofortige Freilassung des Industriellen Alfred Krupp, dem sogar das enorme Industrievermögen zurückgegeben wurde.

In gewisser Form muss jedoch als Entlastung für Prinzessin von Isenburg geltend gemacht werden, dass es auch viele andere gab, welche sich zu dieser Zeit für die Landsberger einsetzten:

 

PROMINENTE KIRCHLICHE UNTERSÜTZER FÜR DIE „LANDSBERGER“

Prominente Unterstützer der katholischen Kirche:

Kardinal Jochen Frings [1887 – 1978]   

von 1942 bis 1969 Erzbischof von Köln sowie von 1945 bis 1965 Vorsitzender der Bischofskonferenz

Kardinal Frings, welcher ein Freund von Bundeskanzler Adenauer war und darüber hinaus auch Vorsitzender der einflussreichen Fuldaer Bischofkonferenz war, setzte sich vehement für eine Umwandlung der Todesstrafen in Haftstrafen ein, weil viele Taten der Angeklagten „nicht aus einer kriminellen Disposition heraus geschehen seien“. Gegenüber General Handy machte Kardinal Frings für eine Überprüfung der Urteile „die durch die Kriegsverhältnisse, unter welchen die Taten stattgefunden hat, bedingte Schwierigkeit der Urteilsfindung“ geltend.

Weihbischof Johannes Neuhäusler [1888 – 1973]   

ab 1947 Weihbischof im Erzbistum München und Freising

Der Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler erklärte in diversen Briefen an amerikanische Kongressabgeordnete, dass sich das Gericht Berufszeugen bedient habe, die gegen die Angeklagten (von Landsberg) ausgesagt hätten, um dafür als Gegenleistung von den Amerikanern gut behandelt zu werden. Auch verwies Neuhäusler darauf, dass man bei der Erlangung von Geständnissen Zwang angewandt habe und dass es nicht rechtsstaatlich sei, dass den Kriegsverbrechern nicht die Möglichkeit von Rechtsinstanzen durch Berufungsgerichte ermöglicht wurde. Am 20.01.1951 teilte Neuhäusler im Übrigen McCloy folgendes mit: „Da die Bundesrepublik Deutschland dazu aufgerufen ist, sich zusammen mit den anderen westlichen Mächten zu einem starken Verteidigungsblock gegen den Bolschewismus im Osten zu formieren, sollten die Vereinigten Staaten Gnade gegenüber den Landesberger Häftlingen walten lassen und alle verbliebenen Todesurteile in Haftstrafen umzuwandeln.“ Es stellt sich die Frage, ob solche Worte wirklich von einem Geistlichen kommen.

Prominente Unterstützer der evangelischen Kirche:

Landesbischof Hans Meiser [1881 – 1956]

von 1933 (durchgängig) bis 1955 erster Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern,

negativ bekannt geworden durch folgenden 1926 (!) erschienen Schriftsatz, aus dem wie folgt zitiert wird: „Die kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen, die wir den Juden zu verdanken haben, sollen voll anerkannt werden … Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass der jüdische Geist für uns etwas Wesensfremdes hat und dass sein Umsichgreifen zum allergrößten Schaden für unser Volk wäre. Es ist oft betont worden, dass der jüdische Verstand etwas Zerfressendes, Ätzendes, Auflösendes an sich hat. Er ist kritisch zersetzend, nicht kontemplativ, konstruierend, produktiv. Das ist von jüdischer Seite selbst anerkannt, wenn der Jude Abraham Geiger im Hinblick auf Börne und Heine schreibt: ‚Es ist jüdischer Geist, der in ihnen lebendig ist, der sprudelnde, zersetzende, witzige, weniger positiv aufbauende, aber Ferment hineinbringende in den stockphiliströsen, zähen, trockenen, deutschen Geist‘.“

Landesbischof Theophil Wurm [1868 – 1953]

von 1926 bis 1948 Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg, von 1945 – 1949 (erster) Ratsvorsitzender der EKD,

negativ bekannt geworden dadurch, dass er im März 1938 die Gemeinden in Württemberg anwies, mit einem einstündigen Glockenläuten den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich als „göttliche Fügung zu begrüßen“ sowie negativ bekannt als Mitglied im Gründungsvorstand der oben genannten Stillen Hilfe.

In einer durch Wurm und Meiser geprägten Denkschrift der EKD von 1949 wurde sich gegen „das Handicap der Verteidigung gegenüber der Anklagebehörde, die Beeinflussung von Zeugen, die Anwendung eines neuen Rechts, das nicht allgemein verbindlich ist, die willkürliche Auswahl der Angeklagten, die Aburteilung von Soldaten durch ein Gericht, das in Wahrheit kein Militärgericht ist“ gewandt und man erbat die Nachprüfung der Urteile durch eine Berufungsinstanz. Die Denkschrift schloss mit den Worten, „dass höchster Ausdruck der Gerechtigkeit nicht Urteil und Vollstreckung der Strafe sein muss.“ Als Diener Christi bat man (, d.h. die EKD) darum, in geeigneten Fällen Gnade walten zu lassen.

Sehr bedenklich stimmen auch die Äußerungen des ersten EKD Ratsvorsitzenden Wurm nach McCloys Urteilsumwandlungen für die Landesberger: „Die Nachrichten über die Kriegsführung in Korea lassen vielfach die Frage auftauchen, ob nicht die ersten Urteile gegen die Generale auf unzulänglicher Kenntnis der heutigen Partisanenkriegsführung beruht haben und ob deshalb nicht eine stärkere Reduktion der Strafen hätte eintreten sollen.“

 

(WEITERE) VORSTANDSMITGLIEDER DER ERSTEN HILFE ZU GRÜNDUNGSZEITEN:

Schauen wir uns nun einmal an, mit welchen Personen Prinzessin von Isenberg und der erste EKD Ratsvorsitzende Wurm im Vorstand der ersten Hilfe saßen:

Heinrich Malz

SS-Obersturmbannführer und persönlicher Referent im RSHA von Ernst Kaltenbrunner

Malz trat 1930 der NSDAP und auch der SS bei. Im Mai 1940 übernahm er die Leitung des Referats III A 2 (Rechtsleben) des Reichssicherheitshauptamtes. Am 30. Januar 1941 wurde er zum SS-Sturmbannführer befördert und avancierte 1944 als SS-Obersturmbannführer schließlich zum persönlichen Referenten des RSHA-Chefs Kaltenbrunner. Bei Ernst Kaltenbrunner handelt es sich um den Chef der Sicherheitspolizei, des Sicherheitsdienstes SD und des GeStaPo-Amtes sowie für die Einsatzgruppen verantwortlich, die im Rücken der Ostfront bis Kriegsende rund 1.000.000 Menschen ermordeten. Zwar wurde Malz nach Kriegsende interniert, jedoch 1948 wieder entlassen. Der persönliche Referent einer der Hauptangeklagten im Nürnberger Prozess soll nichts von den Taten seines Vorgesetzten gewusst haben. Wie wahrscheinlich dies ist, mag der Leser selbst beurteilen.

Wilhelm Spengler

SS-Standartenführer und Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt (RSHA)

Noch vor der Machtergreifung der Nazis publizierte der promovierte Germanist Spengler in der Zeitschrift „Volk im Werden“, herausgegeben von Ernst Krieck, dem führenden Interpret der nationalsozialistischen Pädagogik. Spengler war jedoch nicht nur als Germanist am Schreibtisch tätig, sondern gemäß Heydrichs Losung von der „kämpfenden Verwaltung“ im März 1942 auch bei der Partisanenbekämpfung im Nordabschnitt der Ostfront eingesetzt worden. Im Mai 1942 war er drei Wochen bei der „Einsatzgruppe D“ auf der Krim. Von 1945 bis 1947 war Spengler in Internierungshaft, danach lebte er in München.

Wenn es den vorstehend genannten Vertretern der Kirche sowie der sich auf ihre christlichen Wurzeln berufenden Prinzessin von Isenberg nur um ihren caritativen Auftrag ging, so stellt sich die Frage, warum NS-Funktionäre wie Malz und Spengler in den Gründungsvorstand berufen wurden. Eine hinreichende Erklärung kann hier nicht ersehen werden.

 

WEN DIE STILLE HILFE SONST NOCH UNTERSTÜTZTE:

Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle aber auch, welche Personen die Stille Hilfe sonst noch unterstützte und man wird an den nachstehenden vier Beispielen kaum glauben können, für wen sich eingesetzt wurde:

Hildegard Lächert (1920 – 1995)

Lächert war Aufseherin in den Konzentrationslagern Ravensbrück, Majdanek und Auschwitz und wurde wegen ihrer Brutalität auch „Blutige Brigitte“ genannt. Im Krakauer Auschwitz Prozess wurde sie am 22. Dezember 1947 zwar zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, gleichwohl aber 1956 vorzeitig entlassen. Erst viel später erkannte man oder wollte man erkennen, wofür Hildegard Lächert wirklich verantwortlich war. In dem am 26. November 1975 vor dem Landgericht Düsseldorf begonnenen Majdankek-Prozess wurde sie wegen Mordbeihilfe in 1.196 Fällen (!!!) angeklagt und am 30. Juni 1981 wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord an mindestens hundert Menschen zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Ihre Strafe mussten sie jedoch nicht absitzen, da die Haft in Polen angerechnet wurde.

Klaus Barbie (1913 – 1991)

SS Hauptsturmführer, der vor allem in Frankreich, rudimentär aber auch in den Niederlanden unsägliche Verbrechen begann. Barbie folterte Geistliche in Frankreich mit Elektroschocks, hängte sie an den Füßen auf und vergriff sich sogar an Kindern, indem er diese hungern ließ und diese auch noch prügelte. Ebenso mussten sich Frauen zuerst völlig entkleiden, wurden hiernach bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt, vergewaltigt sowie missbraucht. Viele Mitglieder der Résistance wurden von Barbie gefoltert und ermordet. Als Folterinstrumente benutzte er unter anderem Schneidbrenner, glühenden Schürhaken, kochendes Wasser sowie diverse Peitschen, Werkzeugen und Knüppel. Von 1945 bis 1955 genoss Barbie den Schutz britischer sowie US-amerikanischer Geheimdienste. 1951 emigrierte er auf der sogenannten Rattenlinie unter dem Namen Klaus Altmann nach Bolivien und betätigte sich dort als Geschäftsmann. In Bolivien agierte er später als Berater und Ausbilder der Sicherheitskräfte unter dem Diktator Hugo Banzer Suarez. Im November 1952 wurde Kriegsverbrecher Barbie in Lyon wegen Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung und die Widerstandsbewegung im Jura in Abwesenheit der Prozess gemacht, und er wurde ein zweites Mal in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Nach einem weiteren Prozess in Abwesenheit im November 1954 wurde Barbie wegen des Massakers von Saint-Genis-Laval und zahlreicher Erschießungen im Gefängnis Montluc in Lyon erneut zum Tode verurteilt. Genau so wenig wie man verstehen kann, dass man sich für einen Menschen wie Klaus Barbie einsetzen kann, kann man nicht verstehen, dass Barbie 1966 für den Bundesnachrichtendienst als Informant unter dem Decknamen Adler angeworben wurde und mindestens ein Jahr für den BND tätig war. Im Alter von 70 Jahren wurde er am 4. Februar 1983 von Bolivien nach Frankreich ausgeliefert und dort vor Gericht gestellt. Am 4. Juli 1987 wurde Barbie dann der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Barbie verstarb am 1991 im Alter von 77 Jahren in Haft.

Erich Priebke (1913-2013):

Priebke war SS-Hauptsturmführer und negativ bekannt durch seine führende Rolle bei den Geißelerschießungen in den Ardeatinischen Höhlen. Als Reaktion auf ein Attentat der italienischen Resistenza am 23.03.1944, bei der 33 deutsche Soldaten ums Leben kamen, beschloss die deutsche Armeeführung in Rom, für jeden getöteten Deutschen 10 italienische Geiseln zu erschießen. Daraufhin überstellte die italienische Kommandantur 335 italienische Zivilisten, die von deutschen Erschießungskommandos unter maßgeblicher Leitung Priebkes erschossen wurden, wobei Priebke ebenfalls persönlich Zivilisten erschoss. Nach Kriegsende verblieb Priebke 20 Monate in englischer Kriegsgefangenschaft in Italien, bis ihm die Flucht gelang. Auf Ersuchen des österreichischen Bischofs Alois Hudal versteckten ihn die Franziskaner hiernach in ihrem Kloster in Bozen.

Die katholische Kirche beschaffte Priebke einen Reisepass des Internationalen Roten Kreuzes und mit Hilfe der katholischen Kirche konnte auvh Priebke im Rahmen der „Rattenlinie“ von Genua nach Italien entkommen. Über die Rattenlinie und den Bischof Hudal (der von den Päpsten Pius XII. und Paul VI. mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet wurde), sind 180 (!!!) bekannte NS-Verbrecher nach Argentinien gelangt, unter anderem:

  • Klaus Barbie
  • Gerhard Bohne
  • Adolf Eichmann
  • Berthold Heilig
  • Josef Mengele
  • Ante Pavelić
  • Erich Priebke
  • Walter Rauff
  • Eduard Roschmann
  • Josef Schwammberger
  • Franz Stangl
  • Friedrich Schwend
  • Gustav Wagner
  • Friedrich Warzok
  • Johann von Leers

Welche Rolle die Stille Hilfe im Rahmen der „Rattenlinie“ wirklich hatte, kann bis heute nicht abschließend geklärt werden, da bei den NS Verbrechern oftmals das Gelübde des Schweigens sehr groß war.

Martin Sommer (1915-1988)

Sommer, war als Mitglied der SS (Hauptscharführer) Aufseher in den Konzentrationslagern von Sachsenburg sowie Buchenwald und ging als „Henker von Buchenwald“ in die Geschichte ein.

Sein hauptsächlicher Verantwortungsbereich in Buchenwald war dabei das Arrestgebäude, in der er Insassen besonders qualvoll tötete und/oder folterte. Dabei ließ er die KZ-Insassen verhungern, erhängte sie in ihrer Zelle, vergiftete das Essen oder injizierte den Häftlingen Phenol, Evipan oder Luft in die Venen. Andere grauenvolle Morde begann er dadurch, dass er einmal einem Insassen den Kopf mit einer Schraubzwinge zerquetschte oder im Winter einen Häftling außen an das Arrestgebäude kettete, mit kaltem Wasser übergoss und dann zusah, wie dieser erfror. Für alle diese Taten gibt es hinreichend glaubwürdige Zeugenaussagen.

1955 kam es zur Anklage gegen Sommer, welche jedoch wegen Verhandlungsfähigkeit abgebrochen wurde, so dass er freigelassen wurde. 1958 kam er zu einer erneuten Anklage vor dem Bayreuther Landgericht. Er wurde zwar zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, erhielt aber bereits 1971 Haftverschonung und lebte hiernach 17 weitere Jahre praktisch auf freiem Fuß in den Rammelsberger Anstalten.

 

GUDRUN BURWITZ – LETZTER STILLER STAR DER STILLEN HILFE

Wie engagiert die „Stille Hilfe“ auch noch bis heute agiert, lässt sich am Beispiel von Gudrun Burwitz, des einzigen, 1929 geborenen Kindes vom Reichsführer-SS und Reichsinnenminister Heinrich Himmler ersehen. Wie der Kölner Express in seiner Ausgabe vom 19.06.2011 zum Beispiel berichtete, engagierte sich die rüstige 81 jährige im Jahr 2011 für den 90 jährigen, ehemaligen SS Obersturmführer Søren Kam, der für die Tötung eines Zeitungsjournalisten von der dänischen Justiz zur Verantwortung gezogen werden soll. Zuvor hatte sie dafür gekämpft, dass der niederländische SS-Scherge Klaas Carel Faber wegen der Morde an Juden während des Zweiten Weltkrieges nicht ausgeliefert wird. Und dies ist nur eine Auflistung für die Aktivitäten in den Jahren 2010 und 2011.

Was von Frau Burwitz und ihren Aktivitäten für die „Stille Hilfe“ wirklich zu halten ist, kann man daran erkennen, wie sich ein Verfassungsschützer im Kölner Express im Jahr 2011 über sie äußerte:  „Sie ist über 80, aber bei klarem Verstand. Ihr gefällt es, wenn man sie als eine »Mrs Doubtfire«, als eine Art stacheliges, aber liebenswürdiges Kindermädchen sieht – das ist sie aber ganz und gar nicht.“

 

ABSCHLIESSENDES FAZIT ZUR STILLEN HILFE:

Es ist mehr als erschreckend, wie viele so genannte „Gut-Menschen“ NS-Mördern geholfen haben, dass diese entkommen konnten und sich für ihre Morde nicht verantworten mussten bzw. sich erst in sehr hohem Alter verantworten mussten. Genau so unglaublich ist es aber auch, dass die „Stille Hilfe“ zumindest bis 2011 (!!) existieren und wirken konnte bzw. für ihr Wirken so viele Erfolge erzielen konnte.

 

Autor: Stefan Loubichi, Wirtschaftswissenschaftler des Jahrganges 1966, der sich seit vielen Jahren auf wissenschaftlicher Basis mit dem Thema beschäftigt und durch sein Engagement verhindern möchte, dass durch Vergessen jemals wieder vergleichbare Gräueltaten wie die der Nazis im III. Reich entstehen könnten – Zukunft braucht Erinnerung.

Literatur

Oliver Schröm, Andrea Röpke: Stille Hilfe für braune Kameraden. Das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis. Christoph Links Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-86153-231-X

Ernst Klee: Persilscheine und falsche Pässe. Wie die Kirchen den Nazis halfen (Fischer-Taschenbuch; 10956). 5. Aufl. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/M. 1991, ISBN 3-596-10956-6.

Thomas A. Schwarz: Die Begnadigung Deutscher Kriegsverbrecher: John J. McCloy und die Häftlinge von Landsberg, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 38 (1990), Heft 3, Seite 375 ff.

Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Frage der Kriegsverbrecher vor amerikanischen Militärgerichten, 1949, in: EZA Berlin, Bestand 2/261]

Peter Hammerschmidt: Deckname Adler – Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste. S. Fischer, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-10-029610-8

Joachim Staron: Fosse Ardeatine und Marzabotto. Deutsche Kriegsverbrechen und Resistenza. Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944–1999). Schöningh, Paderborn u. a. 2002, ISBN 3-506-77522-7

Gerald Steinacher: Nazis auf der Flucht. Wie Kriegsverbrecher über Italien nach Übersee entkamen Studienverlag, Innsbruck 2008, ISBN 978-3-7065-4026-1

Andrej Angrick & Klaus-Michael Mallmann Hgg.: Die Gestapo nach 1945. Karrieren, Konflikte, Konstruktionen. Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg, 14. WBG, 2009 ISBN 978-3-534-20673-5

Buchenwald. Ein Konzentrationslager. Bericht der ehemaligen KZ-Häftlinge Emil Carlebach, Paul Grünewald, Helmut Röder, Willy Schmidt, Walter Vielhauer. Hrsg. im Auftrag der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora der Bundesrepublik Deutschland. Röderberg im Pahl-Rugenstein-Verlag, Köln; 2. Auflage, 1991; ISBN 978-3876827865

Weblinks

  • http://www.hagalil.com/archiv/2001/04/malloth.htm
  • http://www1.jur.uva.nl/junsv/brd/Gericht01fr.htm
  • http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/archiv/208563_Rechenschaft-statt-Rache.html
  • http://books.google.de/books?id=6toyVjk07UMC&pg=PA407&lpg=PA407&dq=Sippen-+und+Familienforschung+in+M%C3%BCnchen&source=bl&ots=mRn-gvXH4Q&sig=TsMkxjmgueu6_2JASdlIf2Xmxww&hl=de&sa=X&ei=iCZ4UMaNJrH54QSciYGgDQ&ved=0CD0Q6AEwBQ
  • http://www.sonntagsblatt-bayern.de/news/aktuell/2009_33_09_01.htm
  • http://www.express.de/politik-wirtschaft/mit-81-jahren-himmlers-tochter-sammelt-fuer-die-ss,2184,8575990.html
  • http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav_id=1073
  • http://www.justice.gov/criminal/hrsp/archives/1983/08-02-83barbie-rpt.pdf
  • http://www1.jur.uva.nl/junsv/brd/files/brd464.htm
  • http://www.tagesspiegel.de/politik/gudrun-burwitz-und-die-stille-hilfe-die-schillernde-nazi-prinzessin/233116.html

Stichworte: Stille Hilfe, Organisation, Rechtsextremismus

Vereinte Nationen gedenken Holocaust-Opfer. Provinzposse der NPD im Dresdner Landtag

Gedenken an den Holocaust: Auschwitz: Der Name und Ort sind Wahrzeichen für Unmenschlichkeit und Völkermord. Die Befreiung des Konzentrationslagers vor 60 Jahren sollte ein Fanal für die nachfolgenden Generationen sein. Das Auftreten der NPD im sächsischen Landtag überschattet das weltweite Gedenken an die Opfer des Holocaust und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die rechtsextreme Partei verglich den Luftkrieg der Alliierten, namentlich die schreckliche Bombardierung Dresdens, mit dem Holocaust. Die Provinzposse erregte nicht nur deutschlandweit Aufsehen, sondern entlarvt die rechtsextreme NPD.

Als 1945 der Kriegsmonat Januar dem Ende entgegen ging, erreichte die Sowjetarmee die Stadt Auschwitz und die Baracken des größten NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers. Die Rotarmisten befreiten am 27. Januar 1945 tausende Häftlinge. Ferner fanden sie eine perfide Sammlung von Habseligkeiten getöteter Häftlinge. Die Unmenge des durch die SS angehäuften Hab und Guts deutete das Ausmaß des Holocaust an: Neben Zahngold und Schmuck wurden über 100.000 Paar Schuhe und selbst 45.000 Säcke mit Menschenhaaren entdeckt. Befreier und Weltöffentlichkeit erahnen unverzüglich die Apokalypse, die sich im heutigen südpolnischen Oświęcim ereignet haben muss. Ein unvorstellbarer industrieller Massenmord an Menschen, die nicht dem verqueren Menschenbild und der Rassenideologie des NS-Regimes entsprachen: der Holocaust oder besser die Shoa.

Heute besteht Gewißheit, dass 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen in Auschwitz den Tod fanden. Das Gros war jüdischer Abstammung. Unter den Opfern befanden sich aber auch Roma und Sinti aus ganz Europa, Polen und Bürger anderer besetzter Staaten, sowjetische Kriegsgefangene, politische Gegner der NSDAP und Homosexuelle. Genau 60 Jahre später erinnert sich die Weltöffentlichkeit anläßlich der Befreiung des Konzentrationslagers der Opfer des Holocaust. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York hat sich erstmals zu einem offiziellen Gedenken durchgerungen. Selbstverständlich werden in gleicher Weise in Deutschland Gedenkveranstaltungen mit erinnernden Reden Überlebender und mahnenden Politikerworten abgehalten; ob im Bundestag oder den Landesparlamenten der Bundesländer. Nur der Dresdner Landtag lieferte eine mehr als skurrile Vorstellung ab.

Die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) zog im Herbst 2004 mit ernüchternden 9,2 Prozent in das Landesparlament ein. Empörung und Eifer waren damals groß und obendrein waren schnell die Protestwähler ausgemacht, die den zweifelhaften Erfolg der NPD möglich machten. Erste Anzeichen für die Unfähigkeit zur Teilnahme am politischen Diskurs zeigte die NPD direkt nach der Wahl. Sie wartete gleich während eines Fernsehauftrittes der Parteiführung mit nationalistisch-völkischen Parolen auf. Es setzte eine Debatte ein, wie mit der NPD im Dresdner Landtag umzugehen sei. Abgeordnete aller demokratischen Parteien forderten eine entschiedene politische Auseinandersetzung. Viel passierte bisher zweifellos nicht. Die NPD konnte immer wieder für Aufsehen sorgen und ihre Rolle als Fundamentalopposition unterstreichen. Nun haben die Abgeordneten der NPD während des Gedenkens an die Opfer des Holocaust für einen bisher nicht für möglich gehaltenen Eklat gesorgt: Sie haben alle politischen und moralischen Grenzen überschritten. Die NPD-Fraktion vertrat im Zuge ihrer skandalösen Redebeiträge anläßlich der Gedenkstunde ungeheuerliche Positionen.

Die NPD-Redner verglichen den verheerenden britisch-amerikanischen Bombenangriff auf Dresden während der letzten Kriegsmonate buchstäblich mit dem Holocaust. Sie zogen Parallelen zwischen dem industriellen Massenmord der Nazis und dem Luftbombardement Dresdens. Es sei ein Bomben-Holocaust und ein kaltblütig geplanter industrieller Massenmord gewesen, so die NPD. Zuletzt verließ die NPD Fraktion anmaßenderweise geschlossen den Plenarsaal, als der Landtagspräsident zu einer Schweigeminute für die Opfer des NS-Regimes aufrief.

Das grauenvolle Bombardement Dresdens kurz vor Kriegsende, sicherlich keine militärisch hochzuschätzende Leistung, kostete zehntausende Menschenleben – der Holocaust Millionen Menschenleben. Vorausgesetzt man könnte die blanke Zahl der Menschenopfer vergleichen, was so wahrhaftig unzulässig ist, erscheint der Holocaust bereits in einer anderen Dimension. In andere Kategorien ist er allerdings nicht nur quantitativ, sondern besonders qualitativ einzuordnen. Holocaust bedeutet unbeschreibliche Willkür und Menschenverachtung. Diese Einsicht ist ein zentrales Element des vorpolitischen Grundkonsenses der Bundesrepublik.

Folglich hat die ungeheuerliche Haltung der NPD die Diskussion über ihre Vereinbarkeit mit der bundesrepublikanischen Grundordnung erneut ins Rollen gebracht. Bereits vor zwei Jahren wurde vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die Partei geführt. Das Verfahren scheiterte, trotz Beweisen der Verfassungswidrigkeit, aus formal-juristischen Gründen. Zeugen entpuppten sich als verdeckte Ermittler des Verfassungsschutzes, die sich sogar aktiv an der NPD-Arbeit beteiligten. Aber hat die NPD indes nicht öffentlichst verdeutlicht, dass sie gegen Grundüberzeugungen und historische Selbsteinsichten der Bundesrepublik verstößt?

Unter den demokratischen Parteien ist es derzeit herrschende Meinung kein übereiltes erneutes NPD-Verbot anzustreben. Der sächsische Ministerpräsident Milbradt sagte, man dürfe keinen erneuten Misserfolg riskieren. Die Gesetzgebung böte andere Maßnahmen, etwa das Ordnungsrecht, denn in Landtagssitzungen sei nicht alles erlaubt. Die Staatsanwaltschaft sieht derzeit ebenfalls von Ermittlungen gegen die NPD ab, obwohl der Tatbestand der Volksverhetzung vorläge. Äußerungen eines Abgeordneten können gemäß seiner Immunität und laut sächsischer Verfassung nicht juristisch oder dienstlich geahndet werden.

Die Debatte verdeutlicht, wie schwer sich die Politik nach wie vor mit extremen Parteien tut. Anstatt zu debattieren muss aufgezeigt werden, dass die Ziele der NPD jeglicher politischer Realität entbehren. Dies gilt für alle demokratischen Parteien. Den Protestwählern der NPD muss verdeutlicht werden, dass das politische Gebaren der NPD den Dresdner Landtag nicht nur auf skurrile Weise in das Blickfeld der nationalen und internationalen Öffentlichkeit rückte, sondern auf lange Frist Sachsen und Deutschland schadet.

Es ist zu zeigen, dass mit der NPD keine vernünftige Politik möglich ist. Die volksdeutsche Partei von gestern schadet heute den politischen, wirtschaftlichen, sozio-kulturellen und internationalen Interessen der sächsischen und deutschen Bevölkerung. Sie schadet dem europäischen Einigungsgedanken und behindert die Aussöhnung mit den osteuropäischen Nachbarstaaten. Im Zuge des Gedenkens an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und der Opfer des Holocaust zeigte die NPD zudem, dass sie eindeutig und offen gegen den Grundkonsens der demokratischen Ordnung der BRD verstößt. Die NPD verleugnet die nationale Verantwortung Deutschlands, mit der nicht in ewiger Demut aber ehrenvoll und konstruktiv umzugehen ist. Das inakzeptable Auftreten der NPD und ihre Provinzposse im sächsischen Landtag, während Vereinte Nationen und Weltöffentlichkeit geschlossen den Opfern des Holocaust gedachten, sollte Hinweis und Warnung an die Politik und Bevölkerung genug sein.

Autoren: Gunter Deuber und Falk Kunadt

Stichworte: Erinnerungskultur, Aufarbeitung der NS-Zeit, Rechtsextremismus, Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)

Volk mit Seelenschaden – Vom deutschen Hass auf Juden und Kommunisten

Kurt Nelhiebel über ein Volk mit Seelenschaden

„Ich sehe Schatten aufsteigen, wohin ich mich wende. Ich sehe sie, wenn ich abends durch die gellenden Straßen von Berlin gehe; wenn ich die Indolenz unseres wahnsinnig gewordenen Reichtums erblicke; wenn ich die Nichtigkeit kraftstrotzender Worte vernehme.“
(Walther Rathenau) [1]

Wie es nach der Kapitulation des „Großdeutschen Reiches“ um die Haltung der Deutschen gegenüber den jüdischen Opfern des Gewaltregimes der Nationalsozialisten im Westen des besetzten Landes bestellt war, offenbarte erstmals eine Umfrage, die der amerikanische Hochkommissar für Deutschland, John McCloy, 1951 bei deutschen Instituten in Auftrag gegeben hatte. 17 Prozent der Befragten meinten, die Juden hätten das geringste Anrecht auf Hilfe, 49 Prozent stellten sie auf eine Stufe mit dem Schicksal anderer Personengruppen. In erster Linie sollte den Kriegerwitwen und den Kriegswaisen geholfen werden. Als zweite Gruppe wurden die Bombengeschädigten genannt, als dritte die Vertriebenen, dann die Angehörigen der Teilnehmer am Attentat auf Hitler. An letzter Stelle wurden die Juden genannt. Nur zwei Prozent der Befragten billigten ihnen das größte Anrecht auf Hilfe zu.

Ein ähnliches Bild ergab 1952 eine Erhebung des Allensbacher Instituts für Demoskopie zur Haltung der Deutschen gegenüber Wiedergutmachungsleistungen an Israel. Nur elf Prozent waren uneingeschränkt dafür, 44 Prozent hielten sie für überflüssig, 21 Prozent wollten sich nicht dazu äußern.[2] Ungeachtet der wenig schmeichelhaften Zahlen rühmte eine angesehene deutsche Zeitung das Abkommen mit dem jüdischen Staat „als besonderes Beispiel dafür, wie sich ein Volk darum bemüht, ein in größtem Ausmaß begangenes Verbrechen zu sühnen.“[3] Dabei wollte Konrad Adenauer Israel anfänglich mit zehn Millionen Mark abspeisen, die er einem Mittelsmann als „Geste der Wiedergutmachung“ anbot. Die Israelis quittierten die Offerte mit eisigem Schweigen. Um sich den Rücken für die Aufstellung deutscher Streitkräfte frei zu halten, erhöhte Adenauer sein Angebot später auf 3,4 Milliarden Mark, das dann im Luxemburger Abkommen von 1952 festgeschrieben wurde. Zu entrichten war der Betrag in jährlichen Raten von 261 Millionen Mark; das entsprach knapp einem halben Prozent der Ausgaben des Bundeshaushalts von 1953.

Bei der Abstimmung im Bundestag am 18. März 1953 votierten nur 106 Abgeordnete der Regierungsparteien für das Wiedergutmachungsabkommen. 15 stimmten mit Nein und 68 enthielten sich der Stimme. Auch 18 Abgeordnete der Opposition wollten sich nicht festlegen, während 20 mit Nein stimmten. Gerettet wurde das Abkommen durch 133 Ja-Stimmen aus den Reihen der oppositionellen SPD. Insgesamt ein blamables Resultat – gemessen an dem Anspruch, mit dem die Bundesrepublik heute auftritt, blamabel aber auch gemessen an den Erwartungen, die der amerikanische Hochkommissar McCloy damals hegte. Für ihn war die Haltung Deutschlands gegenüber den Juden angesichts der ungeheuren Schuld, die das deutsche Volk als Ganzes ihnen gegenüber trage, die „Zentralfrage der inneren Reinigung, mit der diese steht und fällt.“

Diese innere Reinigung hat niemals stattgefunden. Sie scheiterte an der Unlust einer überwiegenden Mehrheit der Deutschen, sich mit der Schande des Nationalsozialismus auseinander zu setzen, sie scheiterte – wie Alexander Mitscherlich formulierte – auch an der Unfähigkeit zu trauern. „Es gibt hier nicht das Bedürfnis, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen“, bekannte 65 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft der pensionierte Garmisch-Partenkirchener Gymnasiallehrer Alois Schwarzmüller, der seit Jahren die NS-Vergangenheit seiner Heimat erforscht.[4] Krank an der Seele, leidlich aufgerichtet durch das Ansuchen der Feinde von gestern, sich am Kampf gegen den Kommunismus zu beteiligen, machten sich die Deutschen an die Beseitigung der materiellen Trümmer, beeindruckt von den Verheißungen der freien Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard und der christlich-demokratischen Aura des ersten Nachkriegskanzlers Konrad Adenauer. Der wusste die andressierten Ängste und Aggressionen der Deutschen zu nutzen. Lange bevor George W. Bush die Welt mit der Lüge von irakischen Massenvernichtungswaffen hinters Licht führte, erschlich Adenauer sich mit der Lüge von einem bevorstehenden Angriff aus dem Osten die Zustimmung zur Aufstellung deutscher Streitkräfte. In einem Interview der „New York Times“ vom 18. August 1950 behauptete er unter Berufung auf Militärexperten, die Russen organisierten ihre in der sowjetischen besetzten Zone Deutschlands stationierten starken militärischen Kräfte in einer Art und Weise, „wie das nur für Angriffszwecke der Fall“ sei.[5]

Die Nazipropaganda vom jüdisch-bolschewistischen Feind im Osten noch im Hinterkopf hielten viele die Fortsetzung des Kampfes gegen den Kommunismus im Namen der Demokratie für gottgewollt. Niemand brauchte sich fortan seines Beifalls für die Naziparole „Macht Deutschland vom Marxismus frei!“ mehr zu schämen. Dass ein wegen Auschwitzverbrechen verurteilter ehemaliger Direktor des IG-Farben-Konzerns für seine Verdienste beim Wiederaufbau mit dem Großen Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, hielt niemand für anstößig.[6] Berauscht von der Tüchtigkeit seiner Landsleute hielt der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß den Siegern von gestern entgegen, das deutsche Volk habe angesichts seiner wirtschaftlichen Leistungen ein Anrecht darauf, „von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen“.[7] Helmut Kohl, damals noch Abgeordneter der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag, meinte den Initiator des Auschwitzprozesses, Fritz Bauer, mit dem Satz belehren zu müssen, der zeitliche Abstand zum Dritten Reich sei noch viel zu kurz, um ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus fällen zu können.[8] Später dann, als dieser Abstand auf 60 Jahre angewachsen war, hielten manche, wie etwa der 1955 geborene CDU-Politiker Friedrich Merz, das Nachdenken über die Vergangenheit schon wieder für überflüssig. Seine Generation, ließ Merz sich vernehmen, wolle sich für Auschwitz und die deutsche Vergangenheit nicht mehr in Haftung nehmen lassen.

Das empfand der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, als „Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden des Naziregimes“. Mit dem Abstreifen der Verantwortung für die Lehren der Geschichte würden „rechtsradikale Parolen und Fremdenfeindlichkeit salonfähig“ gemacht, gab Spiegel zu bedenken. Sein Stellvertreter Salomon Korn meinte, von nun an dürfe nicht länger übersehen werden, was sich hinter dem Verlangen des Bürgertums nach „Normalität“ verberge. Niemand reagierte. Kein Aufschrei, kein Protest. Im kollektiven Bewusstsein dominierten längst andere Prioritäten, das Wirtschaftswachstum etwa und die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt. Und im Übrigen: hatten die anderen nicht auch „Dreck am Stecken“? Hartnäckig weigerten sich die Unionsparteien, die Einmaligkeit der Massenmorde in den deutschen Vernichtungslagern ohne Wenn und Aber anzuerkennen. Obwohl Theodor Heuss die Aufrechnung als das „Verfahren von moralisch Anspruchslosen“[9] gegeißelt hatte, erklärten sie sich mit der Bestrafung des Leugnens von Auschwitz erst einverstanden, als die Strafandrohung auch auf die Verbrechen einer „anderen Gewalt- und Willkürherrschaft“ ausgedehnt wurde, und verhalfen so einer – wie der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Helmut Leonardy, sich ausdrückte – „widerlichen Aufrechnungsmentalität“ zum Sieg.

Eine Tendenz der Verharmlosung beherrschte auch den Umgang mit dem Rechtsextremismus der Gegenwart. Im ersten Bericht des Bundesinnenministeriums über extremistische Bestrebungen aus dem Jahr 1962 hieß es, dem Rechtsradikalismus werde eine Bedeutung beigemessen, die ihm nicht zukomme. In Wirklichkeit sei er organisatorisch zersplittert und schwach. Anders lautende Warnungen beruhten auf irrigen oder missverständlichen Zahlenangaben, die nicht selten als Hetze der Kommunisten erkannt worden seien. Neue Berichte des Verfassungsschutzes führten zu dem Schluss, dass der Rechtsradikalismus in Deutschland vereinsame.[10] Verantwortlicher Innenminister war damals Hermann Höcherl (CSU). Knapp ein halbes Jahrhundert nach seiner grandiosen Fehleinschätzung beherrschen rechtsradikale Gruppen und Kameradschaften die Jugendszene ganzer Regionen. Nach einer bundesweiten Studie des Kriminologischen Instituts Niedersachsen haben sie mehr Mitglieder als alle andere politischen Jugendorganisationen zusammengenommen.

Beherrscht von der paranoiden Angst, in die Nähe von Kommunisten gerückt zu werden, warnte das Präsidium der SPD im August 1969 die Parteimitglieder davor, sich unbesehen an Anti-NPD-Aktionen zu beteiligen, weil – wie es hieß – solche Bürgerinitiativen häufig von Kommunisten für ihre Ziele missbraucht würden. Eine besondere Rolle als „soziales Disziplinierungsmittel“[11] spielte der ideologische Antikommunismus Anfang der 1970er Jahre im Zusammenhang mit dem so genannten Radikalen-Erlass, mit dessen Hilfe unerwünschte Bewerber vom öffentlichen Dienst ferngehalten werden sollten. Als Staatsdoktrin war er Mitte der 1980er Jahre so etabliert, dass der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Alfred Dregger, ungeniert erklären konnte, er halte Hitlers Angriff auf die Sowjetunion im Nachhinein nicht für grundsätzlich falsch. Zu bedauern sei nur, „dass dieser Krieg nicht als Befreiungs-, sondern als Eroberungskrieg konzipiert“ wurde. Das sei „ebenso dumm wie verbrecherisch“ gewesen.[12] Um dieselbe Zeit verharmloste Regierungssprecher Hans Klein (CSU) – als habe er noch nie etwas von Oradour gehört – die Waffen-SS mit den Worten, ihre Angehörigen hätten doch geglaubt, „ihr Vaterland verteidigen zu müssen“.[13] Auch das ist vergessen – sonst hätte die Fernseh-Akademie Mitteldeutschland wohl kaum einen Medienpreis nach Hans Klein benannt.

Drei Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland funktionierte der Ausgrenzungsmechanismus nach links hin bereits wieder so perfekt, dass praktisch die gesamte westdeutsche Presse die Erschießung des jungen Kommunisten Philipp Müller bei einer verbotenen Demonstration gegen die Wiederbewaffnung am 11. Mai 1952 in Essen nicht für kommentierenswert hielt. „Der Spiegel“ und die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ nahmen von dem Ereignis nicht einmal nachrichtlich Notiz.[14] Noch heute hält die deutsche Publizistik Benno Ohnesorg, der 1967 in Berlin durch eine Polizeikugel starb, für das erste Demonstrationsopfer. In Hans-Ulrich Wehlers „Deutscher Gesellschaftsgeschichte“, die nach Meinung einer konservativen Tageszeitung „Pflichtlektüre für alle Deutsche“ sein sollte, taucht der Name Philipp Müller ebenso wenig auf, wie etwa der Name des hessischen Generalstaatsanwalts und Initiators des Auschwitzprozesses Fritz Bauer, dessen Warnungen vor dem fortdauernden Judenhass der Deutschen als nationale Würdelosigkeit ausgelegt wurden.

Auch den Namen von Ignatz Bubis sucht der Leser vergeblich in der vermeintlichen Pflichtlektüre für alle Deutschen. Als Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland musste Bubis in der Frankfurter Paulskirche mit anhören, wie Martin Walser unter dem Beifall der versammelten deutschen Elite das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als „Monumentalisierung der Schande“ und Auschwitz als „Einschüchterungsmittel oder Moralkeule“ bezeichnete. Resigniert meinte Bubis in einem seiner letzten Interviews: „Ein Großteil der Bevölkerung denkt wie Walser.“ Die meisten Deutschen hielten die Zeit für gekommen, Schluss zu machen und „nach vorne zu schauen.“[15] Bubis war von der Haltung der Deutschen so enttäuscht, dass er nicht in Deutschland, sondern in Israel begraben werden wollte. Sein früher Tod ersparte ihm das erbärmliche Schauspiel, das die Bundestagsparteien zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht aufführten, als sie die Linkspartei von einer gemeinsamen Erklärung gegen den Antisemitismus ausschlossen. Erspart blieb ihm auch die Rede Martin Hohmanns zum Jahrestag der deutschen Vereinigung am 3. Oktober 2003. Darin hatte der Unionsabgeordnete unter anderem behauptet, Zar Nikolaus II. sei von einem Juden ermordet worden. Daher könne man die Juden durchaus als Tätervolk bezeichnen. Bei der Abstimmung über Hohmanns Ausschluss aus der CDU/CSU-Fraktion solidarisierte sich jeder fünfte Unionsabgeordnete direkt oder indirekt mit dem Fraktionskollegen; 28 waren gegen den Ausschluss und 16 enthielten sich der Stimme. Das entspricht exakt dem bei Umfragen immer wieder ermittelten Anteil von Antisemiten an der Gesamtbevölkerung.

All das wurde im Jubeljahr zum 60jährigen Bestehen des „Erfolgsmodells Bundesrepublik Deutschland“ schweigend übergangen. In keinem der geschönten Rückblicke wurde daran erinnert, wie gnadenlos der Katholik Konrad Adenauer sich bei seiner Personalpolitik über die Gefühle der Opfer des Naziregimes hinwegsetzte. „Rätselhafte Kompromisse“ seien da geschlossen worden, meinte später Hermann Greive in seiner „Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland“. Am „wenigsten nachvollziehbar“ war für den Professor für Judaistik am Martin-Buber-Institut in Köln der Fall des Staatssekretärs Hans Globke, der seinen Kommentar zu Hitlers Rassegesetzen später selbst als „entsetzlich und abstoßend“ empfunden habe. „Ein Fall wie der seine – und er war ja nicht der einzige, nur eben der spektakulärste – musste die grauenvollen Ereignisse der Vergangenheit ins Zwielicht des vielleicht nicht ganz Ungerechtfertigten, jedenfalls aber Entschuldbaren rücken. Und gerade dies konnte sich auf die öffentliche, gesellschafts-politische Ordnung nur negativ auswirken.“[16]

Auch der Umgang mit den sich von Beginn an periodisch wiederholenden Anschlägen auf jüdische Einrichtungen war gekennzeichnet von der Unlust, sich mit den Ursachen des Antisemitismus wirklich auseinander zu setzen. Als am 17. Januar 1959 Hakenkreuzschmierereien an der Düsseldorfer Synagoge entdeckt worden waren, präsentierten Polizei und Staatsanwaltschaft noch am selben Tag einen Kommunisten als Schuldigen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Josef Hermann Dufhues (CDU) sah „bestimmte politische Kräfte“ am Werk, die Deutschland „moralisch und politisch isolieren“ wollten. Zehn Monate später wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Kommunisten sang- und klanglos eingestellt. So lange waren die Beteiligten der Notwendigkeit enthoben, die Täter in einem anderen Umfeld zu suchen. Wenige Tage nach dem Anschlag auf das jüdische Gotteshaus in Düsseldorf wurde die Synagoge in Köln geschändet. 136 weitere antisemitische Übergriffe folgten innerhalb von zwei Wochen. Ungerührt von der weltweit geäußerten Sorge über ein Wiedererwachen nazistischen Ungeistes sprach Konrad Adenauer verharmlosend von „Flegeleien ohne politischen Hintergrund“. Das Bundespresseamt sah wieder einmal kommunistische Drahtzieher am Werk und bezeichnete die Anschläge als „Teil einer geplanten Aktion“ zur Diffamierung der Bundesrepublik. Der Pressesprecher von Verteidigungsminister Strauß, Oberst Schmückle, informierte die Militärkorrespondenten der Deutschen Presse-Agentur so wie der Nachrichtenagenturen AP und UPI über „bundesnachrichtendienstliche Informationen“, denen zu folge das Zentralkomitee der SED seine Diversionskolonnen angewiesen habe, in mehreren westlichen Ländern antisemitische Aktionen zu unternehmen, um die NATO-Partner gegeneinander aufzubringen. Einsehen durften die Journalisten die Unterlagen nicht. Sie sollten auch nicht sagen, von wem sie ihr Wissen über die vermeintlichen Drahtzieher im Osten hatten.

Was von den Behauptungen über kommunistische Drahtzieher zu halten war, zeigte sich nach dem Fall der Mauer. Die Anschläge auf jüdische Einrichtungen gingen nämlich unvermindert weiter und die fremdenfeindlichen Gewaltakte erreichten nie gekannte Ausmaße. Die Gefahr des Rechtsextremismus sei „derzeit ohne Zweifel höher einzuschätzen“ als früher, erklärte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Eckart Werthebach. 1991 ereigneten sich nach offizieller Darstellung nicht weniger als 2.285 rechtsextremistische Gewalttaten, bei denen 17 Menschen ums Leben kamen. 2007 wurde in Deutschland nach Angaben der Bundesregierung im Schnitt jede Woche ein jüdischer Friedhof geschändet. Ganz offensichtlich rächt sich jetzt, dass Warnungen vor einem Wiederaufleben des Neonazismus immer wieder als Panikmache oder kommunistische Zweckpropaganda abgetan worden sind. Wie zynisch mitunter die Ängste jüdischer Bürger ignoriert wurden, zeigt die Reaktion eines Staatsanwaltes in Münster, der 1966 einer Strafanzeige wegen anonymer Drohanrufe nachgehen musste. Opfer des Telefonterrors war ein jüdischer Geschäftsmann, der die NS-Zeit nur dank der Hilfsbereitschaft münsterländischer Bauern überlebt hat, die ihn und seine Frau Marga so wie die Tochter versteckten. Die Eltern von Siegmund und Marga Spiegel starben in den Gaskammern der Nazis.[17] Urheber der anonymen Anrufe war ein Polizeihauptwachtmeister aus der Nachbarschaft, der während seiner Vernehmung gestand, unter anderem geäußert zu haben: „In zehn Minuten bist Du reif, Du Judenschwein.“ Gleichwohl kam der Staatsanwalt zu dem Schluss, dass hier „mit Sicherheit kein Antisemitismus“ vorgelegen habe. (AP 16.9.1966)

Auch die in München erscheinende „Deutsche Nationalzeitung“, von der der SPD-Abgeordnete Adolf Arndt einst im Bundestag sagte, sie spreche „die Sprache der potentiellen Mörder“, profitierte von der Einäugigkeit der Justiz. Triumphierend teilte der Herausgeber des Blattes, Gerhard Frey, den Zeitungsredaktionen im Oktober 1980 mit, dass soeben das 500. Strafverfahren gegen ihn ohne Ergebnis zu Ende gegangen sei. Ob Frey in den Folgejahren jemals belangt worden ist, ließ sich nicht ermitteln. Ausweichend antwortete das Bundesjustizministerium auf eine entsprechende Anfrage, die Beobachtung des Rechtsextremismus sei Aufgabe des Verfassungsschutzes. Ob der weiterhelfen könne, sei allerdings zu bezweifeln, „da es sich bei derlei Auskünften um personenbezogene Daten handelt.“ [18] Seinen vermutlich größten Erfolg konnte Frey 1974 verbuchen, als das Bundesverfassungsgericht nach fünfjähriger Verfahrensdauer einen Antrag von Bundesinnenminister Ernst Benda (CDU) zurückwies, dem Herausgeber der „Nationalzeitung“ das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit abzuerkennen. Benda hatte 1969 zur Begründung erklärt, Frey sei verantwortlich für nationalistische, antisemitische und rassistische Veröffentlichungen und missbrauche dieses Grundrecht zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Dass der Herausgeber des Hetzblattes ungeschoren blieb, verdankte er – wie die Wochenzeitung „Die Zeit“ am 11. Februar 1994 enthüllte – einem Gutachten des Rechtswissenschaftlers und CSU-Mitglieds Theodor Maunz, der während der NS-Zeit mit seinen Arbeiten dem Unrechtsregime der Nationalsozialisten den Schein der Legitimität zu verschaffen suchte. Im Deutschland der Nachkriegszeit führte er als zeitweiliger bayerischer Kultusminister und Mitverfasser des Standardkommentars zum Grundgesetz eine Art Doppelleben. Nach seinem Tod im Jahr 1993 wurde nämlich bekannt, dass Theodor Maunz, der nach außen hin als Verteidiger der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auftrat, heimlich Mitstreiter und Vertrauter eines der schlimmsten Verächter dieser demokratischen Grundordnung war. Im Nachruf der „Nationalzeitung“ hieß es, der Herausgeber des Blattes habe mit Maunz „seinen wunderbaren Wegbegleiter“ verloren. Ein Vierteljahrhundert sei Maunz maßgeblicher Berater von Dr. Frey gewesen. Eineinhalb Jahrzehnte hindurch habe er beinahe allwöchentlich seine „hervorragenden politischen Beiträge“ ohne Autorenangabe in der „Nationalzeitung“ veröffentlicht.

Ausschlaggebend für die Abweisung des Antrags auf Aberkennung der Grundrechte für Frey war letzten Endes die Untätigkeit des Amtsnachfolgers von Ernst Benda, Hans-Dietrich Genscher (FDP). Das Bundesverfassungsgericht begründete nämlich die Einstellung des Verfahrens gegen Frey ausdrücklich mit dem Hinweis, die Bundesregierung habe im Verlauf mehrerer Jahre nicht auf dessen Einlassungen reagiert. Insbesondere habe sie nicht dargetan, ob Frey in Zukunft eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstelle. So konnte der Münchner Verleger seine publizistische Tätigkeit nicht nur ungehindert fortsetzen, sondern darüber hinaus durch die Gründung der Deutschen Volksunion (DVU) eine weitere Front gegen die seiner Meinung nach zu lasch auftretenden „Systemparteien“ errichten. Eine Auflösung durch ein Verbot seitens der Behörden braucht die DVU offenbar ebenso wenig zu fürchten wie die NPD, deren Verbot daran scheiterte, dass Regierung, Bundestag und Bundesrat sich weigerten, die Namen der inoffiziellen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in den Führungsetagen der NPD bekannt zu geben. Der Versuch mehrerer Innenminister und -Senatoren der SPD, durch die Vorlage einer Dokumentation mit einschlägigen Äußerungen ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD in Gang zu setzen, wurde von der Bundesregierung als „unseriös“ zurückgewiesen. Der Bundestag seinerseits weigerte sich, 175.000 Unterschriften für ein NPD-Verbot, die die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (Bund der Antifaschisten) gesammelt hatte, entgegenzunehmen.

Die scheinbare Unfähigkeit des Rechtsstaates, einer im Verdacht der Verfassungswidrigkeit stehenden rechtsradikalen Partei durch ein Verbot Paroli zu bieten, macht alle Bekundungen des Abscheus gegenüber dem Rechtsextremismus zur Farce. Sie desavouiert die Erinnerungsarbeit all derer, die sich an örtlichen Initiativen zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit beteiligen. Offizielle Gedenkveranstaltungen zu Ehren der Opfer des NS-Regimes, die das eigene Versagen ausblenden, helfen diesen Menschen nicht weiter, wenn sie zum Beispiel danach fragen, weshalb sich nur knapp zwei Prozent der 10.222 staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, die 1963 wegen politischer Delikte eingeleitet wurden, gegen Rechtsradikale richteten.[19] Oder wenn sie wissen wollen, was den Bundesgerichtshof in seinem Freispruch für den SS-Richter Thorbeck zu der Aussage bewogen hat, der nationalsozialistische Staat habe wie jeder andere das Recht auf Selbstbehauptung und auf den Erlass strenger Gesetze gehabt, denen sich jeder Richter habe unterwerfen müssen.[20] Im Prozess gegen den DDR-Richter Reinwarth war davon mit keinem Wort mehr die Rede. Der DDR wurde das Recht auf Selbstbehauptung nicht zuerkannt und dem ehemaligen DDR-Richter wurde nicht zugute gehalten, dass die bestehenden Gesetze für ihn bindend waren. Dass ihm das Ganze „kaum als gerecht zu vermitteln“ sei, räumte der Bundesgerichtshof immerhin ein, obwohl er sich damit selbst als Instrument der Staatsräson und des Machterhalts bloßstellte. (AZ 5 StR/747/94).

Natürlich sind in der DDR schlimme Dinge passiert. Aber sie hat weder den Zweiten Weltkrieg mit seinen 55 Millionen Toten zu verantworten noch den Mord an sechs Millionen Juden. Dennoch wurde zum Beispiel bei der Übernahme ehemaliger DDR-Diplomaten ein anderer Maßstab angelegt, als seinerzeit bei der Übernahme ehemaliger Mitglieder der NSDAP. Der Anteil ehemaliger DDR-Diplomaten im höheren Dienst des Auswärtigen Amtes belief sich 2006 auf etwa ein Prozent.[21] Dagegen betrug der Anteil ehemaliger Mitglieder der Nazipartei im höheren Dienst des Auswärtigen Amtes in den Anfangsjahren der Bundesrepublik 65 Prozent.[22] Wer bei der Aufarbeitung der Vergangenheit so unverhohlen mit zweierlei Maß misst, wer die Verantwortlichen für die 136 Todesopfer des „Grenzregimes“ der DDR in eine Reihe stellt mit den Verantwortlichen für den Mord an sechs Millionen Juden, wer das eine Unrecht mit dem anderen vermengt oder aufzurechnen versucht, wer gedankenlos von „den zwei deutschen Diktaturen“ spricht, verharmlost auf unerträgliche Weise die Verbrechen, die während der Nazizeit verübt worden sind. Eine schlimmere Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes, eine schlimmere Bagatellisierung des Antisemitismus kann es nicht geben, einen schlimmeren Alptraum können Überlebende des Holocaust nicht träumen.

Nach statistischen Berechnungen der Jewish Claims Conference gibt es weltweit noch 516.700 Holocaust-Überlebende, von denen 259.000 unter der Armutsgrenze leben. Von Unterricht und Ausbildung ausgeschlossen, traumatisiert von Ghetto- oder KZ-Haft und oft auch vom Verlust der ganzen Familie gelang es vielen Überlebenden nicht, sich nach dem Krieg eine eigene Existenz aufzubauen. Bei den Entschädigungszahlungen in den Anfangsjahren der Bundesrepublik wurde diese Problematik kaum bedacht.[23] Welche Bedeutung würden die Deutschen der Hilfe für diese Notleidenden wohl beimessen, wenn sie, ähnlich wie 1951, danach gefragt würden? Die Ergebnisse einer Allbus-Umfrage aus dem Jahr 2006 stimmen nicht sonderlich optimistisch. 31 Prozent der Befragten erklärten: „Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches ihren Vorteil zu ziehen und die Deutschen dafür zahlen zu lassen.“ 59 Prozent erklärten: „Es wird Zeit, dass unter die nationalsozialistische Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen wird.“[24]

Autor: Kurt Nelhiebel (Der Aufsatz erschien – ohne das bei Rathenau entlehnte Motto – leicht modifiziert unter der Überschrift „Der braune Faden“ in der Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Heft 4 / 2010., S. 105.)

 

Anmerkungen

[1] Deutscher Außenminister, ermordet 1922 von Angehörigen der rechtsradikalen „Organisation Consul“.

[2] Kurt R. Grossmann, Die Ehrenschuld, Ullstein Verlag, Frankfurt am Main, 1967, S.35.

[3] Süddeutsche Zeitung, 22. Juni 2009.

[4] Der Spiegel, Nr.3 / 18. 1. 2010, S. 134.

[5] Zitiert in: Hans Edgar Jahn; Für und gegen den Wehrbeitrag, Greven Verlag Köln, 1957, S. 21

[6] Conrad Taler, Asche auf vereisten Wegen, PapyRossa Verlag, Köln 2003, S. 144 f.

[7] Süddeutsche Zeitung, 14./15.3.2009.

[8] Conrad Taler, Asche auf vereisten Wegen, PapyRossa Verlag, Köln 2003, S. 139

[9] Reden deutscher Bundespräsidenten, Hanser Verlag, München-Wien, 1979, S. 20.

[10] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. April 1962.

[11] Werner Hofmann, Stalinismus und Antikommunismus, Frankfurt/M., 1967, S. 158

[12] Alfred Dregger, Der Preis der Freiheit, Universitas Verlag, München, 1985, S. 11

[13] „Quick“ 2. Mai 1989, zitiert in „Die Verharmloser“, Donat Verlag Bremen, 1996.

[14] Conrad Taler, Der braune Faden, PapyRossa Verlag, Köln, 2005, S. 146 f.

[15] „Stern“, 16. 8. 1999.

[16] Hermann Greive, Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1983, S. 173.

[17] Marga Spiegel, Retter in der Nacht, Röderberg Verlag, 1969; Vorwort Prälat Dr. Hermann Maas. 2009 wurde die Geschichte mir Veronika Ferres und Armin Rohde in den Hauptrollen verfilmt

[18] Schreiben vom 8. April 2009.

[19] Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 1978, S. 237. Ergänzend: Gössner, R. Die vergessenen Justizopfer des kalten Krieges, Aufbau Verlag, Berlin.

[20] Jörg Friedrich, Freispruch für die Nazi-Justiz, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek, 1983, S. 218

[21] Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 9. 3. 2006 an den Verfasser.

[22] Hans-Jürgen Döscher, Seilschaften – Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amtes, Propyläen Verlag/ Ulstein 2005, S. 103 f.

[23] Robert Probst und Oliver Bilger: Traurige Bilanz am Gedenktag, SZ 27. Januar 2010.

[24] Elke Hennig, Zur politischen Soziologie eines historischen Deutungsmusters, Einsicht 02, Bulletin des Fritz Bauer Instituts, S. 43.

Stichworte: Aufarbeitung der NS-Zeit, Rechtsextremismus

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